RG, 04.10.1880 - Va 448/79

Daten
Fall: 
Übertragung der Verwaltung und Unterhaltung von Landstraßen und Heerstraßen
Fundstellen: 
RGZ 3, 236
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
04.10.1880
Aktenzeichen: 
Va 448/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KreisG Warburg

Steht den in dem §. 18 des preuß. Gesetzes vom 8. Juli 1875, betreffend die Ausführung der §§. 5 und 6 des Gesetzes v. 30 April 1873 wegen Dotation der Provinzial- bezw. Kommunal-Verbände (G.S. S. 497), erwähnten Provinzial-, bezw. Kommunal-Verbänden infolge Übertragung der Verwaltung und Unterhaltung der Staatschausseen die Wegebaupolizei in Bezug auf diese Straßen zu?

Tatbestand

Die Kläger, die Besitzer des Rittergutes W., wollen im Besitze des Rechts sein, das Wasser, welches sich auf dem Gutshofe, namentlich aus der dort befindlichen Brauerei ansammelt, vermittels eines gemauerten Kanals durch einen dreiteiligen Durchlaß unter der A.-B. Chaussee nach der D. zu abzuleiten. Dieser dreiteilige Durchlaß war früher überbrückt; im Jahre 1864 ließ die Chausseebauverwaltung die Brücke abtragen und stellte statt dessen eine gepflasterte Mulde her, ließ aber den Durchlaß bestehen. Ende 1878 ist wieder die Mulde beseitigt, die Chaussee ist überbrückt worden, und anstatt des dreiteiligen ein zweiteiliger Durchlaß angelegt. Die Kläger behaupten, daß gerade der Teil des Durchlasses zugeworfen sei, an welchen sich ihr Kanal angeschlossen. Der jetzt vorhandene Durchlaß soll überdies ungefähr 60 cm höher liegen als die Sohle des Kanals, so daß ein Rückstau des durch diesen abfließenden Wassers nach dem Gutshofe hin eintrete. Die Kläger verlangen Schutz im Besitz des von ihnen behaupteten Wasserableitungsrechts und Wiedereröffnung des zugeworfenen Durchlasses.

Der erste Richter wies die Kläger ab.

Auf die Nichtigkeitsbeschwerde der letzteren ist das erste Erkenntnis vernichtet und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung in die Instanz zurückverwiesen.

Aus den Gründen

"Nach der Feststellung des ersten Richters ist die A.-B. Chaussee Staatsstraße und infolge des Gesetzes vom 8. Juli 1875, betreffend die Ausführung der §§. 5 und 6 des Gesetzes vom 30. April 1873 wegen der Dotation der Provinzial- und Kreisverbände (Gesetzsammlung S. 497), dem Provinzialverbande von Westfalen überwiesen. Weiter stellt der Vorderrichter fest, daß die von den Klägern gerügte Abänderung der Abflußanlagen - der Mulde und des dreiteiligen Durchlasses - aus wegebaupolizeilichen Gründen angeordnet und im wegebaupolizeilichen Interesse ausgeführt sei. Unter Hinweis auf §. 4 des Gesetzes vom 11. Mai 1842 hält er deshalb eine Klage auf Wiederherstellung der alten Anlagen und Beseitigung der Abänderungen, namentlich auch eine Besitzstörungsklage für unzulässig. Die Befugnis, dergleichen wegebaupolizeiliche Anordnungen in Bezug auf die überwiesene Chaussee zu treffen, soll Beklagter infolge des Gesetzes vom 8. Juli 1875 überkommen haben, und, wenn dies auch in dem Gesetz nicht besonders ausgedrückt sei, so soll es doch aus den Bestimmungen desselben, namentlich aus §. 18, mit Notwendigkeit folgen.

Mit Recht rügt die Nichtigkeitsbeschwerde die Unrichtigkeit dieser Annahme.

Land- und Heerstraßen - zu denen nach der Feststellung des Vorderrichters die in Rede stehende Chaussee zu rechnen ist - sind ein gemeines Eigentum des Staates (A.L.R. II. 14. §. 21). Auf sie erstreckt sich nach der Theorie des gemeinen Rechts, wie es zur Zeit der Redaktion des Allgemeinen Landrechts galt, das Wegeregal, und dieses begreift die dem Staat nach den §§. 2 ff. A.L.R. II. 15 zustehenden Rechte der Verfügung über dieselben, der Veränderung, Verlegung und Nutzung derselben. An und für sich folgt aus dem Wegeregal noch nicht das Recht zu polizeilichen Anordnungen in Bezug auf jene Straßen. Dies Recht hat der Staat, weil ihm die allgemeine und oberste Gerichtsbarkeit zusteht (A.L.R. II. 17. §. 3), und dazu gehört auch die Polizeigerichtsbarkeit (§. 10 flg. a. a. O.). Jene gebührt dem Oberhaupt des Staates und ist als ein Hoheitsrecht unveräußerlich (§. 18 a. a. O.). Die Ausübung dieser kann Anderen übertragen werden (§. 19 a. a. O.).

Von einer dergleichen Übertragung bezüglich des Wegebaues konstiert im vorliegenden Falle nichts.

Den im §. 18 jenes Gesetzes genannten Provinzial- resp. Kommunalverbänden wird übertragen: Die Verwaltung, einschließlich der technischen Bauleitung, sowie die Unterhaltung der bereits ausgebauten Staatschausseen etc. (Abs. 1), und zugleich mit dieser Unterhaltung geht das Eigentum an den ausgebauten Staatschausseen nebst allen Nutzungen und Pertinenzien etc. auf die Kommunalverbände über (Abs. 2). Als Zeitpunkt für den Übergang der Verwaltung und der Unterhaltung der Staatschausseen auf die im §.18 aufgeführten Kommunalverbände ist der 1. Januar 1876 bezeichnet (§. 22). Bis zum Erlaß der von den Kommunalverbänden über die Verwaltung der in dem Gesetz genannten Verwaltungszweige zu treffenden Reglements bleiben die bestehenden Verwaltungsvorschriften in Kraft (§. 25).

Sonstige Bestimmungen, welche in der hier fraglichen Beziehung herangezogen werden könnten, sind in jenem Gesetz nicht enthalten.

Übertragen sind sonach nur einzelne, nicht sämtliche, der im Wegeregal liegenden Befugnisse. Von Übertragung der Ausübung polizeilicher Befugnisse erhellt nichts.

Daß eine dergleichen Übertragung auch gar nicht Absicht der gesetzgebenden Faktoren gewesen, ergiebt die Entstehungsgeschichte des Gesetzes.

Allerdings enthält der zunächst dem Hause der Abgeordneten vorgelegte Regierungsentwurf in seinem §. 27 die Bestimmung:

"Der Staatsregierung verbleiben auch nach erfolgtem Übergange der Chausseebauverwaltung auf die im §. 22 gedachten Kommunalverbände die ihr zur Zeit zustehenden landespolizeilichen Befugnisse, sowie die Rechte der kommunalen Oberaufsicht"

und in den Motiven wurde diese Bestimmung "als keiner besonderen Erläuterung bedürftig" bezeichnet (Drucksachen des Hauses der Abgeordneten 1875 Bd. I. Nr. 28). Dieser Paragraph hat nicht Aufnahme in das später publizierte Gesetz gefunden, aber keineswegs aus den von dem Vorderrichter beliebten Erwägungen. In dem Bericht der Kommission des Abgeordnetenhauses (Drucksachen Nr. 144) ist bemerkt, daß die Streichung dieses Paragraphen beantragt sei. Denn, so heißt es daselbst: "das Recht der kommunalen Oberaufsicht und die landespolizeilichen Befugnisse behalte die Staatsregierung, insoweit sie derselben nach allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zustehen, auch ohne die Aufnahme des §. 27 in dieses Gesetz." Der §. 27 wurde dann auch gestrichen. Bei der zweiten (Special-) Beratung im Abgeordnetenhause (Verhandlungen, desselben Bd. II. S. 1414) konstatierte der Präsident, daß bei den §§. 25. 26. 27 keine Anträge vorlägen und publizierte: "Also bis §. 27 einschließlich sind die Kommissionsvorschläge angenommen." Danach war also §. 27 der Regierungsvorlage gefallen (vgl. Zusammenstellung der Regierungsvorlage und der Beschlüsse des Abgeordnetenhauses, Drucksachen Bd. III. Nr. 270). An diesem Resultat ist durch die späteren Verhandlungen nichts geändert (vgl. dritte Beratung des Abgeordnetenhauses, Verhandlungen Bd. III. Nr. 270; Bericht der Kommission des Herrenhauses, Drucksachen des Herrenhauses Nr. 102. 158. 160 - Verhandlungen dieses Hauses S. 543; Schlußberatung des Abgeordnetenhauses, Verhandlungen Bd. III. S. 2102; Schlußberatung des Herrenhauses, Verhandlungen S. 642).

Es ergiebt sich hieraus ganz klar, daß die landespolizeilichen Befugnisse des Staats in Beziehung auf die überwiesenen Chausseen den fraglichen Kommunalverbänden nicht haben übertragen werden sollen und nicht übertragen sind, und daß die hier fraglichen Anordnungen des Beklagten nicht als polizeiliche und den Rechtsweg ausschließende angesehen werden können."