RG, 08.07.1880 - II 61/79
Ist, wenn bei Errichtung einer Aktiengesellschaft ein Aktionär eine auf das Grundkapital anzurechnende Einlage macht, welche nicht in barem Gelde besteht, die gemäß Art. 209b. H.G.B. in dem Gesellschaftsvertrage enthaltene Festsetzung des Wertes der Einlage als ein vom Gesellschaftsvertrage verschiedenes Geschäft im Sinne des Satzes 1 der allgemeinen Vorschriften des Stempeltarifs des preußischen Gesetzes wegen der Stempelsteuer vom 7. März 1822 anzusehen?
Tatbestand
Durch Notariatsakt vom 24. Juli 1872 hatten die seitherigen Teilhaber einer Berg- und Hüttengewerkschaft solche in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, welcher alle im Notariatsakte näher beschriebenen Hütten, Grundstücke, Gebäude u. s. w. gehören sollten. Sodann wurde beurkundet, daß das ganze Aktienkapital (2700000 Thlr.) als gezeichnet und eingezahlt zu betrachten sei, indem die seitherigen Gewerke pro rata ihrer bez. Beteiligung voll eingezahlte Aktien erhielten. - Der Notar hatte zu dem Akte einen Stempel von 15 Sgr. verwendet, der Stempelfiskal defektierte aber einen solchen von 23166 Thlr. 20 Sgr. Letzterer Betrag wurde unter Vorbehalt bezahlt und sodann Klage auf Rückerstattung erhoben, welche in beiden Instanzen im Anschluß an die Gründe zum Plenarurteile des früheren Königl. preuß. Obertribunals vom 20. Dezember 1875, worin die obige Frage bejaht worden, abgewiesen worden ist. -
Als die Sache im Wege der Kassation vor den zweiten Civilsenat des Reichsgerichts gelangte, hatte bereits der vierte Senat in einem Urteile vom 15. Januar 1880 zu Gunsten des Fiskus erkannt. Der zweite Senat beschloß, dieser Ansicht nicht beizutreten, und wurde deshalb die Sache vor die vereinigten Civilsenate verwiesen, welche der entgegengesetzten Ansicht beipflichteten und das Urteil des Appellhofs aus folgenden Gründen:
Gründe
"In Erwägung, daß die einzelnen Positionen im Tarife zum Stempelgesetze vom 7. März 1822 die Geschäfte, von deren Beurkundung der dort beigesetzte Stempel erhoben werden soll, nur mit den civilrechtlichen Benennungen aufführen, und es demnach und in Ermangelung irgend einer entgegenstehenden Vorschrift des Gesetzes, einem Zweifel nicht unterliegen kann, daß auch nur nach den Grundsätzen des Civilrechtes zu beurteilen ist, ob in einem gegebenen Falle die Merkmale eines solchen Geschäftes - also beispielsweise eines Kaufvertrages - vorliegen;
daß aber damit die Annahme ausgeschlossen ist, als ob nach der Bestimmung in Ziffer I der allgemeinen Vorschriften beim Gebrauche des Stempeltarifes, wonach, wenn eine schriftliche Verhandlung verschiedene stempelpflichtige Gegenstände oder Geschäfte enthält, der Betrag des Stempels für jeden dieser Gegenstände und jedes dieser Geschäfte nach den darauf Anwendung findenden Vorschriften besonders zu berechnen ist, - der Begriff des Geschäftes in einem von dessen civilrechtlicher Bedeutung verschiedenen Sinne aufzufassen sei;
daß sodann, wie auch in der Rechtsprechung anerkannt, für den Ansatz des Stempels nur das jeweils beurkundete Geschäft, nicht aber die mit dessen Abschlüsse beabsichtigte oder eingetretene vermögensrechtliche Veränderung zu berücksichtigen, also die unmittelbar oder mittelbar bewirkte Vermögensübertragung nur dann und insoweit mit der Stempelsteuer zu belegen ist, als der Tarif eine solche für das beurkundete besondere Geschäft vorschreibt;
daß hiernach das Einbringen von nicht in Geld bestehendem Vermögen in eine Aktiengesellschaft nicht schon wegen der damit bewirkten Eigentumsübertragung mit dem für Kauf oder Hingabe an Zahlungsstatt (Allerh. Kabinetsordre vom 13. November 1828) festgesetzten Stempel besteuert werden darf, vielmehr zu prüfen ist, ob dieses Einbringen in die Gesellschaft und die Gewährung von Aktien für den Wert desselben sich als ein vom Gesellschaftsvertrage verschiedenes Rechtsgeschäft darstelle und die civilrechtlichen Merkmale des Kaufes oder der Hingabe an Zahlungsstatt an sich trage;
daß nun das angefochtene Urteil bei seiner Feststellung, der Vertrag enthalte, obgleich darin eine Gesellschaft konstituiert worden, außerdem noch alle Momente eines Kaufes oder einer Hingabe an Zahlungsstatt, von der Annahme ausgeht, die rechtliche Natur und Konstruktion einer Aktiengesellschaft erfordere es, daß das Grundkapital derselben, mithin auch die Einlagen, in Geld bestehen;
daß mithin die Richtigkeit der Feststellung von der Richtigkeit der rechtlichen Voraussetzung, auf welcher sie beruht, bedingt, letztere aber rechtsirrtümlich ist;
daß nämlich das Handelsgesetzbuch sowohl bei der offenen Handelsgesellschaft wie bei der Kommanditgesellschaft und bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien unter "Einlage" oder "Vermögenseinlage" nicht nur die in barem Gelde, sondern auch die in anderen Gegenständen gemachte Einlage versteht - vgl. Artt. 85. 91. 92. 95. 106. 108. 150. 161. 165. 171. 180. 181. 197 - mithin die Sprachweise des Gesetzes keinen Anhalt dafür bietet, die Bezeichnung "Einlage" im Art. 207 in einem engeren auf Geldeinlage beschränkten Sinne aufzufassen und zwar umsoweniger, als wie die Vergleichung dieses Artikels mit den Artt. 85. 150 ergiebt, der Schwerpunkt nicht auf "Einlagen", sondern auf das negative Merkmal zu legen ist, daß bei keinem Gesellschafter persönliche Haftung stattfinde;
daß dem Bedürfnisse des kaufmännischen Verkehres und Rechnens entsprechend und in Rücksicht auf die Gewinn- und Verlustverteilung bei allen Gesellschaftsarten eine Schätzung der nicht in barem Gelde bestehenden Einlagen nach Geld als dem allgemeinen Wertmaße stattfinden muß und daher die Artt. 207 a. 209 Ziff. 4. 209 a. 210 Ziff. 4. 216. 217. 219. 220. 221. 222. 223. 225d Ziff. 1. 239a Ziff. 1 und 3. 248 umsoweniger für die Behauptung angeführt werden können, daß die Einlage in eine Aktiengesellschaft nur in barem Gelde bestehen dürfe, als man sonst aus einzelnen dieser Bestimmungen und aus Art. 240 auch die - jedenfalls unstatthafte - Folgerung ziehen könnte, das Vermögen der Gesellschaft (Gesellschaftskapital) müsse fortdauernd in barem Gelde erhalten bleiben; daß die entgegengesetzte Ansicht auch im Art. 180 und in dem diesem nachgebildeten Art. 209 d H.G.B. (Ges. vom 11. Juni 1870) und in der Entstehungsgeschichte beider ihre Widerlegung findet, indem sowohl die Motive zum preußischen Entwurfe des Handelsgesetzbuches (zu den Artt. 159. 183), als auch die Beratungen in der Nürnberger Konferenz, wie endlich auch die Motive zur Novelle vom 11. Juni 1870 anerkennen, daß auch das nicht in barem Gelde bestehende Einbringen gerade so als Einlage gelten solle, wie die Geldeinlage;
daß, was insbesondere den Art. 209b betrifft, die darin vorgeschriebene Schätzung keineswegs als ein rein civilrechtliches Gebot zu dem Zwecke zu betrachten ist, die Einlage als Kaufobjekt zu kennzeichnen, solches vielmehr vorzugsweise auf dem öffentlichen Interesse beruht, Täuschungen der Aktionäre zu verhüten, wie denn auch dem Werte der nicht in barem Gelde bestehenden Einlage nicht ein Preis, sondern die Anzahl der Aktien gegenübergestellt ist, welche für jene gewährt werden und welche den Umfang der Beteiligung bei der Gesellschaft darstellen;
daß der aus den übrigen Vorschriften des Art. 209 d hergeleitete Einwand, derjenige, welcher eine nicht in barem Gelde bestehende Einlage mache, kontrahiere nicht als Gesellschafter mit allen übrigen Gesellschaftern, sondern als Dritter mit der Gesellschaft, verkennt, daß die Billigung des unter der (gesetzlichen) Bedingung der Genehmigung abgeschlossenen Gesellschaftsvertrages in der Generalversammlung der Aktionäre nicht den Abschluß eines neuen, gesonderten Vertrages der Aktiengesellschaft mit dem Aktionäre darstellt, welcher die nicht in barem Gelde bestehende Einlage geleistet hat, und überdies auf der, nach dem Ausgeführten unrichtigen, Unterstellung beruht, die nicht in barem Gelde geschehene Einlage entbehre den rechtlichen Charakter der Einlage, und sei eben deshalb ein besonderer Vertrag mit einem solchen Aktionäre erforderlich;
daß in allen den Fällen, wo der Betrieb einer Anlage oder eines bestimmten Geschäftes den Anlaß zur Errichtung einer Aktiengesellschaft gegeben hat, der Natur der Sache nach die Absicht bei Konstituierung der Gesellschaft nicht sowohl auf das allseitige Zusammenschießen von Geld als vielmehr auf das Einbringen eben dieser Anlage oder dieses Geschäftes gerichtet ist und zwar nicht für einen Preis, sondern für die in den Aktien sich darstellende Beteiligung des Einbringenden an der Gesellschaft;
daß es übrigens unerheblich ist, ob thatsächlich oder auch im Sinne des Gesetzes die Einlage von Geld die Regel bilde, da, wenn die Einlage von anderen Gegenständen auch nur ausnahmsweise vorkäme oder gestattet wäre, sie immerhin den rechtlichen Charakter als Einlage behielte, und daher in keinem Falle diese Festsetzung als ein neben dem Gesellschaftsvertrage bestehender, mit demselben nur in Verbindung gebrachter besonderer Vertrag, sondern immer eine derjenigen Abreden darstellte, welche in ihrer Gesamtheit den individuellen Gesellschaftsvertrag ausmachen;
daß demnach das angefochtene Urteil, weil es einen Bestandteil des einheitlichen Gesellschaftsvertrages loslöst und als besonderes Geschäft behandelt, nicht nur die bereits erwähnten Bestimmungen des Handelsgesetzbuches, sondern auch die Ziffer I der allgemeinen Vorschriften über den Gebrauch des Tarifs zum Gesetze vom 7. März 1822 verletzt und deshalb zu kassieren ist."