RG, 12.05.1880 - I 804/79

Daten
Fall: 
Korrespondentrheder
Fundstellen: 
RGZ 1, 295
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.05.1880
Aktenzeichen: 
I 804/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Kreisgericht Stralsund
  • Appellationsgericht Greifswald

Ist der Korrespondentrheder Dritten gegenüber verpflichtet, die Rhederei vor Gericht zu vertreten?

Gründe

"Der Appellationsrichter hat die gegen die Rhederei des Schiffes "Emma u. Carl" erhobene Klage abgewiesen, weil der von der Rhederei bestellte Korrespondentrheder B., welchem die Klage zugestellt ist, sich geweigert hat, die Vertretung der Rhederei in diesem Rechtsstreite zu übernehmen. Der dem Appellationsrichter in der Nichtigkeitsbeschwerde gemachte Vorwurf, hierdurch die Artt. 42. 114. 117. 137. 144. 167. 227. 230. 235. 279. 459. 460. 462. 463 und 475 H.G.B., sowie den Rechtsgrundsatz:

"Der gemäß Art. 459 H.G.B. bestellte Korrespondentrheder ist zu gerichtlicher Vertretung seiner Rhederei, namentlich zur Annahme von Zustellungen, und Ladungen, so verpflichtet als berechtigt"

verletzt zu haben, ist unbegründet und den Ausführungen des Appellationsrichters kann vielmehr im wesentlichen nur beigetreten werden.

Nach Art. 459 H.G.B. kann für den Rhedereibetrieb ein Korrespondentrheder bestellt werden. Der Korrespondentrheder ist daher nicht das notwendige Organ zur Vertretung der Rhederei. Die Bestimmung des dem Art. 459 H.G.B. zu Grunde liegenden Art. 398 des preußischen Entwurfes, nach welcher die Bestellung eines Korrespondentrheders obligatorisch sein sollte, ist vielmehr schon bei der ersten Beratung des Seerechtes von der Kommission abgelehnt, nachdem das Bedürfnis, ja die Zweckmäßigkeit einer solchen Bestimmung mit großer Mehrheit verneint war (vgl. Protokolle S. 1520 ff.). Nur das mecklenburg-schwerin'sche Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuche hat abweichend hiervon im §.51 bestimmt, jedes Schiff, welches mehreren Eigentümern gehöre, müsse einen Korrespondentrheder haben. Abgesehen von dieser, auch bei Einführung des Handelsgesetzbuches als Reichsgesetz aufrecht erhaltenen (vgl, §.4 des Einführungsgesetzes vom 5. Juni 1869), hier jedoch nicht zur Anwendung kommenden, besonderen landesgesetzlichen Bestimmung, bedarf daher die Rhederei zu ihrem Verkehre mit Dritten eines Korrespondentrheders gesetzlich nicht, wird vielmehr in demselben an sich von den einzelnen Mitrhedern vertreten, wie denn auch die geschehene Bestellung eines Korrespondentrheders nach Art. 459 Abs. 2 H.G.B. jederzeit durch Stimmenmehrheit widerrufen werden kann und derselbe nach Art. 460 im Verhältnisse zu Dritten nicht zur Vornahme von Geschäften und Rechtshandlungen schlechthin, sondern nur von solchen, welche der Geschäftsbetrieb einer Rhederei gewöhnlich mit sich bringt, befugt ist.

Die Stellung des Korrespondentrheders ist hiernach ein auf dem freien Willen der Rhederei beruhendes Auftrags- und Vollmachts-Verhältnis. Der Inhalt und Umfang desselben sowohl Dritten als der Rhederei gegenüber ist allerdings durch die Artt. 460 bis 466 H.G.B. gesetzlich fixiert. Der Art. 460, welcher den Umfang der dem Korrespondentrheder kraft seiner Bestellung im Verhältnisse zu Dritten zustehenden Befugnisse zum Gegenstande hat, erklärt ihn laut Abs. 3 in demselben Umfange (wie zur Vornahme von Geschäften und Rechtshandlungen) auch für befugt, die Rhederei vor Gericht zu vertreten. Daraus, daß er hierzu befugt ist, folgt aber an sich noch keineswegs, daß er dem betreffenden Dritten gegenüber auch dazu verpflichtet ist, daß dritte Personen das Recht haben, ihn gegen seinen Willen als Vertreter der Rhederei gerichtlich zu belangen. Vielmehr spricht dagegen schon der Umstand, daß im Abs. 3 derselbe Ausdruck "befugt" gebraucht wird, wie in den übrigen, von außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen redenden Absätzen, und daß von einem Rechte Dritter, die Vornahme solcher Geschäfte oder Rechtshandlungen vom Korrespondentrheder zu verlangen, offenbar nicht die Rede sein kann. Auch ist in den Beratungsprotokollen S. 1526-1528 immer nur von einer Vollmacht, resp. Befugnis des Korrespondentrheders die Rede. Der Appellationsrichter hat daher mit Recht angenommen, daß der Art. 460 H.G.B. nur den Umfang und die Grenzen der Befugnisse des Korrespondentrheders im Verhältnisse zu Dritten festsetzen, d. h. bestimmen will, welche Geschäfte und Rechtshandlungen derselbe kraft seiner Bestellung mit einer unmittelbar für die Rhederei daraus entstehenden Verbindlichkeit vornehmen kann (vergl, Art. 461 H.G.B.) und wie weit daher Dritte sich mit dem Korrespondentrheder ohne Gefahr einlassen können. Bestätigt wird diese Auslegung des Art. 460 durch den vom Appellationsrichter ebenfalls bereits hervorgehobenen Umstand, daß (laut S. 3742 der Protokolle) bei der zweiten Lesung des Seerechtes dem Vorschlage, den Art. 410 (jetzt Art. 460) dahin zu erweitern, daß der Korrespondentrheder Dritten gegenüber auch die Verpflichtung zur Übernahme der Vertretung habe, im Hinblicke darauf, daß auch beim Prokuristen von ähnlichen Bestimmungen Umgang genommen sei, keine Folge gegeben wurde, und daß (vgl. Protokolle S. 950) ein in betreff des Prokuristen zu Art. 42 H.G.B. beantragter Zusatz:

"die Behändigung von gerichtlichen Vorladungen und von deren Zustellungen in Handelssachen geschieht mit gleicher Wirksamkeit an den Prinzipal oder den Prokuristen; letzterer kann die Annahme nicht verweigern"

wieder zurückgezogen wurde, weil diese Bestimmung teilweise für bedenklich, soweit sie aber gerechtfertigt sei, für selbstverständlich gehalten wurde. Es ist hiernach entschieden nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen, daß der Korrespondentrheder die prozessuale Vertretung der Rhederei wider seinen Willen auf Verlangen eines Dritten übernehmen müsse, und daß ihm in Ermangelung seiner Bereitschaft zur prozessualen Vertretung der Rhederei Klagen gegen dieselbe mit Wirksamkeit behändigt werden könnten. Auch ein praktisches Bedürfnis des Verkehres würde sich für das Gegenteil nicht geltend machen lassen, da nach Art. 475 H.G.B. sämtliche Mitrheder wegen jedes Anspruches eines Mitrheders oder eines Dritten vor dem Gerichte des Heimatshafens des Schiffes belangt werden können, und nach §. 6 Nr. 5 des Reichsgesetzes, betreffend die Nationalität der Kauffahrteischiffe, vom 25. Oktober 1867 aus dem Schiffsregister ersichtlich ist, wer Mitrheder ist.

Zur Unterstützung obiger Gesetzesauslegung ist auch noch auf den Sprachgebrauch des Handelsgesetzbuches hinzuweisen. Denn während in Artt. 42 und 460 beim Prokuristen und Korrespondentrheder nur von einer Ermächtigung, beziehungsweise Befugnis zu gerichtlichen Rechtshandlungen, beziehungsweise zur Vertretung vor Gericht die Rede ist, wird in Artt. 117. 137, verbunden mit Artt. 144 Abs. 3. 167 und 227 verbunden mit Art. 235 in betreff der von der Befugnis, die offene Gesellschaft zu vertreten, nicht ausgeschlossenen Gesellschafter, in betreff der Liquidatoren, der bei einer Kommanditgesellschaft persönlich haftenden Gesellschafter und des Vorstandes von Aktiengesellschaften der abweichende Ausdruck gebraucht: " wird vor Gericht vertreten", beziehungsweise " haben zu vertreten", und dabei ausdrücklich bestimmt, daß es zur Behändigung von Vorladungen und Zustellungen genüge, wenn dies an eine der hier bezeichneten zur Vertretung berechtigten Personen geschehe. Alle diese Bestimmungen beziehen sich aber auf die natürlichen, bezw. gesetzlichen Organe eines Rechtssubjektes. Hätte der Gesetzgeber beabsichtigt, die gleichen Bestimmungen auch für fakultative Vertreter (wie der Prokurist und Korrespondentrheder es sind) zu treffen, so würde er, wie anzunehmen ist, auch hinsichtlich ihrer sich ähnlich ausgedrückt und dieselbe Bestimmung getroffen haben. Vgl. von Hahn, Kommentar, 3. Aufl. §. 5 zu Art. 47.

Der Korrespondentrheder ist hiernach Dritten gegenüber, soweit es sich um Geschäfte handelt, welche der Betrieb einer Rhederei gewöhnlich mit sich bringt, nach Art. 460 H.G.B. zwar legitimiert, aber nicht verpflichtet zur prozessualen Vertretung seiner Rhederei, und nur wenn er den Prozeß freiwillig aufnimmt, hat die an ihn geschehene Zustellung rechtliche Wirkung für die Rhederei. Lehnt er die Prozeßführung ab, so hat die Zustellung der Klage an die einzelnen (im vorliegenden Falle vom Kläger nicht benannten) Mitrheder zu erfolgen. Die Existenz des in der Nichtigkeitsbeschwerde aufgestellten Rechtsgrundsatzes kann nicht anerkannt werden.

Da im vorliegenden Falle noch das frühere Prozeßrecht zur Anwendung kommt, bedarf es keines Eingehens auf die Frage, ob und inwieweit der, freilich direkt nur vom Prokuristen und Generalbevollmächtigten redende §. 159 der deutschen Civilprozeßordnung hierin etwas geändert hat."