RG, 21.04.1880 - V 6/79
1. Kann der Grundeigentümer im Rechtswege oder nur im Verwaltungswege verlangen, daß dem Bergwerksbesitzer die Zuleitung von Grubenwasser in einen Privatfluß untersagt wird?
2. Ist der Bergwerksbesitzer ohne vorhergegangenes Enteignungsverfahren zur Zuleitung von Grubenwasser in einen Privatfluß befugt?
3. Steht dem durch die Zuleitung beschädigten Grundeigentümer nur ein Anspruch auf Entschädigung zu, oder auch das Recht, die Abstellung der Zuleitung zu verlangen?
Tatbestand
Die Beklagte bestreitet die Zulässigkeit des Rechtsweges und wendet ein, daß die Benutzung des Baches zur Ableitung des Grubenwassers für ihren Bergbaubetrieb notwendig sei.
In erster Instanz ist Kläger abgewiesen. Das Appellationsgericht erachtete dagegen die Beklagte nicht für befugt, das Grubenwasser in den Seiden-Holterbach in der Art abzuleiten, daß es in die Gräben und Teiche des Klägers dringen könne, vielmehr für verpflichtet, Anstalten zu treffen, daß solches Eindringen vermieden werde.
Die von der Beklagten eingelegte Nichtigkeitsbeschwerde ist vom Reichsgericht zurückgewiesen worden.
Nachdem in den Gründen vorausgeschickt ist, daß der Appellationsrichter den Rechtsweg für zulässig erklärt und die Nichtigkeitsbeschwerde diese Ansicht unter Berufung auf §. 3 des Gesetzes vom 28. Februar 1843 und §. 196 des Allgemeinen Berggesetzes angegriffen hat, heißt es in dem Erkenntnis:
"Der §. 3 des Gesetzes vom 28. Februar 1843 über die Benutzung der Privatflüsse lautet:
Das zum Betriebe von Färbereien, Gerbereien, Walken und ähnlichen Anlagen benutzte Wasser darf keinem Flusse zugeleitet werden, wenn dadurch der Bedarf der Umgegend an reinem Wasser beeinträchtigt oder eine erhebliche Belästigung des Publikums verursacht wird.
Die Entscheidung hierüber steht der Polizeibehörde zu. Ob diese Vorschrift sich auf die aus den Bergwerken ablaufenden Grubenwasser bezieht, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist hier der Polizeibehörde nur die Wahrung des öffentlichen Interesses anheimgegeben. Bezüglich fraglicher Privatrechte tritt das ordentliche Prozeßverfahren ein, wie von dem preußischen Ober-Tribunal wiederholt - namentlich auch bezüglich der Beschädigungen durch Grubenwasser - angenommen worden ist.1
Der ferner in Bezug genommene §. 196 des Allgemeinen Berggesetzes unterstellt der polizeilichen Aufsicht der Bergbehörden in Abs. 2 alinea 4 den Schutz gegen gemeinschädliche Einwirkungen des Bergbaues, handelt also auch nicht von Verletzung von Privatrechten.
Die vom Appellationsrichter ausgesprochene Verurteilung der Verklagten zur Errichtung von Anstalten, durch welche das Eindringen des schädlichen Grubenwassers in die Grundstücke, Gräben und Teiche des Klägers verhindert wird, beruht auf der Erwägung:
daß der Bergwerkseigentümer im allgemeinen zur Zuleitung der dem Nachbar schädlichen Grubenwässer nicht befugt sei, und seine Rechte dem Grundeigentümer gegenüber durch die. im §. 135 Allgemeinen Berggesetzes ihm eingeräumten Expropriationsrechte bestimmt seien, daß die Beklagte auch kein specielles Recht für diese Ableitung dargethan habe, und daß ihr Einwand - die Ableitung des Grubenwassers in den Seiden-Holterbach sei für den Betrieb ihres Bergbaues notwendig - thatsächlich nicht substanziiert und rechtlich unbegründet sei.
Die Nichtigkeitsbeschwerde behauptet hier Verletzung von §§. 50 flg. 54.58.135.136.196 des Allgemeinen Berggesetzes, §. 1 des Gesetzes v, 28. Febr. 1843, §§. 135.148 des Allgemeinen Berggesetzes, §. 79 A.L.R. 6.1."
Es wird nun bemerkt, daß die Entscheidung des Appellationsrichters, soweit sie auf thatsächlichen Gründen beruht, den Angriffen der Nichtigkeitsbeschwerde unzugänglich sei, und es lauten die Gründe sodann:
Gründe
"Aus §. 1 des Gesetzes vom 28. Februar 1843, der durch Nichtanwendung verletzt sein soll, steht der Nichtigkeitsbeschwerde auch kein Angriff zu. Dieser Paragraph handelt in Verbindung mit §§. 13 flg. von den Rechten des Uferbesitzers, und es enthält weder das zweite Erkenntnis noch das in Bezug genommene erste die Feststellung, daß die Beklagte ein Stück Ufer an dem Seiden-Holterbach, in den sie das Grubenwasser ableitet, besitzt. Übrigens berechtigt das in den allegierten Paragraphen des Gesetzes vom 28. Februar 1843 dem Uferbesitzer eingeräumte Benutzungsrecht an dem im Privatfluß vorhandenen Wasser den Uferbesitzer nicht zur Zuleitung von fremdem Wasser, insbesondere nicht von schädlichen Grubenwässern. Hierin liegt nicht die gestattete Benutzung des Flußwassers, sondern eine Verwertung des durch das Bett des Privatflusses geschaffenen Abzugs-Kanales, die in dem angeführten Gesetze nicht für erlaubt erklärt wird. Dem Princip nach darf auch die Benutzung seitens des einen Uferbesitzers in den Rechtskreis der Benutzung des anderen Uferbesitzers, der ebenfalls reines und brauchbares Wasser zu beanspruchen hat, nicht hinübergreifen, vergleiche die Gründe des Plenarbeschlusses des preußischen Ober-Tribunales vom 7. Juni 1862, Entscheidungen Bd. 23 S. 252. 259. 261. 263, falls nicht besondere gesetzliche Vorschriften maßgebend sind.
Im übrigen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde gegen die vom Appellationsrichter hervorgehobene Notwendigkeit eines Expropriationsverfahrens. Es wird ausgeführt, daß die Zuleitung ohne Expropriation statthaft sei und daß der Grundeigentümer nur einen Entschädigungsanspruch habe, sich aber die, wenn auch schädliche Zuleitung gefallen lassen müsse.
Dieser Ausführung kann nicht beigetreten werden.
Die früheren Vorschriften über das Expropriationsrecht des Bergwerkseigentümers, insbesondere die Deklaration v. 27. Oktober 1804 (Rabe, Samml. Bd. 8 S. 202) sind durch das Allgemeine Berggesetz geändert. Nach diesem neuen Gesetz ist nur die Überlassung eines fremden Grundstückes zur Benutzung Gegenstand des Rechtes des Bergwerkseigentümers, und nur zur Herstellung der in dem §. 135 genannten bergbaulichen Anlagen kann die Abtretung verlangt werden. Eine analoge Ausdehnung ist unstatthaft.2
Wasserberechtigungen (das heißt Wasserbenutzungsrechte) unterliegen dem Expropriationsrechte nicht.3
Der Appellationsrichter deutet zutreffend den von der Beklagten einzuschlagenden Weg an, indem er sagt:
"Das im §. 135 des Berggesetzes eingeräumte Expropriationsrecht genüge vollständig, der §. 135 erwähne auch ausdrücklich die Wasserläufe als eine Anlage, zu deren Herstellung der Bergwerksbesitzer die Grundabtretung verlangen könne."
Die Beklagte kann, wenn ihr dies zweckdienlich erscheint, das Benutzungsrecht an geeignet gelegenen Grundstücken erwerben, um auf denselben einen Kanal zur Ableitung der Grubenwässer anzulegen, oder um zur Befreiung derselben von den schädlichen Stoffen Klärteiche oder andere Anstalten zu errichten. Selbst die Erwerbung von Privatflüssen im Wege der Expropriation wird für zulässig erachtet.4
Inwieweit dies ausführbar ist, da der §. 135 dem Bergwerkseigentümer kein Recht auf Eigentumserwerb, sondern nur das Recht auf Abtretung zur Benutzung zugesteht, kann dahin gestellt bleiben, zumal über diese Fragen lediglich die Verwaltungsbehörden zu befinden haben würden (§. 142 Berggesetz).
Die Nichtigkeitsbeschwerde beruft sich für ihre Ansicht, daß es überhaupt keines Expropriationsverfahrens bedürfe, auf die Ausführung in Achenbachs gemeinem deutschen Bergrecht (S. 170 ff. §. 51). Hier wird im Anschluß an eine gleiche, auf die frühere Gesetzgebung gestützte Ansicht von Strohn ( Brasserts Zeitschrift Bd. 7 S. 109) der Nachweis versucht (S. 174), daß der Bergwerkseigentümer da, wo die betreffende Wasserzuführung zum Betriebe des Bergbaues erforderlich ist, was durch Sachverständige nachzuweisen sei (S. 177), hierzu ohne jegliches amtliches Verfahren befugt sei, ohne sich der Gefahr der Untersagung durch die Gerichte auszusetzen (S. 176), und daß dem beschädigten Grundeigentümer in einem solchen Falle nur ein Anspruch auf Entschädigung zustehe (S. 174. 175). Klostermann in dem Lehrbuche S. 301 und Anm. 4 ist, allerdings unter erheblichen Modifikationen und unter der Voraussetzung, daß der Bergwerkseigentümer zuvor Uferbesitzer und Adjacent wird, gleicher Ansicht.
In dieser Allgemeinheit kann diese Ausführung als richtig nicht anerkannt werden. Aus der im Bergwerkseigentume enthaltenen Befugnis, alle Vorrichtungen unter und über Tage zu treffen, die erforderlich sind, um das verliehene Mineral zu gewinnen (§. 54), aus dem Rechte zur Anlegung von Hilfsbauten (§. 60), und aus dem Expropriationsrecht (§§. 64.135 flg.) ergiebt sich eine so umfassende Berechtigung des Bergwerkseigentümers nicht. Selbst bei gewöhnlichen Beschädigungen durch den Bergbau gilt nach der Rechtsprechung des preußischen Ober- Tribunales der richtige Satz, daß zunächst alles so viel als möglich in den früheren Zustand versetzt werden muß (§. 148 Berggesetz, A.L.R. I. 6. §§. 79 ff.). Es ist also doch vor allem die Beschädigung möglichst zu verhüten. Das Bergwertseigentum ist vor dem Grundeigentume gesetzlich bevorzugt. Diese Bevorzugung gilt aber eben nur in den vom Gesetze gezogenen Schranken."
- 1. Amtl. Anm.: Erkenntnis des 3. Senats, 19. Juni 1865. Brassert, Zeitschrift für Bergrecht Bd. 7 S. 95. - Erk. des 2. Senats, 14. Juli 1864. Striethorst, Bd. 53 S. 335. - Erk. des 5. Senats, 27. Juni 1865. Striethorst, Bd. 60 S. 82. 98. - Erk. des 3. Senats, 7. Juli 1879 Nr. 341/111. - Nieberding, Wasserrecht und Wasserpolizei im preußischen Staate S. 47, 142 Abs. 2. u. 3. 149.
- 2. Amtl. Anm.: Vgl. Motive zur Regierungsvorlage S. 83. 84. - Motive zu dem Entwurf eines allgemeinen Berggesetzes vom Jahre 1862 S. 126. Klostermann, Lehrbuch des preußischen Bergrechts S. 297. Oppenhoff, das Allgemeine Berggesetz Nr. 740.
- 3. Amtl. Anm.: Motive Pro 1865 S. 84. - Motive pro 1862 S. 126. Klostermann, a. a. O. S. 309 unten. Oppenhoff, Nr. 740. 745. Achenbach, das gemein, deutsche Bergrecht Bd. 1 S. 169.
- 4. Amtl. Anm.: Achenbach, das allgemeine deutsche Bergrecht S. 169. Klostermann, a. a. O. S. 300. Oppenhoff, a. a. O. Nr. 745. 746.