RG, 22.01.1880 - I 870/80

Daten
Fall: 
Übernahme der Sicherheitsbestellung
Fundstellen: 
RGZ 3, 21
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.01.1880
Aktenzeichen: 
I 870/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Berlin
  • Kammergericht Berlin

Kann der auf Grund des Haftpflichtgesetzes zum Schadensersatz und zur Sicherheitsbestellung Verurteilte vom Unfallsversicherer auch die Übernahme der Sicherheitsbestellung verlangen?

Tatbestand

Laut Police hatte die beklagte Versicherungsgesellschaft dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1874 bis dahin 1875 "denjenigen Schadensersatz versichert, welchen das deutsche Reichsgesetz vom 7. Juni 1871 ... den Versicherungsnehmer eines jeden der in seinen Kalksteinbrüchen ... beschäftigten 180 Personen zu leisten verbindet." Diese Versicherung wurde für das Jahr 1875 verlängert.

Am 2. Februar 1875 verunglückte der Steinbrecher K. auf den klägerischen Werken und wurde dadurch arbeitsunfähig. Durch rechtskräftiges Erkenntnis des Oberlandesgerichts zu Köln wurde der Kläger verurteilt, dem K. eine jährliche Rente von 720 M, monatlich 60 M. im voraus, zu zahlen und in Höhe der auf 14400 M. kapitalisierten Rente vollständige Sicherheit zu bestellen, nach fruchtlosem Ablauf eines Monats aber sine Kapitalsumme von solcher Höhe, daß aus den Zinsen derselben die zugesprochene Rente entrichtet werden könne, an einen vom Kläger zu honorierenden, vom Gericht ernannten Sequester zu zahlen, welcher dieses Kapital nach dem Tode des K. an den Kläger zurückzahlen sollte.

Die Beklagte übernahm die Verpflichtung, dem Kläger die Rente zu ersetzen, bestritt aber ihre Verpflichtung zur Bestellung der Sicherheit. In der vorliegenden Klage verlangt der Kläger die Verurteilung, der Beklagten zur Bestellung dieser Sicherheit.

Der erste Richter hat dem Klagantrage gemäß erkannt. Auf Berufung der Beklagten hat der zweite Richter dieses Urteil aufgehoben und den Kläger mit seiner Klage abgewiesen. Auf Revision des Klägers hat das Reichsgericht das zweite Urteil aufgehoben, das erste wiederhergestellt und die Berufung gegen das erste Urteil zurückgewiesen aus folgenden Gründen.

Gründe

"Der Berufungsrichter kommt durch Interpretation des Reichshaftpflichtgesetzes zu dem Ergebnis, daß nur die Rente, welche der Betriebsunternehmer dem beim Betriebe Verunglückten zu zahlen hat, den nach diesem Gesetz zu leistenden Schadensersatz bilde, daß die für diese Leistung zu bestellende Sicherheit kein Bestandteil des Schadensersatzes, sondern nur Gegenstand einer Nebenverpflichtung sei, welche ihren Grund in den Vermögensverhältnissen des Schadensersatzpflichtigen habe. Der Revisionskläger greift diese Auslegung als rechtsirrtümlich an.

Erwägt man, daß nach §. 7 Abs. 1 des Haftpflichtgesetzes der Richter nicht nur über die Art der Sicherstellung, sondern auch über die Voraussetzungen des Anspruches auf Sicherheitsleistung unter Würdigung aller Umstände nach freiem Ermessen zu erkennen hat, und daß nach dem letzten Absatz des §. 7 nur für die nachträgliche Erhöhung einer Sicherheit die Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Verpflichteten ausschließlich in Frage kommt, mithin für die ursprünglich zuerkannte Sicherheit die sonstigen Bestimmungen über die Voraussetzungen der Sicherstellung aufgehoben sind, so erscheint allerdings die Frage zulässig, ob nicht hierdurch die auf Grund des Haftpflichtgesetzes zuerkannte Sicherheitsleistung eine besondere rechtliche Natur gewonnen habe und als ein Teil des dem Verunglückten zu gewährenden Schadensersatzes zu betrachten sei.

Allein es bedarf im vorliegenden Falle einer Entscheidung dieser Frage nicht, weil der Berufungsrichter im übrigen gegen wesentliche Interpretationsregeln verstoßen hat und die Revision darum begründet erscheint.

Im angefochtenen Urteil wird der Inhalt und Umfang des von den Parteien eingegangenen Versicherungsvertrages lediglich aus dem Wortlaut der Police entnommen und diese Interpretation nur auf dasjenige gestützt, was sich dem Berufungsrichter zufolge der angestellten Interpretation des Haftpflichtgesetzes im Verhältnis zwischen dem aus diesem Gesetz Berechtigten und Verpflichteten als Begriff des Schadensersatzes ergeben hatte. Dagegen fehlt es einmal an jeder Untersuchung darüber, ob dieser Wortlaut dem wirklichen Vertragswillen der Parteien entspricht; und doch ist eine solche Untersuchung insbesondere bei Verträgen, welche, wie der Versicherungsvertrag, in eminentem Sinn auf der bona fides beruhen, durchaus notwendig; ferner wird aber auch nicht einmal der gesamte Inhalt der Police in Betracht gezogen. Ignoriert wird die in der Police enthaltene allgemeine Bezugnahme auf den Geschäftsplan der Beklagten ("nach Maßgabe ihres Plans") und die Anführung mehrerer Einzelbestimmungen des Plans in der Police. Allerdings wird in den Entscheidungsgründen der Geschäftsplan und insbesondere dessen §. 3 Nr. 2b berücksichtigt, allein diese Bestimmung wird nur für sich geprüft und deduziert, aus derselben lasse sich die Entscheidung nicht entnehmen; es bliebe daher nur die Police übrig. Nicht aber wird die Frage aufgeworfen, ob nicht aus den Bestimmungen des Plans sich ergebe, daß ein auf Grund desselben abgeschlossener Versicherungsvertrag etwa einen anderen Charakter habe, als die Worte der Police annehmen lassen, und ob also nicht gerade die Bezugnahme der Police auf denselben von besonderer Bedeutung sei.

Ist nun aber hiernach die Revision als begründet zu erachten, so kann weiter aus dem vom Berufungsrichter festgestellten Sachverhältnis der Rechtsstreit selbst entschieden werden.

Die Police enthält in ihrem ersten Satz folgende Erklärung des Versicherers:

"Die Gesellschaft Pr. versichert dem ... Sch. ... denjenigen Schadensersatz, welchen das ..... Haftpflichtgesetz ..... den Versicherungsnehmer einer jeden der in seinen Kalksteinbrüchen ..... beschäftigten .....180 Personen zu leisten verbindet."

Beschränkt man sich, von allem anderen absehend, hierauf, so ergiebt sich aus den angeführten Worten die Verpflichtung des Versicherers, dem Versicherungsnehmer denjenigen Schadensersatz zu erstatten, welchen dieser dem Verunglückten auf Grund des Haftpflichtgesetzes zu zahlen schuldig ist. Daraus folgt: Entsteht zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer eine Differenz darüber, ob die Voraussetzungen vorliegen, unter welchen der Versicherungsnehmer einem Verunglückten Schadensersatz zu leisten hat, und über die Höhe dieses Schadensersatzes, so ist hierüber in dem zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer geführten Rechtsstreit zu entscheiden. Ob der Versicherungsnehmer mit dem Verunglückten einen Prozeß geführt, ob er in demselben zum Schadensersatz verurteilt war, wie hoch dieser Schadensersatz festgestellt ist, kommt als eine res inter alios acta nicht in Betracht. Aus dem Begriff der Versicherung folgt nur, daß der Versicherungsnehmer dem Verunglückten die Entschädigung, deren Ersatz er vom Versicherer verlangt, tatsächlich gewährt haben muß, da sonst sein Interesse nicht begründet ist.

Der Versicherungsnehmer kann sonach dann, wenn der im Prozeß zwischen ihm und dem Versicherer erkennende Richter der Ansicht ist, es liege kein Haftpflichtfall vor, nichts zugesprochen erhalten, wenngleich er auf die vom Verunglückten gegen ihn erhobene Klage verurteilt worden war.

Ebenso wird dem Versicherungsnehmer, wenn zwar auch in jenem Prozeß die Voraussetzung der Haftpflicht anerkannt, aber nur eine geringere Entschädigung für angemessen angenommen worden war, nur diese geringere Entschädigung, nicht aber die von ihm dem Verunglückten gezahlte höhere zugesprochen. Der Versicherungsnehmer hat also die Gefahr beider Prozesse, genauer die Gefahr des ungünstigen Ausganges derselben, zu tragen.

Es bedarf keiner Ausführung, daß die Eingehung eines derartigen Rechtsverhältnisses, wenn auch rechtlich möglich, doch vom wirtschaftlichen Standpunkt aus unvernünftig erscheinen muß. In der That kommen nun auch derartige Verträge im Leben nicht vor. Abgeschlossen werden regelmäßig Versicherungsverträge mit einem anderen Inhalt.

Der Nachteil, gegen welchen der Unternehmer eines Betriebes Deckung sucht, ist nicht der, daß auf Grund des Haftpflichtgesetzes eine Forderung gegen ihn entsteht, sondern daß er auf Grund des Haftpflichtgesetzes verurteilt wird. Diesem Bedürfnis kommt der Versicherer entgegen. Er verpflichtet sich in der Regel, das Urteil, welches zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Verunglückten ergehen werde, als sich gegenüber maßgebend anzuerkennen; maßgebend nicht nur, was die Höhe der Entschädigung betrifft, sondern maßgebend vor allem betreffs des Bestehens der Voraussetzung eines Haftpflichtfalles. Dadurch wird nun aber auch das Objekt der Versicherung rechtlich ein völlig anderes. Nicht die Gefahr des Eintrittes eines Haftpflichtfalles, sondern die Gefahr der Verurteilung auf Grund des Haftpflichtgesetzes bildet den Gegenstand der Versicherung.

Diesen Inhalt, nicht den aus den oben angeführten Worten sich ergebenden, hat nun aber auch in der That der vorliegende Versicherungsvertrag, wie sich aus dem Geschäftsplane des Beklagten ergiebt.

In §. 3 des Planes heißt es unter der Rubrik: Ersatzleistung: "die Feststellung darüber, welche Entschädigung für den Unfall zu leisten ist, erfolgt:
b) wenn eine Vereinbarung, (welche nach lit. a "zunächst zu versuchen ist") nicht möglich war, durch das im Prozeß zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Verletzten ... ergangene rechtskräftige Erkenntnis."

Dem Wortlaute nach scheint es sich zwar nur um die Art zu handeln, wie der Umfang der Entschädigung festgestellt werde, allein in der That hat die Bestimmung eine andere rechtliche Bedeutung.

Das fragliche Urteil stellt als solches das Rechtsverhältnis zwischen dem Verunglückten und dem Versicherungsnehmer fest. Wenn nun der Versicherungsvertrag bestimmt, die Feststellung der Ersatzleistung erfolge dem Versicherer gegenüber durch dieses Urteil, so ist damit ausgesprochen: einen erzwingbaren Anspruch hat der Versicherungsnehmer nur unter der Voraussetzung, daß er dem Verunglückten gegenüber verurteilt ist, und in Höhe dieses Urteils. Damit aber ist der Inhalt des Vertrages selbst dahin präcisiert, daß der Versicherer dem Versicherungsnehmer dasjenige zu zahlen verspricht, zu was dieser auf Grund des Haftpflichtgesetzes verurteilt wird.

In ähnlicher Weise übernimmt bei Seeversicherungen der Versicherer nicht die Verpflichtung zum Ersatz derjenigen Beiträge, welche der Versicherte zur großen Havarie zu leisten durch das Gesetz verbunden ist, sondern er hat diejenigen Beiträge zu ersetzen, welche in der ordnungsmäßig aufgemachten Dispache festgestellt sind. Artt. 839, 841 Abs. 1 H.G.B. Der Gegensatz tritt durch die Bestimmung des Art. 841 Abs. 3 H.G.B. prägnant hervor.

Mit dieser Auffassung der Verpflichtung des Versicherers harmoniert es auch vollständig, daß nach dem Plane

"im Klagefalle der Versicherungsnehmer verpflichtet ist, die gegen ihn anhängig gemachte Klage ... binnen drei Tagen der Direktion der Gesellschaft zuzustellen und derselben zur Vertretung im Prozeß die Wahl und Instruktion des Anwaltes zu überlassen, auch jede von ihm verlangte Auskunft zu erteilen etc.."

Dem Versicherer wird hierdurch die Möglichkeit gegeben, sich im einzelnen Falle nach Möglichkeit zu sichern gegen den Eintritt desjenigen Ereignisses, durch welches der zu ersetzende Schade entsteht, d. i. gegen die Verurteilung des Versicherungsnehmers auf Grund des Haftpflichtgesetzes.

Bildet nun aber die Leistung, zu welcher der Versicherungsnehmer dem Verunglückten gegenüber verurteilt ist, den Gegenstand, welchen der Versicherte dem Versicherungsnehmer zu leisten hat, so kann, wenn die Verurteilung auf Zahlung und Sicherstellung erfolgt ist, nicht zwischen diesen beiden Leistungen unterschieden werden, denn zu beiden Leistungen ist der Versicherungsnehmer wegen des Unfalles auf Grund des Haftpflichtgesetzes verurteilt worden. Soll für die Sicherheitsleistung nicht eingestanden werden, so ist dies in unzweifelhafter Weise auszusprechen. Ein solcher unzweifelhafter Ausdruck kann darin, daß im ersten Satze der Police und im §. 1 des Planes unter A.,. derjenige "Schadensersatz", welchen der Versicherungsnehmer dem Verunglückten zu leisten verbunden ist, als versichert bezeichnet wird, um so weniger erkannt werden, als, wie ausgeführt, dieser Satz selbst durch die weitere Bestimmung des Planes eine andere Bedeutung, als welche nach den Worten ihm zuzukommen scheint, erhält, und als die Police nicht nur im allgemeinen auf den Plan, sondern auch speciell auf diese anderen Bestimmungen Bezug nimmt.

Der Beklagte sucht auszuführen, es fehle an Anhaltspunkten für die Berechnung des durch die Übernahme der Sicherheitsleistung möglicherweise entstehenden Schadens, diese Gefahr könne daher bei Berechnung der Prämienhöhe nicht berücksichtigt werden; daraus aber ergebe sich, daß der Versicherer die Absicht, diese Gefahr zu übernehmen, nicht haben könne. Allein diese Ausführungen sind, da sie lediglich ein inneres Moment betreffen, über welches keinerlei Erklärung gegeben wurde, bedeutungslos. Wollte man ihnen etwa darum Bedeutung beilegen, weil das angeführte Motiv dem Kundigen erkennbar sei, so würde dem gegenüber zu betonen sein, daß der Versicherungsnehmer durch Eingehung der Versicherung sich gegen alle Nachteile, welche ihm durch das Haftpflichtgesetz entstehen können, zu sichern beabsichtigt, und daß dieses Motiv dem Versicherer klar entgegentritt."