RG, 22.01.1884 - II 410/83
Ist die Leistung einer der in §. 4 des Haftpflichtgesetzes vom 7. Juni 1871 genannten Kassen an den Ersatzberechtigten auf die Entschädigung ganz oder doch zum Teile einzurechnen, wenn die Mitleistung des Betriebsunternehmers an Prämien oder anderen Beiträgen nicht ein Drittel der Gesamtleistung beträgt?
Aus den Gründen
"Die Auslegung, welche der Berufungsrichter dem §. 4 des Reichsgesetzes vom 7. Juni 1871 giebt, kann nicht für richtig erachtet werden. Die Leistung, welche der Verletzte aus einer der in §. 4 bezeichneten Kassen erhält, soll nach der Bestimmung dieses Paragraphen auf die von dem Haftpflichtigen zu gewährende Entschädigung dann eingerechnet werden, wenn die Mitleistung des letzteren an Prämien oder Beiträgen nicht unter einem Drittel der Gesamtleistung beträgt. Hiermit ist unzweideutig ausgesprochen, daß eine Einrechnung nur unter dieser letzteren Voraussetzung stattfinden soll, und es folgt hieraus, daß bei Ermangelung dieser Voraussetzung eine Einrechnung überhaupt nicht stattfindet. Daß, wie der Berufungsrichter annimmt, der §. 4 a. a. O. in den Verhandlungen des Reichstages, aus dessen Initiative derselbe hervorgegangen ist, in einem anderen als diesem aus seinem Wortlaute sich ergebenden Sinne verstanden worden wäre, kann nicht anerkannt werden. Zweck der Aufnahme des §. 4 in das Gesetz war die Hebung und Beförderung gemeinschaftlicher Versicherungskassen. Es wurde bei der Beratung im Reichstage angenommen, daß Versicherungen insoweit, als sie auf eigenen Leistungen des Verletzten beruhen, ein erworbenes Vermögensobjekt des Verletzten bilden, welches neben dem im Gesetze begründeten Ansprüche auf Schadensersatz bestehe und daher an sich in diesen Schadensersatz nicht einzurechnen wäre. Ob diese Rechtsanschauung gerechtfertigt sei, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls kann aber nicht wohl angenommen werden, daß der Gesetzgeber zur Erreichung jenes Zweckes lediglich zum Nachteile des Verletzten habe bestimmen wollen, daß, wenn der Betriebsunternehmer ein Drittel zu einer der fraglichen Kassen beitrage, die ganze Leistung dieser Kasse, also auch soweit sie an sich als ein selbsterworbenes Vermögensobjekt des Verletzten zu betrachten wäre, auf die Entschädigung einzurechnen sei, vielmehr kann gerade darin, daß jene Rechtsanschauung in den Verhandlungen des Reichstages zum Ausdrucke gekommen ist, nur eine Bestätigung dafür gefunden werden, daß der Gesetzgeber einen Durchschnittsmittelweg einschlagen und jede Anrechnung von der fraglichen Voraussetzung abhängig machen wollte.
Da nun die Anwendbarkeit des §. 4 a. a. O. auf die in Rede stehende Kasse nicht streitig und da festgestellt ist, daß die Mitleistung der Beklagten weniger als ein Drittel der Gesamtleistung beträgt, so mußte das angefochtene Urteil, soweit es bestimmt, daß eine Einrechnung der Leistung der Kasse auf die dem Kläger gebührende Entschädigung stattfinde, aufgehoben werden."