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RG, 20.03.1880 - I 5/80

Daten
Fall: 
Vollstreckung von Vermögensstrafe
Fundstellen: 
RGZ 1, 233
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.03.1880
Aktenzeichen: 
I 5/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Appellationsgericht Hamburg
  • Landgericht Hamburg
  • Oberlandesgericht Hamburg

1. Neuer selbständiger Beschwerdegrund nach §. 531 Abs. 2 C.P.O. ungeachtet eines den Worten nach die Beschwerde einfach verwerfenden Beschlusses des Beschwerderichters.
2. Der einzelne Amtsrichter handelt innerhalb der Zuständigkeit des Amtsgerichtes stets gültig, ohne Rücksicht auf die vorgeschriebene Geschäftsverteilung.
3. Das Amtsgericht in seiner Eigenschaft als Vollstreckungsgericht ist nur Civil-, nie Strafgericht.
4. Nach §. 495 St.P.O. gelten bei der Vollstreckung von Vermögensstrafen und Bußen sämtliche Bestimmungen der Civilprozeßordnung über die Zwangsvollstreckung, und der schriftliche Auftrag der Staatsanwaltschaft an den Gerichtsvollzieher kann die Stelle einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteiles nicht vertreten. Ungültigkeit abweichender partikularrechtlicher Instruktionen.

Tatbestand

Das Amtsgericht hatte die von der Staatsanwaltschaft zu Wiesbaden veranlaßte Vollstreckung eines auf Geldstrafe lautenden älteren Strafurteiles sistiert. Auf Beschwerde der genannten Staatsanwaltschaft hob die Civilkammer des Landgerichtes den Beschluß des Amtsgerichtes wieder auf, und der Civilsenat des Oberlandesgerichtes verwarf die hiergegen gerichtete Beschwerde des Verurteilten. Auf weitere sofortige Beschwerde stellte aber das Reichsgericht den Beschluß des Amtsgerichtes wieder her. In den Gründen wird zunächst unter Bezugnahme auf den Beschluß in der S. Br. w. Br. & Co. (s. oben Nr. 84, S. 230) kurz ausgeführt, daß grundsätzlich auch in solchen Sachen, die in erster Instanz bei einem Amtsgerichte anhängig seien, die Beschwerde an das Reichsgericht nicht ausgeschlossen sei. Dann heißt es weiter:

Gründe

"Allerdings ist in einem solchen Falle, wie auch sonst immer, die Zulässigkeit einer weiteren Beschwerde an das Reichsgericht davon abhängig, daß durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes ein neuer selbständiger Beschwerdegrund gegeben sei, nach §. 531 Abs. 2 C.P.O. Ein solcher liegt hier nun aber auch vor. Nachdem das Landgericht die von der vierten Civilabteilung des Amtsgerichtes verfügte einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft zu Wiesbaden wieder aufgehoben hatte, hat freilich dem Wortlaute des Beschlußtenors zufolge das Oberlandesgericht die von C. hiergegen erhobene Beschwerde einfach verworfen, und die Verschiedenheit der Gründe des Oberlandesgerichtes von denen des Landgerichtes, die dabei allerdings zu Tage tritt, würde als solche noch keinen neuen selbständigen Beschwerdegrund darstellen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, daß das Oberlandesgericht nach dem Sinne seines Beschlusses keineswegs denjenigen des Landgerichtes bestätigt, vielmehr denselben zunächst aufgehoben und dann an dessen Stelle einen neuen, dem Beschwerdeführer in anderer Weise ungünstigen gesetzt hat. Das Landgericht hatte den amtsgerichtlichen Beschluß deshalb aufgehoben, weil die durch die von der Staatsanwaltschaft veranlaßte Zwangsvollstreckung eines Strafurteiles entstandenen Fragen nicht zur Zuständigkeit einer civilrechtlichen, sondern der entsprechenden strafrechtlichen Abteilung des Amtsgerichtes gehörten, so daß auf Grund dieser Verfügung des Landgerichtes C. sich nunmehr mit seinen Einwendungen gegen die von dem Gerichtsvollzieher unternommene Vollstreckung an die letztere Abteilung des Amtsgerichtes zu wenden gehabt haben würde. Das Oberlandesgericht hat dagegen erklärt, daß von einer Unzuständigkeit der einzelnen Abteilung des Amtsgerichtes als solcher nicht die Rede sein könne, daß es aber angemessen erscheine, statt die Sache zu anderweitigem Bescheide an das Landgericht zurückzuverweisen, sogleich selbst diese anderweitige Entscheidung zu treffen, und hat dieselbe dem Sinne nach dahin getroffen, daß, insofern die Einstellung der Zwangsvollstreckung von dem Amtsgerichte wegen Mangels einer vollstreckbaren Ausfertigung des fraglichen Strafurteiles verordnet sei, diese Verfügung unrichtig sei, weil es einer vollstreckbaren Ausfertigung hier nicht bedürfe, während die Entscheidung über die übrigen, die Sache selbst betreffenden Einwendungen gegen die Vollstreckung nicht zur Zuständigkeit des Amtsgerichtes zu Hamburg als Vollstreckungsgerichtes, sondern zu der der Strafkammer des Landgerichtes zu Wiesbaden als Prozeßgerichtes gehören, und daß deshalb der Beschluß des Amtsgerichtes wieder aufzuheben sei. Hiernach würde also der Beschwerdeführer sich überhaupt nicht mehr an das Amtsgericht zu Hamburg, sondern nur noch an das Landgericht zu Wiesbaden wenden können. In dieser vom Oberlandesgerichte allererst getroffenen neuen Verfügung liegt, da sie zu den in §. 701 C.P.O. erwähnten Entscheidungen gehört, welche im Zwangsvollstreckungsverfahren ohne vorgängige mündliche Verhandlung erfolgen können, ein neuer selbständiger Beschwerdegrund.

In der Sache selbst erscheint die Beschwerde als begründet. Zunächst ist dem Oberlandesgerichte darin beizustimmen, daß jeder Amtsrichter das Amtsgericht in seiner vollen gerichtsverfassungsmäßigen Zuständigkeit vertritt, und daß die Gültigkeit der Amtshandlung eines Amtsrichters daher in keiner Weise dadurch berührt wird, daß diese Handlung nach der Geschäftsverteilung von einem anderen Amtsrichter vorzunehmen gewesen wäre. Es kommt noch hinzu, daß das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht überhaupt nur insoweit auftreten kann, als es Civilgericht ist, weil der Begriff des Vollstreckungsgerichtes in seinem Unterschiede vom Prozeßgerichte nach den Reichsjustizgesetzen überhaupt nur dem Civilprozesse, nicht aber dem Strafverfahren angehört. Da nun im vorliegenden Falle das Amtsgericht zweifellos nur als Vollstreckungsgericht hat handeln wollen - wobei einstweilen noch dahingestellt bleibt, ob bei diesem Falle der Zwangsvollstreckung überhaupt Raum für ein Eingreifen des Vollstreckungsgerichtes war -, so erweist sich auch aus diesem ferneren Grunde die Auffassung des Landgerichtes jedenfalls als unhaltbar.

Andererseits ist nun aber auch die Auffassung des Oberlandesgerichtes im übrigen nicht zu billigen. Indem der §. 495 St.P.O. bestimmt, daß die Vollstreckung der über eine Vermögensstrafe oder eine Buße ergangenen Entscheidung nach den Vorschriften über die Vollstreckung der Urteile der Civilgerichte erfolge, bewirkt er, daß insoweit die Bestimmungen des achten Buches der Civilprozeßordnung ganz und voll auch für Strafsachen gelten. Es mag sich aus der Stellung der Staatsanwaltschaft als einer Behörde, der durch §. 483 Abs. 1 St.P.O. sogar die Strafvollstreckung allgemein übertragen ist, manches dafür herleiten lassen, daß nur für die Art und Weise der Vollstreckung selbst der §. 495 St.P.O. habe auf die Civilprozeßordnung verweisen wollen, nicht aber für die formellen Voraussetzungen, die dabei vorkommenden Rechtsbehelfe u. s. w., und daß insbesondere der Gerichtsvollzieher hier ohne mögliche Einmischung des Vollstreckungsgerichtes lediglich als Organ der Staatsanwaltschaft thätig werde. Solcher Auffassung steht aber doch nicht nur der Wortlaut des §. 495 St.P.O., sondern auch überwiegende innere Gründe entgegen. Es wäre nämlich gewiß ein mangelhafter Schutz gegen mögliche Versehen und Ausschreitungen des Gerichtsvollziehers, wenn der Verurteilte darauf verwiesen wäre, Abhülfe dagegen bei der möglicherweise sehr entfernten Staatsanwaltschaft, statt bei dem leicht zu erreichenden Amtsgerichte des Vollstreckungsortes zu suchen. Zudem ist die Vermittelung des Vollstreckungsgerichtes bei gewissen Arten der Zwangsvollstreckung, wie z, B. derjenigen in Forderungen und andere Vermögensrechte nach §. 729 C.P.O. und derjenigen in das unbewegliche Vermögen nach §. 755 C.P.O., doch auch für die Staatsanwaltschaft nicht zu entbehren. Wenn aber ein positiver Anhalt für die andere Auffassung in dem §. 162 G.V.G. gesucht wird, welcher die Staatsanwaltschaften in Ansehung der den Gerichtsvollziehern zu erteilenden Aufträge in eine Linie mit den Gerichten stelle, die doch den Gerichtsvollziehern einfach ihre Vollstreckungsaufträge erteilen, ohne dabei die durch die Civilprozeßordnung vorgeschriebenen Formen zu beobachten, so ist es einmal verfehlt, von der Art, wie Zwangsvollstreckungen wegen gewisser durch die Vorschriften der Civilprozeßordnung und Strafprozeßordnung nicht unmittelbar betroffener Ansprüche vorgenommen zu werden pflegen, einen Schluß zu ziehen darauf, wie es bei den durch die angeführten Gesetze ausdrücklich geregelten Zwangsvollstreckungen herzugehen habe, und sodann ist der specielle Inhalt des §. 162 G.V.G. so beschaffen, daß dadurch die Gerichte und Staatsanwaltschaften dem Gerichtsvollzieher gegenüber nicht anders gestellt werden, als nach §. 674 Abs. 2 C.P.O. auch jeder Privatmann als Gläubiger steht. Übrigens mag noch darauf hingewiesen werden, daß der §. 495 St.P.O. seine Beziehung auf Vermögensstrafen erst in dem letzten Regierungsentwurfe erhalten hat, während die entsprechenden Paragraphen der früheren Entwürfe diese Bestimmung nur für Bußen und Entschädigungsansprüche, also für privatrechtliche Ansprüche, enthielten, wobei doch sicher nur an die einfache Anwendung aller betreffenden Vorschriften der Civilprozeßordnung gedacht war. Nach dem Vorigen ist nun also auch kein Grund erfindlich, weshalb bei der auf Betreiben einer Staatsanwaltschaft erfolgenden Vollstreckung einer Vermögensstrafe von den Vorschriften der §§. 662 und 676 C.P.O., wonach die Zwangsvollstreckung nur auf Grund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteiles zu erfolgen hat, abgesehen werden sollte. Es handelt sich hierbei nicht sowohl um die Stellung der Staatsanwaltschaft, als um die des Gerichtsvollziehers. Letzterer ist dem Schuldner gegenüber zur Vornahme einer nach Maßgabe der Civilprozeßordnung zu vollziehenden Zwangsvollstreckung nicht anders legitimiert, als durch den Besitz der vollstreckbaren Ausfertigung. Wenn die Hamburgische Instruktion für die Gerichtsvollzieher vom 15. September 1879 in §. 83 Abs. 2 für die zwangsweise Beitreibung von Geldstrafen etwas Abweichendes bestimmt, nämlich durch den schriftlichen Auftrag der Staatsanwaltschaft die Stelle der vollstreckbaren Ausfertigung vertreten sein läßt, so ist diese Vorschrift mit der Reichsgesetzgebung in Widerspruch, und daher ungültig.

Das Amtsgericht war mithin nach §. 684 und §. 685 Abs. 1 C.P.O. zuständig, über den von C. gerügten Mangel einer vollstreckbaren Ausfertigung zu entscheiden, und hat mit Recht deswegen die Einstellung der Zwangsvollstreckung verordnet. Die sonstigen, die Vollstreckbarkeit selbst betreffenden Einwendungen würde der Beschwerdeführer eventuell freilich nach §. 668 C.P.O. bei demjenigen Gerichte, dessen Gerichtsschreiber etwa die Vollstreckungsklausel erteilt haben würde, geltend zu machen haben."