RG, 24.03.1880 - Vb 273/79
Constitutum possessorium. Verwahrungsvertrag.
Tatbestand
In Sachen des Beklagten wider die Eheleute D. sind mehrere Gegenstände, welche bei den Eheleuten D. sich befanden, mit Arrest belegt. Kläger beantragte, den Beklagten zu verurteilen, sein Eigentum an den Gegenständen anzuerkennen und in deren Freigabe zu willigen. Er gründete den Anspruch auf die Behauptungen, daß er die Gegenstände von den Eheleuten D. für 500 Mark gekauft, den Kaufpreis berichtigt und die Übergabe dadurch erhalten habe, daß er mit den Eheleuten D. sofort nach dem Kaufe einen Verwahrungsvertrag abgeschlossen habe, inhalts dessen letztere die verkauften Gegenstände für ihn in ihrem Gewahrsame behalten sollten. Kläger hat diese Behauptungen bestritten und Abweisung der Klage beantragt. In beiden Instanzen ist Kläger abgewiesen. Die von ihm eingelegte Nichtigkeitsbeschwerde ist zwar für gegründet erachtet, das angefochtene Erkenntnis jedoch aufrecht erhalten, aus folgenden Gründen:
Gründe
"Der Appellationsrichter sagt: es sei nicht zweifelhaft, daß ein Verwahrungsvertrag eine Willenserklärung sei, welche die Übergabe bewirke. Diese Willenserklärung aber müsse, um solchen Erfolg zu haben, rechtsgültig sein. In mündlicher Form genüge sie bei Gegenständen von einem Werte von mehr als 50 Thalern nicht; vielmehr müsse sie schriftlich sein. Er weist den Kläger ab, weil schriftliche Form in vorliegendem Falle erforderlich, aber nicht behauptet, und weil die körperliche Übergabe nicht erwiesen sei.
Implorant rügt Verletzung der §§. 9. 10 I. 14, des §. 71 I. 7 und des §. 131 I. 5 A.L.R.
Die Rüge erscheint gegründet. Der Appellationsrichter bezieht sich auf den Plenarbeschluß des vormaligen Kgl. preuß. Obertribunales vom 20. November 1834 (Entsch. Bd. 29 S. 1). Dieser spricht als Grundsatz aus, daß zur Gültigkeit eines (A.L.R. I. 7. §. 71) beim Kaufvertrage, wenn der Gegenstand mehr als 50 Thaler wert sei, es einer schriftlichen Erklärung des Konstituenten bedürfe. Die Begründung des Beschlusses ergiebt aber, daß der Satz in dieser allgemeinen Fassung nicht zu verstehen ist. Es werden (Seite 12) einzelne Fälle aufgeführt, in denen es einer schriftlichen Erklärung nicht bedürfe. Sodann heißt es:
Abgesehen von solchen Fällen aber muß die hierauf (d. h. auf das Konstitutum) gerichtete Willenserklärung in der für dieses Nebengeschäft selbst gesetzlichen Form abgegeben werden.
Verlangt wird also die Beobachtung der für dasjenige Nebengeschäft vorgeschriebenen Form, welches das Konstitutum darstellt. Die Richtigkeit dieses Satzes ist in den Gründen a. a. O. überzeugend dargethan. Wenn nun aber der Appellationsrichter für den Verwahrungsvertrag bei Gegenständen von über 50 Thaler Wert schriftliche Form zur Rechtsgültigkeit verlangt, so verletzt er den §. 10 I.14. A.L.R. durch Nichtanwendung und den §. 131 I. 5. A.L.R. durch falsche Anwendung. Der Verwahrungsvertrag ist ein Realkontrakt und bedarf zu seiner Gültigkeit keiner Form. Für das preußische Recht ist dieses in dem citierten §. 10 I. 14. A.L.R. ausdrücklich ausgesprochen.
Bei freier Beurteilung ist jedoch die Vorentscheidung aufrecht zu erhalten. §. 9 a. a. O. lautet:
Wenn eine Sache jemandem unter der Verbindlichkeit übergeben worden, daß er sie aufbehalten und künftig zurückgeben solle, so ist unter den Parteien ein Verwahrungsvertrag vorhanden.
Hieraus und aus der Natur des Vertrages als eines Realkontraktes folgt, daß derselbe dadurch geschlossen wird, daß einer die in seinem Besitz oder in seinem Gewahrsam befindliche Sache dem anderen in Gewahrsam überträgt, und daß der andere die Sache mit der Pflicht, sie zurückzugeben, übernimmt. Ein Verwahrungsvertrag ist es also nicht, wenn jemand einem anderen den Auftrag erteilt, eine in des letzteren Gewahrsam befindliche Sache, auf welche jener nur ein Recht zum Besitze hat, namens seiner nunmehr weiter in Gewahrsam zu behalten, und wenn der andere den Auftrag annimmt. Ein solches Abkommen fällt unter die allgemeine Regel des §. 131 I. 5 A.L.R. Es bedarf daher zu seiner Rechtsgültigkeit der schriftlichen Form, wenn der Wert des Gegenstandes 150 Mark übersteigt. In diesem Falle kann es, bloß mündlich geschlossen, das constitutum possessorium nicht begründen. Der vorliegende, nur mündlich erteilte Auftrag war daher nicht geeignet, den Besitz zu übertragen." ...