RG, 24.03.1880 - Vb 372/79

Daten
Fall: 
Vom Ehemann abgeschlossener Übertragsvertrag
Fundstellen: 
RGZ 1, 393
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
24.03.1880
Aktenzeichen: 
Vb 372/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KreisG Wesel
  • Appellationsgericht Hamm

Ist der von einem, nach dem Gesetze vom 16. April 1860 in Gütergemeinschaft lebenden Ehemanne allein (nicht in Gemeinschaft mit der Ehefrau) abgeschlossene Übertragsvertrag nichtig dergestalt, daß er selbst von den Erben des Ehemannes angefochten werden kann? Ist ein solcher Vertrag auch dann nichtig, wenn er nicht mit Rücksicht auf eine zukünftige Erbfolge abgeschlossen ist? Rechtsnatur der ehelichen Gütergemeinschaft.

Tatbestand

Der am 5. Juli 1876 verstorbene erste Ehemann der mitklagenden Ehefrau, J. W. Sch., hatte am 5. Februar 1876 mit seinem Bruder, dem Beklagten, einen Vertrag abgeschlossen, in welchem er diesem sein sämtliches (bewegliches wie unbewegliches) Vermögen übertrug, wogegen dieser sich verpflichtete, dem Übertragsgeber, dessen Frau und Kindern - letzteren, so lange sie außer stande, ihren Unterhalt sich selbst zu erwerben - in dem übertragenen Hause Wohnung und Unterhalt zu gewähren. Es sollte aber diese Verpflichtung im Falle, daß nach dem Tode des Übertraggebers oder dessen Ehefrau der Überlebende zur zweiten Ehe schritte, sofort und ohne Entgelt erlöschen. Die Übergabe der Mobilien und Immobilien ist erfolgt. Aus der Ehe der Sch.'schen Eheleute stammt ein Kind. Die Witwe Sch. hat sich mit dem Müller B. wiederverheiratet. Sie hat, in Gemeinschaft mit ihrem jetzigen Ehemanne und dem Vormunde ihres Kindes klagend, den Übertragsvertrag angefochten und Rückübertragung des übertragenen Vermögens verlangt. Unstreitig hatten die Sch.'schen Eheleute in der westfälischen Gütergemeinschaft nach dem Gesetze vom 16. April 1860 gelebt. Beklagter erhob eine Reihe von Einreden, von denen die hier interessierenden aus den unten folgenden Gründen des Revisionsurteiles sich ergeben. Das Gericht erster Instanz wies die Klage ab. Das Gericht zweiter Instanz erkannte nach dem Klageantrage. Auf die vom Beklagten eingelegte Revision ist das zweite Urteil bestätigt aus folgenden Gründen:

Gründe

... "Der Vertrag vom 5. Februar 1876 stellt sich als ein sogenannter Übertragsvertrag dar. Gegenstand der Veräußerung ist das sämtliche bewegliche und unbewegliche Vermögen des J. W. Sch. "mit Lust und Last", also auch mit sämtlichen Schulden und Lasten. Der Übernehmer verpflichtete sich zur Gewährung von Wohnung und Lebensunterhalt in dem übertragenen Hause an den J. W. Sch., dessen Frau und Kind auf so lange, als der Sch. oder dessen Frau nicht zur zweiten Ehe schreiten möchten. Es kann keinem Bedenken unterliegen, diesen Vertrag als einen lästigen zu bezeichnen, da Beklagter zu Gegenleistungen sich verpflichtet hat, indem es nicht darauf ankommt, ob diese in angemessenem Verhältnis zur Leistung stehen, und die Umstände nicht klar ergeben, daß eine Schenkung vorliege.

Der Vertrag ist aber nichtig, weil er ein Übertragsvertrag und nicht von beiden Sch.'schen Eheleuten gemeinschaftlich geschlossen ist. §. 3 des Gesetzes vom 16. April 1860 über das eheliche Güterrecht in der Provinz Westfalen und den Kreisen Rees, Essen und Duisburg bestimmt:

"Verträge, durch welche das gemeinschaftliche Vermögen ganz oder teilweise schon bei Lebzeiten der Eheleute in Rücksicht auf eine künftige Erbfolge abgetreten wird (Übertragsverträge), können nur von beiden Eheleuten gemeinschaftlich abgeschlossen werden." Unstreitig lebten die Sch.'schen Eheleute in der durch das gedachte Gesetz geordneten ehelichen Gütergemeinschaft. Zwar sagt der Vertrag, Sch. übertrage sein Vermögen. Dieses kann jedoch nur das gütergemeinschaftliche Vermögen sein, weil die Gütergemeinschaft ein besonderes Vermögen des Mannes nicht kennt, auch nicht ersichtlich ist, daß Sch. etwa nur über bestimmte, der Gütergemeinschaft nicht unterworfene Vermögensstücke verfügt habe, er vielmehr über den ganzen Vermögensinbegriff verfügt hat. Sch. setzt ferner für den Fall des Todes eines der beiden Eheleute für seine Kinder bestimmte vom Übernehmer zu gewährende Vorteile fest. Gleichgültig ist bei Übertragsverträgen, ob solche, den Kindern oder einem von ihnen ausgesetzte, Vorteile dem etwaigen Intestaterbteile oder dem Pflichtteile entsprechen. Jedenfalls ist der Vertrag in Rücksicht auf eine künftige Erbfolge abgeschlossen. Gleichgültig ist ferner, ob die Übertragung an einen Erbberechtigten oder an einen Dritten erfolgt. Das Gesetz macht nach seinem Wortlaute einen Unterschied in dieser Beziehung nicht. Er ist auch nicht beabsichtigt. Vielmehr ist bei den Beratungen der Kommission des Abgeordnetenhauses konstatiert,

daß, wenn das Gesetz bei Übertragungsverträgen, welche in Rücksicht auf künftige Erbfolge geschlossen würden, die Zuziehung beider Eheleute erfordere, dieses gewiß bei Übertragung an andere, welche nicht zu den Erben zu zählen, erforderlich sei.

Aus diesem Grunde ist ein Amendement, wonach dies im Gesetze ausdrücklich ausgesprochen werden sollte, abgelehnt worden. Es ist auch klar, daß es nicht Absicht des Gesetzgebers gewesen sein kann, die Befugnisse des Mannes, wie sie ihm nach preuß. Allgemeinem Landrecht zustehen - vgl. §. 1 des angef. Gesetzes - soweit zu vermehren, daß er den Inbegriff des Vermögens ohne Zuziehung der Frau an dritte Personen übertragen könnte, ihm dagegen eine nur eingeschränkte Befugnis für den Fall zu gewähren, daß er das Vermögen auf einen Erbberechtigten übertragen möchte. - Aus dem Zusammenhange, des §. 3 ergiebt sich überdies, daß der Ehemann selbst dann, wenn die Ehe kinderlos ist, oder wenn den Kindern keine Vorteile ausgesetzt werden sollen, über das ganze Vermögen oder einen aliquoten Teil desselben nicht allein verfügen kann. Zunächst ist ihm die Verwaltung des gemeinschaftlichen Vermögens übertragen. Durch lästigen Vertrag darf er über alle zu diesem gehörenden Gegenstände (als Einzelobjekte) verfügen. Über einzelne Immobilien und über das gesamte bewegliche Vermögen oder einen aliquoten Teil desselben darf, er aber nicht unentgeltlich ohne Einwilligung der Frau verfügen. Hieran schließt sich die angeführte Bestimmung, welche nur besagen kann, daß er über den Inbegriff des Gesamtvermögens überhaupt allein nicht dergestalt verfügen kann, daß durch diese Verfügung die Gütergemeinschaft selbst - durch Beseitigung ihres Substrates - gegenstandslos würde. Daraus erhellt aber, daß die Worte: "in Rücksicht auf eine künftige Erbfolge" nicht die Bedeutung haben, daß die Zuziehung der Ehefrau nicht erforderlich sei, wenn den künftigen Erben nichts ausgesetzt wird. Die Kommissionsverhandlungen ergeben, daß diese Worte nur deshalb im Gesetze Aufnahme gefunden haben, weil es sich konkret um eine Bestimmung handele, durch welche die dem Herkommen entsprechenden Verträge betroffen würden, nach welchen die abgehenden Kinder auf ihr zukünftiges Erbteil abgefunden würden. Und in den Motiven zu §. 3 heißt es:

dem Manne kann die einseitige Abschließung von Übertragsverträgen nicht gestattet werden, weil diese ihrer Natur nach fast immer die Abtretung des ganzen ehelichen Vermögens umfassen, also unbeschadet der Rechte, welche der Frau nach dem Tode ihres Mannes zustehen, nicht geschlossen werden können.

Hiernach ist es nicht einmal erheblich, ob der vorliegende Vertrag "in Rücksicht auf eine künftige Erbfolge" abgeschlossen ist.

Ist demgemäß der Vertrag an sich als ein nichtiger angreifbar, weil er nur vom Manne, und nicht in Gemeinschaft mit der Ehefrau, abgeschlossen ist, so fragt es sich noch, inwiefern die Klage durch die Einreden des Beklagten beseitigt ist.

1.

Zunächst ist der Einwand der mangelnden Sachlegitimation der mitklagenden Minorennen erhoben. Der Einwand ermangelt der Begründung. Zwar läßt die Sachlegitimation nicht aus dem Pflichtteilsrechte der Tochter sich herleiten. Maßgebend ist vielmehr, daß der Übertragsvertrag auch in Ansehung des Übertragsgebers nicht verbindlich ist, dergestalt, daß dieser selbst auf Herausgabe des übertragenen Vermögens hätte klagen können. Dieses Recht ist auf seine Tochter als seine Erbin übergegangen.

Die eheliche Gütergemeinschaft ist, wie durch konstante Judikatur und die neuere Wissenschaft festgestellt ist, nicht als ein Miteigentum der Eheleute an dem ehelichen Vermögen im römisch-rechtlichen Sinne, sondern, indem sie im germanischen Rechte wurzelt, als ein gemeinschaftliches Vermögen beider Eheleute anzusehen, welches ganz unter der Vogtschaft (mundium) des Mannes steht, bei welchem Verhältnisse während des Bestehens der Ehe von bestimmt zu sondernden Anteilen der Eheleute (ideellen Anteilen) nicht die Rede sein kann. Erst mit der Auflösung der Ehe treten Sonderrechte der Eheleute beziehungsweise der Erben an der gemeinschaftlichen Masse hervor. Soweit nun der Mann vermöge seiner Vogtschaft das Verfügungsrecht hat, verpflichtet er die Frau in bezug auf ihre Rechte an dem gesamten Vermögen. Soweit er ein Verfügungsrecht nicht hat, steht ihm eine Verfügung überhaupt nicht zu, auch nicht in bezug auf einen ideellen Anteil am Vermögen, da ein solcher während der Ehe eben nicht besteht. Vielmehr ist eine dem Verfügungsverbote entgegen geschehene Verfügung des Mannes, weil rechtlich gegenstandslos, von vornherein nichtig und wirkungslos, und, weil überhaupt nichtig und wirkungslos, dieses auch für den Mann. Auf denselben Erwägungen beruht namentlich die Entscheidung des vormaligen preuß. Obertribunales vom 21. Juni 1875 (Entsch. Bd. 75 S. 257, insbesondere S. 265), in welcher ausgesprochen ist, daß bei der landrechtlichen Gütergemeinschaft der ohne Einwilligung der Ehefrau vorgenommene Verkauf eines gütergemeinschaftlichen Grundstückes auch in Ansehung des Ehemannes nicht wirksam ist.

2.

Der Einwand, daß die mitklagende Ehefrau in den Vertrag eingewilligt habe, weil sie ihn vor und nach Abschluß ausdrücklich genehmigt, und weil sie ihre Einwilligung auch dadurch stillschweigend erteilt habe, daß sie für sich und ihr Kind die Vorteile aus dem Vertrage angenommen habe, ist hinfällig. Eine bloße Einwilligung genügt schon deshalb nicht, weil das Gesetz den gemeinschaftlichen Abschluß - im Gegensatze zur bloßen Einwilligung - fordert. Die letztere genügt - abgesehen von der Frage, ob sie besondere Form erfordere - bei unentgeltlichen Veräußerungen einzelner Immobilien oder des gesamten beweglichen Vermögens oder eines aliquoten Teiles desselben; bei Übertragsverträgen dagegen ist der gemeinschaftliche Abschluß beider Eheleute verlangt dergestalt, daß die Ehefrau dem Übernehmer gegenüber als Mitkontrahentin sich an den Verpflichtungen beteiligt, und daß der Übernehmer auch ihr gegenüber zu den übernommenen Leistungen sich verpflichtet.

3.

Der Einwand, daß die Kläger Erben des Veräußerers ohne Vorbehalt geworden und deshalb zur Anfechtung nicht befugt seien, ist schon deshalb verwerflich, weil der Veräußerer selbst nach dem oben Ausgeführten an den Vertrag nicht gebunden ist." ...