RG, 05.04.1880 - Va 106/79

Daten
Fall: 
Ersitzung eines Mitfischereirechtes
Fundstellen: 
RGZ 2, 191
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.04.1880
Aktenzeichen: 
Va 106/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KreisG Tilsit
  • Appellationsgericht Insterburg

Kann, wenn in einem öffentlichen Flusse die Fischereinutzung verpachtet ist, die Ersitzung eines Mitfischereirechtes beginnen?

Gründe

Aus den, das Sachverhältnis ergebenden Gründen:
"Der Appellationsrichter hat den negatorischen Klageantrag auf Verurteilung der Beklagten R., sich der Ausübung der Fischerei in der nördlichen Hälfte des Memelstromes innerhalb der Grenzen des Gutes Milchbude zu enthalten, abgewiesen, weil er den Einwand der Ersitzung einer Fischereigerechtigkeit für nachgewiesen hält. Der Fiskus, welcher als Verpächter vom Kläger M. adcitiert und dem Prozesse beigetreten ist, legt die Nichtigkeitsbeschwerde ein. Er rügt Verletzung des §. 521 I. 9 und des §. 21 II. 14 A.L.R. durch Nichtanwendung, und der §§. 613. 629 flg. I. 9 und der §§. 26. 35 II. 14 a. a. O. durch unrichtige Anwendung.

Die Beschwerde erscheint begründet.

Die Memel ist unbestritten ein öffentlicher Strom, also gemeines Eigentum des Staates; ihre Nutzungen, auch die Fischerei, gehören zu den niederen Regalien, §§. 21. 24 II. 14, §§. 38. 73 II. 15 A.L.R. Der Kläger hat seit 1877 den Memelstrom an der in Rede stehenden Strecke zur Fischerei-, Gras-, Schilf-, Rohr- und Binsennutzung vom Fiskus gepachtet. Der Negatorienklage gegenüber muß die Beklagte das für die Besitzer des Gutes Milchbude beanspruchte Recht zur Mitfischerei darthun. Hier handelt es sich nur um den geltend gemachten Grund der Ersetzung. Eine solche ist an sich auch gegen den Fiskus in einem Zeiträume von 44 Jahren zulässig, A.L.R. II. 14. §§. 26.35; I. 9. §§. 613. 629. Der Appellationsrichter hat die Verjährungsfrist hier auf die Zeit vom 12. September 1833 bis dahin 1877 festgesetzt und angenommen, daß durch die Zeugenaussagen die Ausübung der Fischerei während dieses Zeitraumes durch die Beklagte und ihre Vorbesitzer erwiesen sei. Der Schwerpunkt liegt in der Frage, ob der Appellationsrichter zu Unrecht dem A.L.R. I. 9. §. 521 die Anwendung versagt hat, welcher bestimmt:

Zum Nachteile eines Gutseigentümers kann keine Verjährung gegen dessen Pächter, wohl aber gegen den Verwalter, angefangen werden. Denn der Fiskus behauptet, daß bei Beginn der Ersitzungsfrist die Fischerei im Memelstrome verpachtet gewesen sei. Der Appellationsrichter hält dies für unerheblich; zur Anwendung des §. 521 genüge nicht die Verpachtung der Fischerei, es hätte der vollen Verpachtung aller regalen Nutzungen bedurft. Rohr- und Binsennutzung seien nachweislich erst seit 1865 verpachtet. Eine Gesamtverpachtung aller Nutzungen, als Fischerei, Gras, Schilf, Rohr und Binsen - also des Stromes selbst, mit Ausnahme der öffentlichen Schiffahrt - sei nicht behauptet, sie erscheine erst in dem Vertrage des Klägers seit 1877.

Der hiergegen gerichtete Angriff trifft zu.

Der fragliche §. 521 (dessen Sinn in mehrfacher Hinsicht streitig geworden, vgl. Rönne's Ergänz. 6. Ausg. I. S. 433 flg.) befindet sich unter den Vorschriften über die Hindernisse der Verjährung. Derselbe enthält eine Anwendung des allgemeinen Satzes im §. 516, daß gegen den, welcher sein Recht zu gebrauchen oder zu verfolgen gehindert wird, keine Verjährung anfangen kann. Der Grund des §. 521 liegt, wie aus den Äußerungen von Suarez bei der letzten Revision des Entwurfes und in den amtlichen Verträgen zu §.91 Tit. 21 (Materialien von Simon und v. Strampff S. 569, 570; v. Kamptz, Jahrbücher Bd. 41 S. 64) erhellt, darin: daß der Eigentümer, so lange die Sache sich in dem Gewahrsame des Pächters befindet, keine Gelegenheit und ohne weiteres keine Veranlassung hat, sich zu bekümmern, was mit der Sache vorgeht. Das frühere preußische Obertribunal hat deshalb den §. 521 für nicht anwendbar erklärt, wenn nur einzelne Pertinenzien oder Gerechtsame eines Grundstückes verpachtet sind (Präjud. 1424, Sammlung, T.I. S. 37; Rechtsfälle aus der Praxis etc. Hl. S. 108) diese Annahme jedoch dahin näher bestimmt, daß die Frage der Anwendbarkeit mit Rücksicht auf den Grund des Gesetzes nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles zu prüfen sei ( Striethorst, Archiv Bd. 1 S. 192, Bd. 2 S. 32; Entsch. Bd. 61 S. 29; vgl. Heydemann, preuß. Civil-Recht Bd. 2 S. 164; Behrend's Zeitschrift Bd. 5 S. 283). Mit dieser Begrenzung ist der Ansicht des Obertribunales beizutreten.

Der zweite Richter hat hier eine solche Prüfung der besonderen Momente unterlassen, vielmehr allgemein ausgesprochen, daß der §. 521 nur bei einer Gesamtverpachtung aller regalen Nutzungen, des Stromes selbst, anwendbar sein würde. Dadurch verletzt er diese Vorschrift.

Die freie Beurteilung der Sache führt jedoch zur Aufrechthaltung der zweiten Entscheidung (Nr. 35 der Instruktion vom 7. April 1839).

Es fragt sich, ob eine Ersitzung des Mitfischereirechtes seitens der Beklagten und ihrer Vorbesitzer durch den §. 521 ausgeschlossen wird, wenn bei Beginn der Verjährungszeit, beziehungsweise der noch früheren Ausübungshandlungen, die fiskalische Fischereinutzung im Memelstrome, und zwar nur diese, verpachtet war. Dies ist nach den hier vorhandenen Umständen zu verneinen. Denn die Verpachtung betraf nur ein einzelnes Nutzungsrecht und entzog dem Fiskus, beziehungsweise den ihn vertretenden Behörden, nicht die Gelegenheit und Veranlassung, den Strom an der fraglichen Strecke zu beaufsichtigen. Abgesehen von der Strompolizei und der Pflicht zur Kontrolle behufs Unterhaltung der Wasserstraße für die Schiffahrt, verblieb der Fiskus im Besitz der Rechte, welche außer der Fischerei aus dem gemeinen Eigentum des Staates fließen, namentlich des Flößungsrechtes, der Jagd und der - wie nach den Pachtverträgen von 1865 und 1877 und den natürlichen Verhältnissen nicht zu bezweifeln - schon damals vorhandenen Nutzung an Gras, Schilf, Rohr und Binsen.

Die Ansicht des Beschwerdeführers, daß jede der einzelnen Nutzungen des Stromes als ein selbständiges Vermögensstück anzusehen sei, und daß bei der Verjährungsfrage nach §. 521 immer nur jede einzelne Nutzung für sich in Betracht komme, erscheint irrig.

Es bedarf daher keiner weiteren Erörterung der Thatfragen:

a) ob die früheren Verpachtungen der Fischerei die nördliche Hälfte des Stromes nicht betroffen haben, wie Beklagte behauptet,
b) ob, wie Kläger in der zweiten Instanz angegeben, die Fischerei auch schon vor 1820, also schon vor der Zeit verpachtet gewesen, bis zu welcher die Aussage des Zeugen K. zurückgeht.

Erheblich ist, ob die Beklagte und ihre Vorbesitzer während der Verjährungszeit vom 12. September 1833 bis dahin 1877 im Memelstrome an der fraglichen Strecke die Fischerei frei und offen ausgeübt haben.1

Dies ist durch die Zeugenaussagen für dargethan zu erachten. Die Einrede der Ersitzung eines Mitfischereirechtes rechtfertigt somit die Abweisung der negatorischen Klage."

  • 1. Amtl. Anm.: Das Gesetz vom 2. März 1850, betr. die Ergänzung und Abänderung der Gemeinheitsteilungs-Ordn., Artt. 12 und 1 Nr. 7 über die Unterbrechung bezw. Untersagung der Verjährung bezieht sich nur auf die Fischerei in Privatgewässern.