RG, 29.04.1920 - IV 518/19
1. Ist der Prozeßweg über die Feststellung der Zugehörigkeit zu einem eingetragenen Verein nach erfolgter Kündigung zulässig, wenn das Mitglied unter Geschäftsaufsicht gestellt ist und der Aufsichtsrichter die Ermächtigung erteilt hat, die Vertragserfüllung abzulehnen?
2. Liegt den Rechtsbeziehungen zwischen Mitglied und Verein ein gegenseitiger Vertrag zugrunde?
Tatbestand
Die Beklagte ist auf Grund ihrer Beitrittserklärung vom 7. September 1916 Mitglied des klagenden Vereins geworden. Nachdem sie später in Gemäßheit der Verordnung über die Geschäftsaufsicht zur Abwendung des Konkurses (Bekanntmachung vom 14. Dezember 1916, RGBl. S. 1363) unter Geschäftsaufsicht gestellt worden war, hat sie durch Schreiben vom 7. November 1918, beim Kläger eingegangen am 18. November, mit Ermächtigung des Amtsgerichts in Neukölln als des Aufsichtsgerichts ihre Mitgliedschaft fristlos gekündigt. Nach § 3 der Vereinssatzung endigt die Mitgliedschaft durch Kündigung nur dann, wenn diese ein Jahr vorher erfolgt ist.
Mit der Klage wird Feststellung begehrt, daß die Mitgliedschaft der Beklagten erst am 18. November 1919 erloschen ist. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers ist im zweiten Rechtszug nach dem Klagantrag erkannt worden. Die Revision ist zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründen
1.
§ 9 der VO vom 14. Dezember 1916 bestimmt: "Wenn ein gegenseitiger Vertrag zur Zeit der Anordnung der Geschäftsaufsicht von dem Schuldner und von dem anderen Teil noch nicht oder noch nicht vollständig erfüllt ist, so kann der Schuldner mit Ermächtigung des Gerichts die Erfüllung ablehnen." Diese Ermächtigung ist im Streitfall von dem Aufsichtsrichter als dem Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit erteilt worden. Die Vorinstanzen stehen auf dem Standpunkt, daß die Frage, ob die Kündigung wirksam, ob also die Beklagte noch Mitglied des klagenden Vereins ist, der Nachprüfung des Prozeßrichters unterliegt. Dem ist beizupflichten. Allerdings sind nach § 19 die Beschlüsse des Gerichts unanfechtbar, soweit, was hier zutrifft, die Verordnung nichts anderes bestimmt. Die Vorschrift ist im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens gegeben und soll, wie den Ausnahmefällen in §§ 27, 42, 59, 68 entnommen werden muß, die sonst im Verfahren bei freiwilligen Gerichtsbarkeit statthafte Beschwerde ausschließen. Eine andere Frage aber ist, ob dann, wenn geltend gemacht wird, daß es sich von vornherein nicht um einen Fall des § 9 handle, weil die materiellrechtlichen Voraussetzungen für den Ermächtigungsbeschluß nicht gegeben seien, der Prozeßweg beschritten werden kann. Diese Frage ist zu bejahen. Es handelt sich um die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs gegenüber dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Behauptet ein Beteiligter, daß ein Rechtsverhältnis der in § 9 bezeichneten Art, also ein gegenseitiger Vertrag, überhaupt nicht bestehe, so muß die endgültige Entscheidung dieser Rechtsfrage nach allgemeinen Grundsätzen dem Prozeßrichter überlassen bleiben. Sie liegt nicht im Rahmen der Zuständigkeit des Aufsichtsrichters, der über die bloße Zweckmäßigkeitsfrage zu befinden hat und von der Befugnis der Ermächtigung in einem Fall, für den sie nicht gegeben ist. keinen Gebrauch machen darf.
2.
In der Sache selbst ist zu prüfen, ob es sich bei den Rechtsbeziehungen der Parteien um einen gegenseitigen, noch nicht oder nicht vollständig erfüllten Vertrag handelt. Daß die Vorschrift des § 9 der VO. vom 14. Dezember 1916 sich auf die sog. synallagmatischen Verträge im Sinne des § 17 KO., §§ 320 ff. BGB. bezieht, kann nicht zweifelhaft sein (vgl. die Begründung der VO. bei Güthe-Schlegelberger, Kriegsbuch Bd. 3 S. 915). Die Beklagte ist der Ansicht, daß ihre satzungsmäßigen Leistungen (Zahlung von Beiträgen und Strafen, Innehaltung der Kalkulationsvorschriften und der Zahlungs- und Lieferungsbedingungen) durch die Gegenleistungen des Vereins (Vertretung ihrer Interessen gegenüber den Lieferanten und Abnehmern, Überwachung der übrigen Mitglieder) bedingt, daß also Leistungen und Gegenleistungen kraft des bestehenden, sich aus der Satzung ergebenden Vertragsverhältnisses voneinander abhängig seien. Diese von der Revision näher begründete Auffassung ist in Übereinstimmung mit dem Berufungsrichter abzulehnen.
Die Aufnahme der Beklagten in den Verein, die gemäß § 3 der Satzung nach schriftlicher Meldung beim Vorstand auf Grund eines Mehrheitsbeschlusses des Ausschusses erfolgte, stellt sich als ein Rechtsgeschäft des Personenrechts dar. Soweit dabei auf Grund der Satzung schuldrechtliche Verbindlichkeiten der Beklagten gegenüber dem Kläger entstanden sind, z.B. auf Zahlung von Beiträgen, Strafen usw., beruhen sie auf einem einseitigen Schuldverhältnis des Mitglieds zum Verein. Daß der Verein als Entgelt für diese Leistungen seinerseits bestimmte Gegenleistungen übernommen habe (als solche käme die Gewährung gewisser Vorteile, insbesondere der Schutz der Geschäftsinteressen des Mitglieds gegenüber Dritten und anderen Mitgliedern in Betracht), läßt sich nicht behaupten und jedenfalls der Satzung nicht entnehmen. Sofern in dieser Beziehung Rechtsansprüche der Beklagten überhaupt bestehen, handelt es sich um Rechte, deren Grundlage nicht ein besonderes Versprechen, sondern die Mitgliedschaft als solche bildet, weil sie Veranstaltungen des Vereins zum Gegenstand haben, die dem allgemeinen Vereinszwecke, nämlich dem Schutz und der Förderung der gewerblichen Interessen aller Mitglieder, zu dienen bestimmt sind. Ebensowenig wie die aus der Aktienzeichnung sich ergebende Einlagenpflicht durch die Pflicht zur Aushändigung der Aktienurkunde wechselseitig bedingt ist (RGZ. Bd. 79 S. 177). ist die Leistungspflicht des Vereinsmitglieds davon abhängig, daß der Vorstand des Vereins das zur Erreichung des Vereinszwecks Erforderliche vornimmt.
Die Revision sucht auszuführen, daß das Rechtsverhältnis ähnlich wie bei Gesellschaften zu beurteilen sei. Allerdings wird der Gesellschaftsvertrag, obwohl er kein reiner Austauschvertrag ist, den gegenseitigen Verträgen zugezählt. Das gilt aber nur insoweit, als durch ihn unmittelbar Rechte und Pflichten der Gesellschafter, namentlich in Ansehung der Beitragsleistungen, begründet sind (RGZ. Bd. 78 S. 303). Auf rechtsfähige Vereine läßt sich dieser Satz deshalb nicht anwenden, weil eine gegenseitige Verpflichtung zu Leistungen, wie sie im Verhältnis der Gesellschafter untereinander durch § 705 BGB., ausdrücklich bestimmt ist, zwischen Vereinsmitgliedern nicht besteht, solche Leistungen vielmehr nur als einseitige Verbindlichkeiten dem Vereine gegenüber in Frage kommen können.