RG, 21.05.1920 - VI 33/20
Erstattung der Auslagen des Armenanwalts aus der Staatskasse.
Tatbestand
Die Ehe der Parteien ist auf die Klage des Mannes aus Verschulden der Frau geschieden, der Beklagten sind die Kosten der Revisionsinstanz auferlegt worden. Beiden Parteien war das Armenrecht bewilligt worden.
Der dem Kläger in der Revisionsinstanz beigeordnete Rechtsanwalt hat an den Gerichtsschreiber des erkennenden Senats den Antrag gestellt, den ihm zustehenden Pauschsatz für Prozeß- und Verhandlungsgebühr nach § 76 R GebO. und dem Gesetze vom 18. Dezember 1919 auf 21,70 M festzusetzen und dessen Erstattung an ihn anzuordnen. Zur Begründung hat er nur behauptet, vom Kläger sei, da ihm das Armenrecht bewilligt worden ist, Erstattung nicht zu erlangen.
Der Gerichtsschreiber hat den Antrag abgelehnt mit dem Bescheide, daß nach Art. II Ges. v. 18. Dezember 1919 dem Armenanwalt die Auslagen von der Staatskasse nur dann zu ersetzen seien, falls sie nicht von einem ersatzpflichtigen Gegner beigetrieben werden können, der Nachweis der Nichteintreibbarkeit aber durch die Bewilligung des Armenrechts an den Gegner nicht ersetzt werden könne, vielmehr durch Urkunden (Pfändungsprotokolle) zu erbringen sei. Gegen diesen Bescheid hat der Rechtsanwalt die Entscheidung des Reichsgerichts nachgesucht und geltend gemacht: es sei nicht richtig, grundsätzlich in allen Fällen den Nachweis vergeblicher Pfändung zu verlangen; nach dem Inhalte des Armutszeugnisses sei die Frau H. praktisch unpfändbar; mindestens würde aber der Versuch der Zwangsvollstreckung Unkosten machen, deren Höhe zu dem verlangten Auslagenbetrag einerseits und der geringen Wahrscheinlichkeit eines Erfolges anderseits in gar keinem Verhältnisse stehen würde. Die Erinnerung des Antragstellers ist für begründet erklärt aus folgenden Gründen:
Gründe
"Nach Art. II Abs. 1 Ges. v. 18. Dezember 1919 sind in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten dem für die arme Partei bestellten Rechtsanwalt die Auslagen nach Maßgabe der Gebührenordnung für Rechtsanwälte von der Staatskasse zu ersetzen, falls sie nicht von dem ersatzpflichtigen Gegner beigetrieben werden können (ZPO. §§ 124, 788). Dieser Bestimmung entsprach es nicht, wenn der Antragsteller ursprünglich nur geltend gemacht hat, es sei von seiner Partei, dem von ihm im Armenrechte vertretenen Kläger, Erstattung nicht zu erlangen, und nichts zu dem ihm nach Art. II Abs. 1 obliegenden Nachweise vorgebracht hat, daß die Auslagen nicht von der unterlegenen Beklagten als der ersatzpflichtigen Gegnerin beigetrieben werden können.
Wenn aber der Gerichtsschreiber darauf hingewiesen hat, daß durch die Bewilligung des Armenrechts an den Gegner der Nachweis der Nichtbeitreibbarkeit nicht ersetzt werden kann, so ist dieser Bemerkung jedenfalls in dem Sinne zuzustimmen, daß die bloße Tatsache der Armenrechtsbewilligung an den Gegner nicht dem Nachweise der Nichtbeitreibbarkeit der Auslagen vom Gegner gleichzustellen ist. Dies folgt schon daraus, daß durch die Armenrechtsbewilligung an den unterlegenen Gegner, die ihn nach § 115 Nr. 1 ZPO. nur von der Berichtigung der Gerichtskosten einstweilen befreit, die obsiegende Partei gesetzlich nicht gehindert sein soll, trotzdem von ihm die zu erstattenden Parteikosten beizutreiben. Aber auch tatsächlich kann der Versuch einer Beitreibung trotz Bewilligung des Armenrechts an den ersatzpflichtigen Gegner keineswegs schlechthin als aussichtslos bezeichnet werden, weil nach der bisherigen Regelung des Armenrechts, unter deren Herrschaft auch der Beklagten das Armenrecht bewilligt worden ist, "die offenbare Unbilligkeit" bestand, daß das Armenrecht einer Partei auch dann in vollem Umfange zu bewilligen war.
"wenn sie wegen der Höhe der Kosten zwar nicht die gesamten Prozeßkosten, wohl aber einen Teil derselben aufzubringen"
vermocht hat. Diese Erwägung trifft auch auf die Auslagen des Armenanwalts zu. die nach Art. II Abs. 1 Ges. v. 18. Dezember 1919 erst im Falle der Nichtbeitreibbarkeit vom ersatzpflichtigen, ebenfalls mit dem Armenrecht ausgestatteten Gegner aus der Staatskasse zu ersetzen sind. Ob die gleiche Annahme, daß der Versuch der Beitreibung der Auslagen des Armenanwalts nicht schon wegen der bloßen Bewilligung des Armenrechts an den ersatzpflichtigen Gegner als gescheitert behandelt werden darf, auch fernerhin in vollem Umfange Bedeutung behält, nachdem durch Art. III jene "offenbare Unbilligkeit" abgestellt und durch den neu zugefügten Abs. 2 des § 115 ZPO. auch eine teilweise Armenrechtsbewilligung zugelassen ist (Drucks. der Nationalversammlung von 1919 Nr. 1458 S. 5), kann im gegebenen Falle dahingestellt bleiben.
Erst in der Erinnerung gegen den Bescheid des Gerichtsschreibers verweist der Antragsteller auf das der Frau H. ausgestellte Armutszeugnis, um aus dessen Inhalt herzuleiten, daß sie "praktisch unpfändbar" sei. Zuzugeben ist, daß der Nachweis der Nichtbeitreibbarkeit der Auslagen des Armenanwalts nicht notwendig durch eine vergebliche Pfändung des Gegners erbracht werden muß, sondern auch durch andere Urkunden, unter welchen der Gerichtsschreiber das Pfändungsprotokoll nur als besonders beweiskräftig hervorgehoben haben will, erbracht werden kann. Ob aber ein Armutszeugnis zu jenem Nachweis ausreicht, ist wesentlich eine von Fall zu Fall zu prüfende Tatfrage. In dieser Hinsicht ergibt das erst am 19. Januar 1920 ausgestellte Armutszeugnis, das auch noch für die gegenwärtigen Vermögensverhältnisse als maßgebend gelten darf, daß die Frau H. "ohne Erwerb" ist, keine Steuer zu entrichten und für den Unterhalt zweier noch jugendlicher Kinder zu sorgen hat; dazu kommt, daß sie als schuldig geschiedene Ehefrau auch ihren Unterhaltsanspruch gegen ihren Mann eingebüßt hat. Unter diesen besonderen Umständen, wo ihr völliges Unvermögen keinem erkennbaren Bedenken unterliegt, darf angenommen werden, daß die Auslagen des gegnerischen Armenanwalts von ihr nicht beigetrieben werden können."