RG, 09.06.1920 - V 378/19
Ist die Verfolgung des im Verteilungsverfahren gegen ein Liquidat erhobenen Widerspruchs im Wege der Klage auch nach Ablauf eines Monats seit dem Verteilungstermine noch zulässig, solange nicht die streitige Teilungsmasse ausgezahlt ist?
Tatbestand
Auf Antrag des Beklagten wurde wegen einer für ihn eingetragenen Hypothek zunächst die Zwangsverwaltung und dann auch die Zwangsversteigerung d es dem G. gehörenden Grundstücks S. eingeleitet. Zum Zwangsverwalter wurde der Beklagte selbst bestellt. Im Versteigerungstermin meldete der Beklagte zur bevorrechtigten Befriedigung 7042,92 M an, welche er angeblich zur Erhaltung oder nötigen Verbesserung des Grundstücks als Verwalter selbst aufgewendet hat. Das Grundstück wurde dem Kläger zugeschlagen und die Zwangsverwaltung aufgehoben.
Im Verteilungstermin vom 19. Januar 1916 gelangte der Beklagte mit seinem Liquidat voll zur Hebung. In dem Teilungsplan wurden unter Nr. 15 der Spar- und Darlehnsverein in I. und unter Nr. 16 der Kläger mit ihren Hypothekenforderungen angesetzt. Der Spar- und Darlehnsverein fiel mit dem Teilbeträge seiner Forderung von 2651,19 M. der Kläger mit seiner Forderung von 30000 M gänzlich aus. Gegen das Liquidat des Beklagten erhob der Kläger in der vollen Höhe von 7042,92 M im Verteilungstermine Widerspruch.
Mit der Klage, die zwar vom 12. Februar 1916 datiert, deren Zustellung aber nicht vor Ablauf eines Monats seit dem Verteilungstermin dem Vollstreckungsgericht nachgewiesen worden ist, verfolgte der Kläger seinen Widerspruch mit dem Antrage, diesen für begründet zu erklären. Der erste Richter wies die Klage ab. Der Berufungsrichter erklärte den Widerspruch für begründet und ordnete die Auszahlung des hinterlegten Betrags nebst den Hinterlegungszinsen an den Kläger an. Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg.
Gründe
"Die Revision macht zunächst geltend, Kläger könne einen Anspruch gegen den Beklagten nur erheben, wenn und soweit dieser an seiner Stelle aus dem Versteigerungserlös Beträge erhalten habe. Nun stehe aber fest, daß die Beträge, wenn sie nicht dem Beklagten zugeteilt worden wären, der Spar- und Darlehnsverein in I. erhalten hätte. Kläger möge deshalb zur Klage formell legitimiert sein, aber die materielle Begründung seines Anspruchs sei nicht gegeben. Es komme hinzu, daß Kläger nicht innerhalb der Frist des § 878 Abs. 1 ZPO. die Klage erhoben habe, also nicht anders dastehe, wie der Spar- und Darlehnsverein; ferner aber auch, daß der Beklagte behauptet habe, er hafte auf jeden Fall dem Verein für dessen Ausfall.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. RGZ. Bd. 26 S. 421; Gruchot Bd. 42 S. 745, Bd. 50 S.1169; Warneyer 1911 Nr. 460) stehen jedoch dem Anspruche des dem Liquidat eines vorgehenden Gläubigers Widersprechenden die Rechte anderer Gläubiger, die ebenfalls hätten widersprechen können aber nicht widersprochen haben, auch dann nicht entgegen, wenn diese Gläubiger durch Erhebung des Widerspruchs ein besseres Recht als der Widersprechende auf das Liquidat hätten geltend machen können. Wegen Unterlassung des Widerspruchs haben solche andere Gläubiger keinen Anspruch auf Berücksichtigung bei der Verteilung der Streitmasse, die auf den erhobenen Widerspruch zwischen dem Liquidierenden und dem Widersprechenden gebildet worden ist, und bleiben ihre Rechte für den Verteilungsstreit außer Betracht.
Danach hat es auf die Berechtigung des Klägers, den Teil des Versteigerungserlöses, der auf das Liquidat des Beklagten mit dem Vorzugsrecht aus § 10 Abs. 1 Nr. 1 ZVG. entfallen ist, wenn das Liquidat ungerechtfertigt ist, wegen seiner ausgefallenen Hypothek in Anspruch zu nehmen, keinen Einfluß, daß seiner Hypothek die des Spar- und Darlehnsvereins im Range vorging, da der Verein seinerseits wegen des Ausfalls an seiner Hypothek keinen Widerspruch gegen das Liquidat des Beklagten erhoben hat, Unerheblich ist auch die Behauptung des Beklagten, daß er dem Spar- und Darlehnsverein auf jeden Fall für dessen Ausfall hafte. Für die Frage, ob der Beklagte im Verhältnis zu dem Kläger als dem seinem Liquidat widersprechenden Hypothekengläubiger berechtigt ist, einen Teil des Versteigerungserlöses für sich in Anspruch zu nehmen, ist es ohne Belang, ob und welche schuldrechtliche Verpflichtungen ihm zur Ersetzung des Ausfalls eines anderen Hypothekengläubigers obliegen, auch wenn dieser mit seiner Hypothek der Hypothek des Klägers im Range vorgegangen ist.
An alledem ändert es nichts, daß der Kläger die Erhebung der Klage nicht innerhalb der durch § 878 Abs. 1 Satz 1 ZPO., § 115 ZVG. bestimmten Frist von einem Monat seit dem Verteilungstermin dem Vollstreckungsgericht nachgewiesen hat, und würde sich auch nichts ändern, wenn die Klage nicht innerhalb der genannten Frist erhoben wäre. Die Klage ist keine andere als die Widerspruchsklage, deren Antrag sich richtet auf die Feststellung, daß der vom Kläger im Verteilungstermin erhobene Widerspruch begründet sei; insbesondere ist sie nicht etwa eine Klage aus dem besseren Recht des Klägers im Sinne des § 878 Abs. 2 ZPO., die zur Voraussehung hätte, daß der Gegner des widersprechenden Klägers einen Geldbetrag nach dem Teilungsplan, also den streitigen Betrag aus der Teilungsmasse, erhalten hätte. In Frage kommt jedoch, ob die sonach vorliegende Widerspruchsklage wegen Nichteinhaltung der genannten Fristen überhaupt unzulässig ist. In dieser Hinsicht führt der Berufungsrichter aus, es habe für den Kläger der Umstand, daß er die Erhebung der Klage dem Verteilungsgericht nicht innerhalb eines Monats nach dem Verteilungstermin nachgewiesen habe, Rechtsnachteile in diesem Rechtsstreite nicht zur Folge, sondern er hätte nur das Verteilungsgericht berechtigt, die Verteilung trotz des erhobenen Widerspruchs und trotz der erhobenen Klage nach Ablauf der Frist dem Teilungsplane gemäß vorzunehmen. Eine Feststellung darüber, wann die Klage dem Beklagten zugestellt worden ist, hat der Berufungsrichter nicht getroffen. Aus den Vorderurteilen ist nicht ersichtlich, daß der Beklagte gerügt hätte, es sei die Klage nicht auch innerhalb der Monatsfrist ihm zugestellt worden. Hiernach könnte sich die Frage erheben, ob der Beklagte, etwa bei Berücksichtigung des Gesichtspunktes, daß die im § 878 Abs. 1 Satz 1 ZPO. gesetzte Frist gemäß § 224 Abs. 1 ZPO. durch Vereinbarung der Beteiligten verlängert werden könne (vgl. Gruchot Bd. 42 S. 746; Stein Bem. I 3 zu § 878), nach § 295 Abs. 1 ZPO. des Rügerechts bezüglich der Nichteinhaltung der Frist verlustig gegangen ist (vgl. RGZ. Bd. 37 S. 379). Aber auch wenn davon abgesehen und unterstellt wird, daß die Klage dem Beklagten nicht innerhalb der Monatsfrist zugestellt worden, ist die Klage nicht unzulässig. Allerdings ist zufolge der Bestimmung des § 878 Abs. 1 Satz 1, daß der widersprechende Gläubiger ohne vorherige Aufforderung binnen einer Frist von einem Monate seit dem Verteilungstermin dem Gericht nachweisen müsse, daß er gegen die beteiligten Gläubiger Klage erhoben habe, der widersprechende Gläubiger, um diese Nachweisfrist einzuhalten, genötigt, die Widerspruchsklage binnen der Monatsfrist zu erheben. Tatsächlich aber ist nach den Gesetzesworten doch nur eine Frist für den dem Verteilungsgericht zu erbringenden Nachweis gesetzt, nicht für die beim Prozeßgericht zu erhebende Klage, und in Satz 2 ist als Folge der Nichteinhaltung der Frist nur bestimmt, daß die Ausführung des Teilungsplans ohne Rücksicht auf den Widerspruch angeordnet werde. Es ist also die Frist lediglich für das Verteilungsverfahren des Vollstreckungsrichters gesetzt. Dieser hat, wenn ihm der Nachweis nicht innerhalb der Frist geführt wird, den Teilungsplan so auszuführen, wie wenn der Widerspruch nicht erhoben wäre, und, wenn zufolge des Widerspruchs eine Streitmasse gebildet und hinterlegt worden war, die Auszahlung des betreffenden Liquidats an denjenigen, dem es im Teilungsplan zugewiesen worden war, anzuordnen. Ist dies geschehen, so ist allerdings für eine Widerspruchsklage kein Raum mehr (Gruchot Bd. 29 S. 122). Denn die Widerspruchsklage steht in sachlichem und prozessualem Zusammenhang mit dem anhängigen Verteilungsverfahren, das sie in gewissem Sinne fortsetzt; es soll vom Prozeßrichter auf Grund mündlicher Verhandlung über den Streitpunkt nochmals durch ein, im Instanzenwege anfechtbare, Endurteil entschieden werden (RGZ. Bd. 21 S. 359. Bd. 52 S. 313). Ist nach fruchtlosem Ablauf der Nachweisfrist der Teilungsplan vom Vollstreckungsrichter ausgeführt, so ist das Verteilungsverfahren nicht mehr anhängig und kann daher der Widerspruch im Wege der Klage, die auf Änderung des Teilungsplanes gerichtet ist, nicht mehr verfolgt werden. Dies ergibt sich besonders auch aus der Bestimmung des § 880 Satz 1 ZPO., wonach in dem Urteile, durch welches über einen erhobenen Widerspruch entschieden wird, zugleich zu bestimmen ist, an welche Gläubiger und in welchen Beträgen der streitige Teil der Masse auszuzahlen sei. Anderseits ist, solange der Teilungsplan hinsichtlich des streitigen Teiles der Masse noch nicht ausgeführt ist, das Verteilungsverfahren als noch nicht beendigt anzusehen, auch wenn die Nachweisfrist fruchtlos abgelaufen ist.
Denn ein Teil der Verteilungsmasse ist dann noch nicht verteilt und eine Änderung des Teilungsplanes, insbesondere durch Zuweisung des streitigen Teiles der Masse an den widersprechenden Gläubiger, kann noch immer erfolgen. Deshalb ist auch so lange die Verfolgung des Widerspruchs, - als dessen Fortwirkung zu gelten hat, daß der Teilungsplan noch nicht vollständig ausgeführt worden ist, - im Wege einer Klage, die erst nach Ablauf von einem Monat seit dem Verteilungstermin erhoben wird, mangels einer gegenteiligen Gesetzesbestimmung zulässig. Dies findet auch eine Bestätigung in der Vorschrift des § 878 Abs. 2 ZPO., aus der sich ergibt, daß für die Möglichkeit der Erhebung einer Klage aus dem besseren Recht, einer Bereicherungsklage, nicht nur die Versäumung der Nachweisfrist, sondern auch die Ausführung des Teilungsplans vorausgesetzt wird. Erst wenn beides, die Versäumung der Frist und die Ausführung des Plans, vorliegt, kann die Klage aus dem besseren Recht gegen den Gläubiger, an den in Ausführung des Plans ein Geldbetrag gezahlt worden ist, statthaben. Daraus rechtfertigt sich der Schluß, daß bis dahin, also auch nach Versäumung der Nachweisfrist, noch bis zur Ausführung des Plans die Widerspruchsklage zulässig ist. Denn andernfalls würde dem widersprechenden Gläubiger, wenn er die Nachweisfrist versäumt hätte, bis zur Ausführung des Plans kein Rechtsbehelf zur Geltendmachung seines Rechts zur Seite stehen und müßte er warten, bis der Vollstreckungsrichter den Teilungsplan durch Auszahlung des streitigen Teils der Masse an den Gegner zur Ausführung gebracht hätte, um dann die Klage aus dem besseren Recht mit dem Ziele zu erheben, daß der Gegner zur Wiederherausgabe des Empfangenen verurteilt werde. Hat dies aber zu gelten, so kann nicht angenommen werden, daß es Wille des Gesetzes ist, mit dem Ablauf eines Monats seit dem Verteilungstermin solle die Erhebung der Widerspruchsklage auch dann ausgeschlossen sein, wenn der Teilungsplan noch nicht durch Auszahlung des streitigen Teils der Masse an den Gegner des Widersprechenden zur Ausführung gebracht worden ist. Hier war nun, als der Kläger die Widerspruchsklage gegen den Beklagten erhob, der Teilungsplan unstreitig noch nicht ausgeführt worden. Daher war die Klage, auch wenn unterstellt wird, daß sie erst nach Ablauf eines Monats seit dem Verteilungstermin zugestellt worden ist, zulässig.
Auch späterhin ist die Klage nicht unzulässig geworden. Allerdings hätte der Vollstreckungsrichter, nachdem die Nachweisfrist fruchtlos abgelaufen war, den Teilungsplan zur Ausführung bringen können, die Erhebung der Widerspruchsklage hätte ihn daran nicht gehindert; vielmehr hätte er nur pflichtgemäß gehandelt, wenn er trotz dieser die Streitmasse an den Beklagten zur Auszahlung gebracht hätte; auch hätte er auf Beschwerde des Beklagten durch die vorgesetzten Instanzen dazu angehalten werden können (RGZ. Bd. 21 S. 359). Wäre die Auszahlung so erfolgt, so wäre die Widerspruchsklage freilich unzulässig geworden. Hätte der Kläger dann noch die Klage aufrecht erhalten, so wäre er damit abzuweisen gewesen. Jedoch hätte er gemäß § 268 Nr. 3 ZPO. ohne unzulässige Klagänderung die Widerspruchsklage in eine Klage aus dem bessern Recht, eine Bereicherungsklage, überleiten können. Dieser Überleitung stände es nach § 263 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. auch nicht entgegen, wenn vor dem - nach §§ 879, 802 ZPO. für die Widerspruchsklage ausschließlich zuständigen - Prozessgericht nicht auch zugleich der allgemeine Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten begründet wäre (vgl. Gruchot Bd. 38 S. 184). Unstreitig ist aber der Teilungsplan nicht zur Ausführung gebracht worden, vielmehr der streitige Teil der Masse auch jetzt noch hinterlegt. Daher ist die Widerspruchsklage zulässig geblieben. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß der Vollstreckungsrichter noch jederzeit den Teilungsplan ausführen und die Streitmasse zur Auszahlung bringen könne und daß er daher an ein zugunsten des Klägers ergangenes Urteil, das den Widerspruch für begründet erklärte und die Auszahlung der Streitmasse an den Kläger oder eine sonstige Änderung des Plans anordnete, nicht gebunden wäre. Das Urteil schafft Rechtskraft zwischen den über den betreffenden Teil der Verteilungsmasse streitenden Gläubigern. Wird durch das Urteil der Widerspruch des einen Gläubigers gegen das im Teilungsplan in Ansatz gebrachte Liquidat des anderen Gläubigers für begründet erklärt, so steht fest, daß der Widersprechende, nicht sein Gegner, Anspruch auf Auszahlung des Liquidats hat. Dies Ergebnis des Widerspruchsprozesses muß der Vollstreckungsrichter berücksichtigen. Ebensowenig, wie der Gegner des Widersprechenden entgegen dem Urteil zu verlangen berechtigt ist, daß die Streitmasse an ihn ausgezahlt werde, darf der Vollstreckungsrichter nun noch den Teilungsplan in der ursprünglichen Gestalt ausführen, vielmehr muß er, wenn ihm das Urteil zur Kenntnis gebracht wird, die sich daraus ergebende Anordnung der Änderung des Teilungsplanes zur Durchführung bringen.
Hiernach würde die Klage, auch wenn sie erst nach Ablauf eines Monats seit dem Verteilungstermin erhoben sein sollte, zulässig gewesen und geblieben sein, und hätte daraufhin der Berufungsrichter, wie er es getan hat, durch Urteil aussprechen dürfen, daß der Widerspruch begründet und die Streitmasse an den Kläger auszuzahlen sei, sofern die Klage nach der sonstigen Sach- und Rechtslage begründet war."...