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RG, 28.06.1920 - VI 179/20

Daten
Fall: 
Schadensersatzanspruch wegen unvollständiger Vergütung einer Forderung
Fundstellen: 
RGZ 99, 236
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
28.06.1920
Aktenzeichen: 
VI 179/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Eberfeld
  • OLG Düsseldorf

1. Hat § 1 Satz 1 der Ausführungsbestimmungen des Reichskanzlers vom 15. November 1915 über die Einfuhr von Butter aus dem Auslande (RAnz. Nr. 271 S. 1) eine selbständige Bedeutung?
2. Kann die Zentraleinkaufsgesellschaft m. b. H. (ZEG) aus dem Ausland eingeführte Butter auch dann an sich ziehen, wenn diese von dem Einführenden unter Umgehung der ZEG. bereits weiter gegeben worden war?
3. Kann in diesem Falle der Erwerber im ordentlichen Rechtswege gegen die ZEG. auf Schadensersatz klagen, wenn ihm diese nicht den vollen, von ihm bezahlten Einkaufspreis vergütet hat?

Tatbestand

Ende Mai 1916 kaufte die Klägerin von der Firma K. & D. in B. zum Preise von 3,80 M für das Pfund eine größere Menge Butter, die aus Holland eingeführt und im Wege des Zwischenhandels an K. & D. weitergegeben worden war. Der größte Teil dieser Butter wurde auf Veranlassung der ZEG. zufolge einer polizeilichen Verfügung der Stadt B. bei der Klägerin beschlagnahmt und gegen eine Vergütung von 2,10 M für das Pfund weggenommen. Die Klägerin bezeichnet dieses Vorgehen als widerrechtlich und nimmt die Beklagte für den ihr durch den Preisunterschied erwachsenen Schaden, den sie auf 13769,70 M berechnet, in Anspruch. Die Beklagte hat die Zulässigkeit des Rechtswegs bestritten, und sich auf § 6 der Bestimmungen des Reichskanzlers vom 15. November 1915 über die Einfuhr von Butter aus dem Auslande berufen. Die Vorinstanzen haben diese Einrede verworfen. Auf die Revision der ZEG. ist die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs abgewiesen worden aus folgenden Gründen:

Gründe

"Nach § 1 der AusfBest. vom 15. November 1915

"darf nach dem Inkrafttreten derselben aus dem Ausland eingeführte Butter nur durch die ZEG. in den Verkehr gebracht werden. Wer nach diesem Zeitpunkte Butter aus dem Ausland einführt, hat sie an die ZEG. in Berlin zu verkaufen und zu liefern."

"Alle Streitigkeiten zwischen der ZEG. und dem Veräußerer über die Lieferung, Aufbewahrung und den Eigentumsübergang entscheidet nach § 6 der BO. endgültig ein Ausschuß, der vom Reichskanzler ernannt wird."

Über die Auslegung der Verordnung und deren Anwendungsbereich besteht Streit. Der V. Strafsenat (RGSt. Bd. 51 S. 249) mißt dem ersten Satze des § 1 keine selbständige Bedeutung bei. Zwar werde darin als leitender Grundsatz an die Spitze gestellt, daß aus dem Ausland eingeführte Butter nur noch durch die ZEG. in den Verkehr gebracht werden dürfe. Aber durchgeführt sei dieser Grundsatz in der Verordnung nur nach Maßgabe der sich anschließenden Vorschriften, die nur demjenigen, der Butter aus dem Ausland einführe, gegenüber der ZEG. die im § 1 Satz 2 und in den §§ 2 und 3 bestimmten Verpflichtungen in Beziehung auf Anzeige, Aufbewahrung und Lieferung der eingeführten Butter auferlege. Unter dem Einführenden sei nur derjenige zu verstehen, der nach Eingang der Ware im Inlande zur Verfügung über sie für eigene oder fremde Rechnung befugt sei, nicht aber sein unmittelbarer oder ein weiterer Abnehmer. Mit dieser Art der Zentralisierung habe sich der Gesetzgeber begnügt. Die ausländische Butter, wenn sie einmal in den Inlandsverkehr gelangt sei, auch noch in der Hand des zweiten oder dritten Erwerbers derartigen Beschränkungen zu unterwerfen, sei nicht für notwendig erachtet worden.

Diesen Ausführungen schließt sich das Berufungsgericht an. Ihnen steht ein Urteil des III. Strafsenats vom 19. November 1917 (lll 428/17) gegenüber, das die Strafvorschrift des § 12 BRVO, über die Butterpreise vom 22. Oktober 1915 auch auf denjenigen anwendet, der solche Butter im Inland erwirbt und weiter vertreibt. Auf diese Meinungsverschiedenheiten braucht aber hier nicht eingegangen zu werden, denn beide Entscheidungen haben nur die Frage zum Gegenstand, ob § 1 Satz 1 AusfBest. vom 15. November 1915 auch einem solchen Inlandserwerber eine Anzeige- und Verwahrungspflicht auferlegt, und ob dieser bestraft werden kann, wenn er es versäumt, eine in seine Hände gelangte, vielleicht nur geringe, Menge Auslandsbutter der ZEG. anzubieten. Es mag sein, daß nur dem Einführenden, wie der V. Strafsenat annimmt, eine Anzeige- und Verwahrungspflicht auferlegt werden sollte, und daß die Strafvorschrift des § 12 BRVO. vom 22. Oktober 1915 nur auf ihn zutrifft; denn es leuchtet ein, daß der ZEG. mit ganz kleinen Buttermengen weniger gedient ist, und daß über zwecklosem Hin- und Herschreiben die Butter verderben kann. Aber eine andere Frage ist die, ob § 1 Satz 1 der ZEG das Recht einräumt, zur Verteilung geeignete größere Mengen eingeschmuggelter Auslandsbutter, die sie bei dem zweiten oder dritten Erwerber antrifft, nach §§ 4, 5 a. a. O. für sich in Anspruch zu nehmen, und ob in solchen Fällen, wenn auch vielleicht nicht § 12 BRVO, vom 22. Oktober 1915, so doch der § 6 AusfBest. vom 15. November 1915 anzuwenden ist. Diese Frage gesondert zu prüfen, entspricht der Eigenart und dem Zwecke dieser Bestimmungen, die wirtschaftlichen Interessen dienen und diese gegen den Einführenden durch weitergehende, mit Strafandrohung verbundene Maßnahmen, und gegen Inlandserwerber durch ein auch ihnen gegenüber Platz greifendes, der ZEG. verliehenes Enteignungsrecht erreichen können. Davon ausgehend, trägt der erkennende Senat Bedenken, dem Gesetzgeber zu unterstellen, daß er hier im § 1 Satz 1 einen klaren Rechtsgedanken ausspreche, der keine Bedeutung haben soll. Wenn die Bestimmung sagt, daß Auslandsbutter nicht anders als durch die ZEG. in den Verkehr gebracht werden darf, versteht sie den Ausdruck "Inverkehrbringen" unzweifelhaft in dem feststehenden Sinne, der in einer Reihe älterer Gesetze damit verbunden ist, und der auch in zahlreichen späteren Kriegsverordnungen Ausdruck gefunden hat. Das Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 spricht im § 12 von Verkaufen, Feilhalten oder sonstigem Inverkehrbringen, ebenso § 14 des Buttergesetzes vom 15. Juni 1897. Das Reichsgesetz vom 2. Januar 1911 über Banknotenpapier spricht im § 1 von Einführen aus dem Auslande, Verkaufen, Feilhalten oder sonstigem Inverkehrbringen, ebenso das Reichsgesetz vom 26. Mai 1885 über Papier zur Herstellung von Reichskassenscheinen. In diesen und anderen ähnlichen Gesetzen bedeutet das "Inverkehrbringen" nicht etwa ein Verbringen vom Ausland ins Inland, oder vom Erzeuger zum Händler, sondern einen allgemeineren, sowohl das Verkaufen als das Feilhalten umfassenden Begriff, ein Tun, das die Übertragung der Sache aus einer Hand in die andere bewirkt, also jede Art des Übergangs von einem Inhaber auf den anderen ohne Rücksicht darauf, ob der erste den Gegenstand selbst ins Inland gebracht oder erzeugt hat.

Einzuräumen ist, daß diese zugunsten der ZEG. getroffene Bestimmung über das Inverkehrbringen von Auslandsware in eine größere Anzahl ähnlicher Kriegsverordnungen keine Aufnahme gefunden hat. So fehlt sie z B. in den Verordnungen über die Einfuhr von Salzheringen (RGBl. 1916 S. 59), von Futtermitteln (RGBl. S. 71), von Kakao (RGBl. 1916 S. 146), von Ölen und Fetten (RGBl. 1916 S. 151) und von Schaltieren (RGBl. 1917 S. 129). Aber die Verordnung vom 15. November 1915 ist keineswegs die einzige, in der sie sich findet. Sie kehrt z.B. wieder in den Bestimmungen über die Einfuhr von Margarine (RGBl. 1916 S. 26), von Schweineschmalz (RGBl. 1916 S. 149), von Vieh und Fleisch (RGBl. 1916 S. 179), von Salzheringen (RGBl. 1916 S. 238) und von frischen Fischen (RGBl. 1916 S. 1265). Im § 3 dieser letzten Verordnung kommt die selbständige Bedeutung der Vorschrift besonders deutlich zum Ausdruck. Für die Annahme, daß der Reichskanzler bei seiner ersten Verordnung vom 15. November 1915 mit dieser Bestimmung etwas anderes als in den hierin gleichlautenden späteren Verordnungen erklärt habe, ist kein Anhalt gegeben. Vielmehr war es unverkennbar schon damals der Zweck der Verordnung, die deutsche Volkswirtschaft vor einer unerträglichen Preissteigerung durch die Zwischenhändler zu bewahren, der ZEG. billigere Einkäufe im Anstände zu ermöglichen, eine gleichmäßige Verteilung dieses wichtigen Lebensmittels unter die Bevölkerung durchzuführen und den schädlichen Schmuggel und Schleichhandel zu unterbinden. Dieser Zweck war nur zu erreichen, wenn die ZEG. die eingeführte Butter bei gesetzwidrigem Verhalten des Einführenden auch in der zweiten oder dritten Hand erfassen konnte, gleichviel, ob der inländische Zwischenhändler die Übertretung des Einführenden gekannt hat oder nicht. Bei dem Umfange, den der Schmuggel schon in den ersten Jahren des Krieges angenommen hatte, war eine derartige Vorschrift unerläßlich, wenn die Verordnung wirklichen Erfolg haben sollte.

Richtig ist, daß die weiteren Bestimmungen der Verordnung weniger von dem Inverkehrbringen der Auslandsbutter, als von den dem Einführenden auferlegten Pflichten, insbesondere der Anzeigepflicht, sprechen, und daß die Überschrift des § 1 nicht "Inverkehrbringen", sondern "Lieferungspflicht" lautet. Das kann aber nicht hindern, auf das der ZEG. im § 1 Satz 1 für Auslandsbutter eingeräumte Handelsmonopol auch den § 4 zu beziehen, wonach die ZEG. erklären kann und auf die Anzeige des Einführenden erklären muß, ob sie die Butter übernehmen will, und wonach in diesem Falle das Eigentum an der Butter mit dem Zeitpunkt auf sie übergeht, in dem die Übernahmeerklärung dem Veräußerer, d. i. dem bisherigen Inhaber der Butter, zugeht.

Aber auch die Anwendung des § 6, der die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte (§13 GVG.) zugunsten des Ausschusses beschränkt, begegnet keinem durchgreifenden Bedenken. Es handelt sich hier um eine der zahlreichen Kriegswirtschaftsmaßnahmen zur Sicherung der Volksernährung Bei diesen muß das Interesse des einzelnen vor dem der Allgemeinheit zurücktreten. Daher kann es auf die den Gerichten obliegende strenge Berücksichtigung und genaue Abwägung der Rechte des einzelnen gegenüber demjenigen, der das allgemeine Interesse wahrzunehmen hat, nicht in dem Maße wie sonst ankommen. Deshalb und im Interesse der sich daraus von selbst ergebenden Vereinfachung und Beschleunigung der Erledigung der betreffenden Streitigkeiten sind zu deren Entscheidung andere Organe als die ordentlichen Gerichte berufen (RGZ. Bd. 92 S. 375).

Eine Streitigkeit der im § 6 bezeichneten Art sieht nach der in dieser Beziehung allein maßgebenden Begründung des Klaganspruchs hier in Frage. Die Klägerin behauptet, daß die Butter ihr selbst, nicht der ZEG., zu Eigentum gehört habe, daß sie zur Überlassung oder Lieferung der Butter an die ZEG. nicht verpflichtet gewesen sei, und daß ihr die ZEG. als Ersatz für die widerrechtliche Wegnahme ihres Eigentums den Unterschied zwischen dem Erwerbspreis und dem ihr von der ZEG. zugesprochenen Übernahmepreise vergüten müsse. Das ist fachlich, nichts anderes als ein Streit über Lieferungspflicht und Eigentumsübergang im Sinne des § 6. Die Bezeichnung des Klaganspruchs als Schadensersatzforderung aus unerlaubter Handlung vermag hieran nichts zu andern. Daß die ZEG. oder die Polizeibehörde nur zum Scheine auf die Verordnung vom 15. November 1915 Bezug genommen, in Wirklichkeit aber die Butter aus ganz anderen, völlig widerrechtlichen Beweggründen sich zugeeignet habe (vgl. RGZ. Bd. 97 S. 181) will die Klägerin nicht behaupten.

Somit war von dem angegangenen Gerichte zwar die Vorfrage zu prüfen, ob § 6 VO. vom 15. November 1915 auf Auslandsbutter Anwendung findet, die von der ZEG. erst in der Hand eines zweiten Erwerbers angetroffen wird, dem ein einverständliches Zusammenwirken

mit dem Einführenden nicht nachgewiesen werden kann. Ist aber diese Frage aus den angegebenen Gründen zu bejahen, dann muß die auf § 6 gestützte Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs für begründet erachtet werden.

Ob der Regierungspräsident zu D. die polizeiliche Verfügung der Stadt B. mißbilligt und auf Beschwerde der Klägerin die beschlagnahmte und enteignete Auslandsbutter freigegeben hat, ist ohne Bedeutung für die Frage, ob über die hier streitigen Folgen dieser polizeilichen Verfügung die Gerichte oder der im § 6 bezeichnete Ausschuß zu entscheiden haben." ...