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RG, 28.06.1920 - VI 276/14

Daten
Fall: 
Einfluß des Friedensvertrags vom 28. Juni 1919
Fundstellen: 
RGZ 99, 241
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
28.06.1920
Aktenzeichen: 
VI 276/14
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hanau
  • OLG Cassel

Einfluß des Friedensvertrags vom 28. Juni 1919 und des Ausführungsgesetzes dazu auf die gemeinsame Einklagung einer Forderung durch Deutsche und einen Engländer gegen einen Deutschen.

Tatbestand

Der Kaufmann Konrad H. betrieb in Hanau ein Handelsgeschäft unter der Firma K. & H. In dieses Geschäft trat der Kaufmann Fr. am 5. Oktober 1901 ein und beide führten das Geschäft als offene Handelsgesellschaft weiter. Am 23. Juli 1904 zeigten sie dem Amtsgericht an. daß Fr. ausgeschieden sei, was am 27. Juli 1904 in das Handelsregister eingetragen wurde. Konrad H. war ein Sohn von Karl H. in Hanau, der am 17. Oktober 1898 dort verstorben ist und von seiner Witwe als Statutarerbin nach Solmser Landrecht sowie von seinen Kindern, den jetzigen Klägern und dem im Laufe des Rechtsstreits verstorbenen Jean H. beerbt wurde. 1908 starb auch die Witwe H. und wurde von ihren Kindern beerbt.

Nach der Behauptung der Kläger schuldete die Firma K. & H. dem Karl H. erhebliche Beträge, u.a. aus einer Bürgschaft, die Karl H. am 4. März 1898 in Höhe von 15000 M zugunsten der Firma gegenüber dem Hanauer Kreditverein eingegangen sein soll. Über die Einzelheiten haben die Kläger nach dem landgerichtlichen Urteile vorgetragen: Nach dem Tode von Karl H. habe dessen Witwe auf die Aufforderung des Kreditvereins die Bürgschaft auf ihren Namen zahlungshalber übernommen. Die Erben hätten daher gegen die offene Handelsgesellschaft einen Anspruch auf Ersatz dessen, was sie auf Grund der Bürgschaft gezahlt hätten, es seien aber am 19. Februar 1910 15000 M Hauptsumme und 583 M Zinsen bezahlt worden. Wegen dieser Beträge hafte die Beklagte, die in erster Ehe mit Fr. verheiratet gewesen war, ihnen als Testamentserbin ihres verstorbenen Mannes nach § 28 HGB. Im Prozesse fordern die Kläger aber nur 4/5 jener Summe, soweit ersichtlich deshalb, weil Konrad H. sowohl zu den Erben seines Vaters wie zu denen des Jean H. gehörte. Auf ihren Antrag, die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 12628 Ml nebst Zinsen zu zahlen, sprach ihnen das Landgericht 12000 M zu und wies im übrigen die Klage ab. Es erwägt, daß die Angaben der Kläger durch den Zeugen L. bestätigt würden. Hätten aber die Erben auf die erwähnte Bürgschaft und auf zwei andere Bürgschaften der Witwe H. am 10. September 1909 4000 M und am 19. Februar 1910 20269,50 M bezahlt, so hätten sie die Bürgschaft des Karl H. in Höhe von 15000 M erfüllt und die Darlehnsforderung des Kreditvereins sei nach § 774 BGB. auf sie übergegangen. Sie könnten die Forderung daher auch gegen die Beklagte als Erbin eines Teilhabers der früheren offenen Handelsgesellschaft geltend machen. Das Oberlandesgericht wies die Klage vollständig ab, weil der Anspruch verjährt sei. Hiergegen legten die Kläger Revision ein. In dem Verhandlungstermine vom 5. Oktober 1914 wurde nach Verlesung der Anträge nur festgestellt, daß das Verfahren gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 7. August 1914 unterbrochen sei. Von der Beklagten wurde durch Schriftsatz vom 23. Dezember 1919 wieder zur mündlichen Verhandlung geladen, da durch die erwähnte Bekanntmachung und ihre Verlängerungen die Unterbrechung nur bis zum 1. Dezember 1919 verfügt worden sei. Es ist darüber verhandelt worden, ob das Verfahren seinen Fortgang nehmen könne.

Das Reichsgericht hat diese Frage zurzeit verneint, aus folgenden Gründen:

Entscheidungsgründe

"Der Kläger zu 1 hat seinen Wohnsitz in London und ist durch Naturalisation britischer Staatsangehöriger geworden. Nun steht zwar die Bekanntmachung vom 7. August 1914 der Fortsetzung des Rechtsstreits nicht mehr entgegen und auch ein gegenüber England am 30. September 1914 erlassenes Zahlungsverbot ist durch die Verordnung der Reichsregierung vom 11. Januar 1920 über die Aufhebung von Kriegsmaßnahmen beseitigt worden. Anderseits ist das Ausführungsgesetz zum Friedensvertrage vom 31. August 1919 erlassen worden, das im § 1 Abs. 1 in Anlehnung feindlicher Forderungen und Schulden die Zahlung, Zahlungsannahme und jeden anderen auf die Schuldenregelung bezüglichen Verkehr zwischen den Beteiligten verbietet, sofern er nicht durch Vermittlung der Prüfungs- und Ausgleichsämter erfolgt, im Abs. 2 aber bestimmt, daß die im Abs. 1 bezeichneten Forderungen gerichtlich nur geltend gemacht werden dürfen, wenn dem Gläubiger die im § 25 der Anlage zu Art. 296 des Friedensvertrags vorgesehene Bescheinigung erteilt ist. Diese Vorschriften werden durch die Verordnung vom 11. Januar 1920, wie in deren Art. 9 ausdrücklich gesagt wird, nicht berührt. Was unter "feindlichen Forderungen und Schulden" zu verstehen ist, wird durch die im § 1 a. a. O. enthaltenen Verweisungen erläutert. Für den vorliegenden Fall kommt Art. 296 Abs. 1 des Friedensvertrags in Betracht, nach dem folgende Geldverbindlichkeiten durch Vermittlung von Prüfungs- und Ausgleichsämtern geregelt werden: "1. Vor dem Kriege fällig gewordene Schulden, deren Zahlung von Staatsangehörigen einer der vertragschließenden Mächte, die im Gebiete dieser Macht wohnen, an Staatsangehörige einer gegnerischen Macht, die in deren Gebiete wohnen, zu leisten ist". Daß die eingeklagte Forderung, soweit sie von dem Kläger zu 1 in Anspruch genommen wird, unter die Nr. 1 fällt, erscheint nicht zweifelhaft. Die Beklagte, die unstreitig Deutsche ist und in Deutschland wohnt, soll eine Zahlung leisten, die ein in London wohnender Engländer teilweise in Anspruch nimmt. Die Schuld war aber nach der Darstellung der Kläger vor dem Kriege fällig, denn wenn sie spätestens am 19. Februar 1910 dem Kreditverein ausgezahlt haben, so ist die verbürgte Forderung mit der Befriedigung des Gläubigers auf sie nach § 774 Satz 1 BGB. übergegangen und konnte von ihnen damals geltend gemacht werden. Zweifelhaft war aber die Auslegung des § 1 Abs. 2 AG. z. Friedensvertrag insofern geworden, als die Ansicht vertreten wurde, die Vorschrift verbiete nur die Erhebung einer Klage wegen einer derartigen Forderung, stehe jedoch der Fortsetzung eines bereits anhängigen Prozesses nicht entgegen. Diese Auffassung ist indessen in dem am 9. April 1920 verkündeten Beschlüsse des II. Zivilsenats des Reichsgerichts, II 228 / 14 (vgl. RGZ. Bd. 98 S. 257) aufgegeben und ausgesprochen worden, daß das Gesetz auch die Fortsetzung eines bereits anhängigen Verfahrens nicht gestatte. Der letzteren Ansicht stimmt der jetzt beschließende Senat zu. Zu beachten ist aber, daß inzwischen die Vorschriften des Reichsausgleichsgesetzes vom 24. April 1920, § 11, an die Stelle des § 1 AG. zum Friedensvertrage getreten sind, vgl. Bekanntmachung vom 30. April 1920 (RGBl. S. 761), und daß dort im Abs. 2 ausdrücklich bestimmt wird: "Ein schwebendes gerichtliches Verfahren wird unterbrochen." Hiernach ist der Rechtsstreit jedenfalls insoweit unterbrochen, als der Kläger zu 1 Ansprüche geltend macht. Es fragt sich, ob das Verfahren im übrigen fortgesetzt werden kann.

Hiergegen würden dann keine Bedenken bestehen, wenn ersichtlich wäre, welcher Teil der eingeklagten Forderung von den verschiedenen Klägern in Anspruch genommen wird. Das ist aber nicht der Fall. Die Beklagte ist in erster Instanz schlechthin verurteilt, an die Kläger 12000 M nebst Zinsen seit dem 16. April 1912 zu bezahlen, die Kläger aber verlangen jetzt die Wiederherstellung dieses Urteils, somit eine Entscheidung auch über den dem Kläger zu 1 zustehenden Anteil, die nicht zulässig ist. Daß es sich zunächst nur um die Frage handelt, ob der Anspruch verjährt ist, begründet keine andere Beurteilung. Die Kläger haben nun auszuführen versucht, daß sich aus ihrem sachlichen Vorbringen die Art der Beteiligung des Klägers zu 1 ergebe. Dem kann aber nicht zugestimmt werden. In der Klage ist zwar gesagt, daß Karl H. die damaligen fünf Kläger, ferner den Konrad H. als gesetzliche Erben zu je 1/5 hinterlassen habe und daß seine Ehefrau nach Solmser Landrecht seine Statutarerbin geworden sei. Hiernach wäre Karl H. gemäß Titel 28 der Solmsischen Landordnung beerbt worden und es wären, da Kinder vorhanden waren, die von dem verstorbenen Ehegatten während der Ehe gemachten Schulden von der Statutarerbin zu bezahlen gewesen (§6 das.; vgl. Roth und Meibom, Kurhessisches Privatrecht S. 457 flg. 462). Dem entspricht es, daß die Witwe des Karl H. nach dem Tode ihres Mannes dem Kreditverein gegenüber eine neue Bürgschaft übernommen hat. Es kann aber ganz davon abgesehen werden, in welcher Weise sich die Beerbung des Karl H. und später die seiner Witwe vollzogen hat, denn es handelt sich jetzt nicht darum, inwieweit die Kläger als Erben dem Kreditverein aus der Bürgschaft verpflichtet sein konnten, sondern um die Frage, welche Rechte ihnen durch die Bezahlung der verbürgten Schuld entstanden sind. Insoweit sie den Gläubiger befriedigt haben, ist dessen Forderung gemäß § 774 BGB. auf sie übergegangen: ob sie auch als Erben Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis zwischen dem Bürgen Karl H. und der Hauptschuldnerin herleiten könnten, darf unerörtert bleiben. Jedenfalls ist nicht erkennbar, daß der eingeklagte Anspruch zu einem bestimmten Teile dem Kläger zu 1 zustehe, und dem entspricht es, daß die Kläger Zahlung an sie schlechthin fordern. Die dem Kläger zu 1 gehörige Forderung wird also im Rechtsstreite mit geltend gemacht, was nicht zulässig ist. Hierbei kann das zwischen den Mitklägern bestehende prozessuale Verhältnis, ob namentlich zwischen ihnen notwendige Streitgenossenschaft besteht, dahingestellt bleiben.

In dieser Instanz haben die Kläger einen Brief des Klägers zu 1 vom 15. Mai 1920 vorgelegt, in dem er erklärt, daß er seine Ansprüche an seinen Schwager Wilhelm H. in M. abtrete und mit der Sache nichts mehr zu tun haben wolle. Angesichts der Vorschriften in § 1 Abs. 1 AG. zum Friedensvertrage, § 11 Abs. 1 des Reichsausgleichsgesetzes, die nicht nur die dort besonders aufgeführten Handlungen, sondern auch "jeden anderen auf die Schuldenregelung bezüglichen Verkehr zwischen den Beteiligten" untersagen, sofern er nicht durch Vermittlung oder mit Zustimmung des Reichsausgleichsamtes erfolgt, muß dem Briefe für die jetzt zu entscheidende Frage jede Bedeutung versagt werden (vgl. Schlegelberger. Anm. 3 zu § 1 des AG. zum Friedensvertrag). Es wird Sache der Kläger sein, zunächst die im § 25 der Anlage zu Art. 296 des Friedensvertrags vorgesehene Erklärung des zuständigen Gläubigeramts zu beschaffen. Zurzeit kann das Verfahren auch seitens der deutschen Gläubiger nicht fortgesetzt werden, ist vielmehr als unterbrochen anzusehen, auch soweit die Kläger zu 2 bis 5 in Betracht kommen."