RG, 28.09.1880 - II 192/80
Ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist wegen Krankheit des Prozessbevollmächtigten, an welchen die Zustellung des angefochtenen Urteiles erfolgt war, zu erteilen?
Tatbestand
Gegen ein dem Rechtsanwalt S. in Kolmar als Prozeßbevollmächtigten des Beklagten am 27. April 1880 zugestelltes Urteil des dortigen Oberlandesgerichts hat der Beklagte durch Zustellung vom 10. Juni 1880 Revision eingelegt und in dem zugestellten Schriftsätze unter Berufung auf ein ärztliches Attest, wonach sein genannter Anwalt in den letzten Monaten ernstlich erkrankt gewesen sei, zugleich Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Revisionsfrist beantragt. Dieser Antrag ist zurückgewiesen und die Revision als unzulässig verworfen worden aus folgenden Gründen:
Gründe
Nicht mit Unrecht hat der Revisionsbeklagte gerügt, daß der Vorschrift des §. 214 Ziff. 1 C.P.O., wonach der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Thatsachen enthalten muß, durch den zugestellten Schriftsatz nicht entsprochen sei; denn die Erwähnung, daß der Anwalt des Revisionsklägers in den letzten Monaten ernstlich erkrankt gewesen sei, läßt eine nähere thatsächliche Auskunft darüber vermissen, inwieweit diese Krankheit, welche auch zur Zeit der Anlegung der Revision, und zwar in erhöhtem Grade, noch fortbestand, nach der Behauptung des Revisionsklägers mit der Versäumung der Notfrist in einem ursächlichen Zusammenhang stehe. Jedenfalls kann aber auf Grund des Vorgebrachten im vorliegenden Falle nicht angenommen werden, daß der Revisionskläger durch einen unabwendbaren Zufall verhindert worden sei, die Revisionsfrist einzuhalten (§. 211 C.P.O.). Es ist nicht glaubhaft gemacht, daß der erkrankte Vertreter des Revisionsklägers nicht einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung dringender Geschäfte, soweit er sie selbst zu erledigen außer stände war, hätte beauftragen oder in anderer Weise geeignete Vorsorge hätte treffen können. Der Begriff des unabwendbaren Zufalles ist gleichbedeutend mit dem der höheren Gewalt im Sinne des Art. 395 H.G.B.; nun waren aber Vorkehrungen möglich, welche ungeachtet der Krankheit des Vertreters die Wahrung der Notfrist gesichert hätten. Der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte des §. 211 C.P.O. ergeben, daß, wenn es einerseits die Absicht des Gesetzgebers war, die durch unverschuldete Versäumung der Notfristen in manchen Fällen entstehenden Härten zu vermeiden, andererseits zur Verhütung von Mißbräuchen die Wiedereinsetzung nur innerhalb der fest gezogenen Grenzen bewilligt werden soll.