RG, 03.12.1920 - VII 219/20

Daten
Fall: 
Mitwirkungspflichten des Pfandgläubigers
Fundstellen: 
RGZ 101, 47
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
03.12.1920
Aktenzeichen: 
VII 219/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht III Berlin
  • Kammergericht Berlin

Ist der Pfandgläubiger verpflichtet, falls eine wesentliche Minderung des Wertes eines Pfandes zu besorgen ist, bei dessen Ersatz durch anderweitige Sicherheitsleistung auf Verlangen des Verpfänders mitzuwirken?

Tatbestand

Der Kläger hatte bei der Beklagten Ultimogeschäfte getätigt. Aus dieser Geschäftsverbindung bestand im Februar 1916 eine Schuld des Klägers an die Beklagte von 134111,50 M. In einer notariellen Schuldurkunde vom 26. Februar 1916 erkannte er diese Schuld an, verpflichtete sich zu bestimmten Ratenzahlungen, verpfändete zur Sicherheit der Beklagten eine Reihe von Wertpapieren, darunter 25 Stück Petersburger Internationale Handelsbank-Aktien - kurz Peter Inter genannt - und unterwarf sich der sofortigen Zwangsvollstreckung aus der Urkunde. Am 12, Dezember 1917 erteilte der Kläger der Beklagten den Auftrag, die in ihrem Besitze befindlichen Peter Inter zu verkaufen, weil infolge der damals einsetzenden russischen Wirren ein starker Kurssturz dieser Papiere zu besorgen war, und statt ihrer 5000 M Phönix- und 5000 M Norddeutsche Lloydaktien anzuschaffen und in Pfand zu nehmen. Die Beklagte hat diesen Auftrag abgelehnt. Der Kläger behauptet, durch dieses Verhalten der Beklagten, das wider Treu und Glauben verstoßen habe, sei ihm ein erheblicher Schaden erwachsen. Er habe die Peter Inter erst am 12. August 1918 auslösen können und habe dann nur einen Verkauf zum Kurse von 112 erzielt, während am 12. Dezember 191? ein Verkauf zum Kurse von 149 1/2 möglich gewesen wäre. Ferner hätte er an den Phönixaktien, wenn sie am 12. Dezember 1917 gekauft worden wären, 40 % verdient; denn er habe andere, in seinem Besitz befindliche Phönix im Mai 1918 zu einem 40 % höheren Kurse als dieser am 12. Dezember 1917 betrug verkauft. Er verlangt, nach Abzug einer unstreitigen Forderung der Beklagten an ihn, Zahlung von 4581,50 M nebst Zinsen; außerdem begehrt er Feststellung, daß der Beklagten keinerlei Ansprüche aus der Geschäftsverbindung mit ihm mehr zustehen, daß sie deshalb auch nicht berechtigt sei, Zwangsvollstreckung aus der Urkunde vom 26. Februar 1916 vorzunehmen.

Beide Vorinstanzen haben den Anträgen des Klägers stattgegeben. Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

Der Rechtsansicht des Kammergerichts, daß die Beklagte verpflichtet war, dem Verlangen des Klägers auf Umtausch der 25 Stück Peter Inter, die sie in Pfand hatte, gegen 5000 M Phönix und 5000 M Norddeutscher Lloyd stattzugeben, ist beizutreten.

Es steht fest, daß im Dezember 1917 eine wesentliche Minderung des Wertes der Peter Inter durch Kursverlust zu besorgen war. Der Kläger als Verpfänder konnte also gemäß § 1218 BGB. die Rückgabe dieser Aktien gegen anderweitige Sicherheitsleistung verlangen. Wenn der Kläger daher der Beklagten damals 5000 M Phönix und 5000 M Norddeutscher Lloyd Zug um Zug gegen Rückgabe der Peter Inter angeboten hätte, so würde die Beklagte diesen Umtausch der Pfandstücke nicht haben ablehnen dürfen; denn das Berufungsgericht hat festgestellt, daß diese Ersatzpapiere mindestens die gleiche Sicherheit boten wie die Peter Inter und daß bei jenen ein Wertverlust, wie bei diesen, damals nicht zu besorgen war. Eine größere Sicherheit aber, als der Beklagten im Dezember 1917 die Peter Inter gewährten, konnte sie an deren Stelle nicht beanspruchen, insbesondere hatte sie keinen Anspruch darauf, mündelsichere Werte dagegen zu erhalten. Wirtschaftlich hätte es zu dem gleichen Ergebnis geführt, wenn die Beklagte selbst, wie der Kläger sie beauftragt hatte, den Umtausch in der Weise vorgenommen hätte, daß sie die in ihrem Besitz befindlichen Peter Inter an der Börse verkaufte, mit dem Verkaufserlös die aufgegebenen Ersatzpapiere anschaffte und diese dann in Pfandbesitz nahm. Die Beklagte meint aber, sie hätte diesen Auftrag ablehnen dürfen, weil der Bankier nicht verpflichtet sei, Börsenaufträge anzunehmen. Das ist aber nicht die Frage, um die es sich hier handelt. Ob und inwieweit, insbesondere mit Rücksicht auf den Handelsbrauch, ein Bankier im allgemeinen berechtigt ist, Kommissionsaufträge im Effektenhandel abzulehnen, kann unerörtert bleiben, Hier ist vielmehr die Frage zu entscheiden, ob ein Pfandgläubiger, gleichgültig ob Bankier oder nicht, verpflichtet ist, beim Ersatz eines notleidenden Pfandstücks durch ein anderes gleichwertiges mitzuwirken, und zwar in der Art, wie der Kläger die Beklagte beauftragt hatte. Dieser Auftrag war an die Beklagte nicht sowohl in ihrer Bankiereigenschaft gerichtet, als vielmehr wesentlich in ihrer Eigenschaft als Vertragsgegnerin und Pfandgläubigerin des Klägers. Gerade das Vertragsverhältnis, in dem sie zum Kläger stand, legte ihr besondere Pflichten auf, und dieser ihrer Vertragspflicht hat sie durch die grundlose Ablehnung des Auftrags des Klägers schuldhaft zuwidergehandelt.

Daß aus einem Pfandvertrage nicht nur dem Pfandschuldner sondern auch dem Pfandgläubiger Pflichten erwachsen, bedarf keiner weiteren Begründung. Ebenso unbedenklich findet der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB.) Anwendung auf die Erfüllung der dem Pfandgläubiger obliegenden Vertragspflichten. Nun legt der § 1218 BGB. dem Pfandgläubiger die Verpflichtung auf, gegen anderweitige Sicherheitsleistung in die Rückgabe eines Pfandes einzuwilligen, wenn eine wesentliche Minderung seines Wertes zu besorgen ist. Diese Bestimmung bildet selbst schon einen Anwendungsfall des § 242 (RGZ. Bd. 74 S. 151). Wenn nun zwar auch § 1218 nicht ausdrücklich ausspricht, daß der Pfandgläubiger selbst bei den für den Pfandersatz notwendigen rechtsgeschäftlichen Handlungen mitzuwirken hat. so muß dieser doch auch dazu für verpflichtet erachtet werden, sofern nach den Umständen des Falles Treu und Glauben eine solche Mitwirkung gebieten. So liegt aber hier die Sache.

Die Frage nach Treu und Glauben ist wesentlich eine Frage der beiderseitigen Interessenabwägung. War die Mitwirkung der Beklagten beim Umtausch der Pfandstücke durch ein dringendes Interesse des Klägers geboten, ohne daß dadurch ein ebensolches Interesse der Beklagten verletzt wurde, so verstieß es gegen Treu und Glauben, wenn die Beklagte ihre Mitwirkung versagte. Das dringende Interesse des Klägers an dem Verkauf der Peter Inter, deren weitere erhebliche Wertminderung infolge der russischen Wirren zu besorgen war, stand fest. Anderseits wurde das Interesse der Beklagten dadurch, daß an Stelle dieser Papiere gute deutsche Papiere von mindestens gleichem Wert in Pfand gegeben werden sollten, nicht nur nicht beeinträchtig, sondern es wurde im Gegenteil auch ihrem Interesse dadurch gedient. Der Beklagten erwuchs durch die Erfüllung des Auftrags auch keine Mühewaltung, die ihr nicht zuzumuten gewesen wäre. Der Verkauf und Ankauf von Effekten gehört zu ihrem gewöhnlichen Gewerbebetrieb. Für die Besorgung des Auftrags durfte sie die übliche Provision berechnen. Gewiß hätte sie ein größeres Interesse daran gehabt, nur die Peter Inter zu verkaufen und den Barerlös auf ihre Forderung gegen den Kläger zu verrechnen. Darauf hatte sie aber gemäß dem zwischen den Parteien bestehenden Vertrag keinen Anspruch und sie durfte daher den Auftrag nicht ablehnen, um den Kläger zu zwingen, in den Verkauf der Peter Inter zwecks Verrechnung des Erlöses einzuwilligen und sich auf diese Weise einen vertragswidrigen und deshalb unberechtigten Vorteil zu verschaffen.

Die Revision meint, die Beklagte hätte zu Spekulationsgeschäften des Klägers mit den verpfändeten Papieren ihre Hand nicht zu bieten brauchen, und es sei keineswegs die Möglichkeit ausgeschlossen gewesen, daß die Kurse sich auch anders entwickelt hätten. Beides ist an sich richtig. Aber es handelte sich nicht um ein Spekulationsgeschäft des Klägers. Sein Interesse war nicht darauf gerichtet, durch den Umtausch der Effekten Kursgewinne zu machen, sondern er wollte einen drohenden erheblichen Verlust abwenden. Die Beklagte hat auch den Auftrag nicht aus dem Grunde abgelehnt, weil möglicherweise die Ersatzpapiere im Kurse fallen und minderwertig werden könnten. Eine so erhebliche Kursminderung, wie sie den russischen Papieren drohte, war damals mit Rücksicht auf die politische und wirtschaftliche Lage in Deutschland für die Ersatzpapiere nicht zu besorgen, wie das Berufungsgericht zutreffend feststellt, und die Beklagte hat auch in den Vorinstanzen keinerlei Tatsachen vorgebracht, aus denen sich damals eine solche Besorgnis hätte rechtfertigen lassen.

Ob die Beklagte vielleicht dann den Auftrag des Klägers hätte ablehnen dürfen, wenn dieser in der Lage gewesen wäre, die Ersatzpapiere sich anderweit zu verschaffen, kann unerörtert bleiben, da der Berufungsrichter, ohne daß der von der Revision gerügte Prozeßverstoß anzuerkennen wäre, tatsächlich festgestellt hat, daß der Kläger mangels barer Mittel zu einer anderweiten Anschaffung der Ersatzstücke nicht in der Lage war.

Ebensowenig kann die Beklagte sich darauf berufen, daß es ihr verboten gewesen sei, andere als Kassageschäfte zu übernehmen; denn es handelte sich hier um reine Kassageschäfte. Die 5000 M Phönix und 5000 M Norddeutscher Lloyd sollten mit dem Barerlös aus dem Verkauf der Peter Inter gekauft werden. Ein Kredit wurde vom Kläger nicht in Anspruch genommen, und die Beklagte hat auch nicht darzulegen, vermocht, daß der Barerlös aus den zu verkaufenden Effekten den Anschaffungspreis der Ersatzpapiere voraussichtlich nicht gedeckt habe würde.

Schließlich macht die Revision noch geltend, die Beklagte sei, wenn sie auch den Auftrag zum Verkauf der Peter Inter hätte ausführen müssen, jedenfalls nicht zum Ankauf der Ersatzpapiere verpflichtet gewesen, und es könne ihr deshalb der Schaden, den der Kläger durch entgangenen Kursgewinn an den Phönixaktien erlitten habe, nicht zur Last gelegt werden. Auch diese Ansicht ist verfehlt. Es handelte sich um einen einheitlichen, unteilbaren Auftrag, der gemäß § 1218 BGB. bezweckte, andere Wertpapiere an Stelle der notleidenden Peter Inter unter Pfandschaft zu bringen. Zweckgemäß mußte also der ganze Auftrag von der Beklagten ausgeführt werden. Die Beklagte hat demnach den gesamten Schaden dem Kläger zu ersetzen, der ihm durch die pflichtwidrige Nichtausführung des unteilbaren Auftrags entstanden ist, und der entgangene Gewinn an den 5000 M Phönix steht ebenso, wie der Kursverlust an den Peter Inter, in adäquatem Zusammenhange mit der schuldhaften Vertragspflichtverletzung der Beklagten.