RG, 27.11.1920 - I 165/20

Daten
Fall: 
Verhältnisses zwischen § 38 und § 39 Versicherungsvertragsgesetz
Fundstellen: 
RGZ 101, 30
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
27.11.1920
Aktenzeichen: 
I 165/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

Verhältnis von § 38 zu § 39 VersVG.

Tatbestand

Der dem Schiffseigner M. gehörige Flußdampfer Torgau stieß am 16. Dezember 1915 auf der Elbe mit dem der Klägerin gehörigen Dampfer Neckar zusammen. Dieser und die in ihm verladenen Güter verschiedener Ladungseigentümer wurden beschädigt. Der Schiffseigner M. hatte bei der Beklagten den Dampfer Torgau auf das Kasko einschließlich der Haftpflicht für Zusammenstoßschäden versichert. Die Versicherungspolice ist am 6./7. April 1915 ausgefertigt. Als Versicherungsdauer gibt sie die Zeit vom 1. April 1915 bis 1. April 1916 an. Dies entsprach den Verhandlungen vor Abschluß des Versicherungsvertrags, bei denen die Möglichkeit, daß die Ausfertigung der Police über den 1. April 1915 hinaus verzögert werden könnte, nicht in Betracht gezogen wurde. Am 16. Dezember 1915 waren weder die erste noch die späteren Prämienraten bezahlt. Der Schiffseigner M. hat die Rechte aus dem Versicherungsvertrage an die Klägerin abgetreten. Ebenso haben die Eigentümer der Ladung des Dampfers Neckar ihre Ansprüche gegen M. als Eigner des Dampfers Torgau auf die Klägerin übertragen. Diese verlangte nun mit der Klage von der Beklagten die Erstattung, des durch den Zusammenstoß an der Ladung entstandenen, angeblich von der Mannschaft des Dampfers Torgau verschuldeten Schadens. Die Beklage lehnte ihre Haftpflicht aus der Versicherung wegen der unterbliebenen Prämienzahlung ab.

Beide Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Auch das Reichsgericht nahm an, daß die Beklagte aus dem Versicherungsvertrage nicht in Anspruch genommen werden könne.

Gründe

Der Ansicht der Revision, daß in Gemäßheit der Vorschriften der Police vom 6./7. April 1915 nicht der § 38, sondern nur der § 39 VersVG. Anwendung zu finden habe, kann nicht zugestimmt werden Der § 39 hat einen Ausnahmefall im Auge, daß nämlich durch besondere Vereinbarung oder durch Stundung des Versicherers die Zahlung der ersten Prämie über den vereinbarten Beginn der Versicherung hinausgeschoben ist (vgl. Gerhard-Manes, VersVG. § 38 Begr. Abs. 2, Anm. 4 Abs. 2). Wie in RGZ. Bd. 80 S. 139 flg, zutreffend ausgeführt ist, setzt die Anwendung des § 39 voraus, daß die Versicherung wirksam und insbesondere unabhängig von der Zahlung und der Art der Zahlung der Prämie, um die es sich handelt, begonnen hat. Dagegen kommt § 39 dann nicht in Frage, wenn die erste Prämie von der Versicherungsgesellschaft erst nach dem in der Police als Beginn der Versicherung festgesetzten und an sich zugleich als Termin der Prämienzahlung vorgesehenen Zeitpunkt eingefordert wird und die Zahlung erst mit dieser Einforderung (z. B. bei Aushändigung der Police, vgl. § 16 der Allg. Policebedingungen) bewirkt zu werden brauchte. Es kann dahingestellt bleiben, ob hier ein solcher Fall vorliegt oder ob mit dem Berufungsgericht anzunehmen ist, daß nach dem Inhalt des Versicherungsvertrags der Versicherungsbeginn und die Fälligkeit der ersten Prämienzahlung auf alle Fälle zusammenfallen. Bei der letzteren Annahme würde im Hinblick darauf, daß die Police erst am 6./7. April 1915 unterschrieben ist, daß nach § 16 der Policebedingungen der Versicherungsnehmer die erste Prämie erst nach Abschluß der Versicherung und gegen Aushändigung der Police zu bezahlen hatte (vgl. auch § 35 VersVG,) und somit der Fälligkeitstermin für die erste Prämienzahlung über den 1. April hinausgeschoben ist, in demselben Maße auch der Versicherungsbeginn (und entsprechend das Versicherungsende) zurückdatiert werden müssen. In beiden Fällen hat aber hinsichtlich der ersten Prämienzahlung § 38 VersVG. Anwendung zu finden. War somit mangels rechtzeitiger Zahlung der ersten Prämienrate der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall vor der Zahlung eintrat, so änderte sich diese Rechtslage nicht, wenn eine weitere Prämienrate nunmehr also nach dem Beginn der Versicherung, fällig wurde. Anderenfalls würde ja, wie das Berufungsurteil mit Recht hervorhebt, die Stellung des Versicherungsnehmers durch eine Verzögerung der ersten Prämienzahlung über den zweiten und ferneren Zahlungstermin hinaus verbessert und in Rechte, die der Versicherer auf Grund einer Säumnis des Versicherungsnehmers kraft ausdrücklicher Gesetzesvorschrift erworben hat, durch eine weitere Ausdehnung und Verstärkung dieser Säumnis zum Nachteil des Versicherers eingegriffen werden. Vielmehr ist in Fällen der hier fraglichen Art für die Anwendung von § 39 erst dann Raum, wenn die erste Prämie vor Eintritt des Versicherungsfalls gezahlt ist. Der hiergegen von der Revision erhobene Einwand, daß der Versicherer nicht beliebig auf Kosten des Versicherten den Vertrag laufen lassen könne, ohne daß der Versicherte gegen die versicherten Gefahren gedeckt wäre, ist verfehlt, da ja der Versicherte durch rechtzeitige Zahlung der ersten Prämie die Haftpflicht des Versicherers in Kraft setzen kann. ... (Sodann wird ausgeführt, daß der Revision aus anderen Gründen stattzugeben sei.)