RG, 27.11.1920 - V 179/20
1. Von welchem Zeitpunkt an kann im Falle der Testamentsvollstreckung eine Nachlaßforderung mit der Folge geltend gemacht werden, daß die sechsmonatige Verjährungsfrist des § 207 BGB. zu laufen beginnt ?
2. Welche Wirkung hat der Widerruf der Leistung eines zugeschobenen Eides, wenn der Gegner die unter den Eid gestellte Behauptung demnächst zurücknimmt?
Tatbestand
Der Beklagte zu 5, Dr. K. ist Indossant der beiden Klagewechsel, von denen der eine, über 20000 M lautend und am 1. September 1917 ausgestellt, am 10. November 1917 fällig war, während der andere, über 50000 M lautend, am 2. Oktober 1917 ausgestellt und am 1. Januar 1918 fällig war. Der erste Wechsel ist am 13. November 1917, der zweite am 3. Januar 1918 protestiert worden. Der letzte Inhaber der Wechsel war der Großschlächtermeister H. in Berlin, der am 23. Februar 1918 verstorben ist. Seinen Nachlaß verwaltet der Kläger als Testamentsvollstrecker. Dieser hat die Wechselsumme nebst Zinsen und Kosten gegen den Aussteller, die Akzeptantin und die Indossanten der Wechsel eingeklagt. Das Landgericht hat den Beklagten zu 5 zur Zahlung von 70000 M nebst Zinsen und Kosten verurteilt, das Kammergericht hat die Klage gegen ihn als im Wechselprozeß unstatthaft abgewiesen. Die Revision des Klägers ist zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen:
Gründe
In erster Instanz hatte der Beklagte zu 5 nur den Einwand erhoben, daß der Erblasser H. bei Hingabe der Wechsel mit ihm vereinbart habe, vor Ende des Jahres 1918 dürfe aus den Wechseln unter keinen Umständen eine Forderung erhoben werden, die Wechselforderungen würden solange gestundet. Den ihm hierüber zugeschobenen Eid hat der Kläger am 6. November 1918 in der Überzeugungsform geleistet, worauf die Verurteilung des Beklagten zu 5 erfolgte. In der Berufungsinstanz erhob dieser dagegen den Einwand der Verjährung, indem er jetzt geltend machte, durch die Eidesleistung des Klägers stehe fest, daß die Wechselforderungen nicht bis Ende des Jahres 1918 gestundet seien; der erste Wechsel sei daher am 13. Februar 1918, der zweite am 5. Juli 1918 - drei Monate nach Annahme des Testamentvollstreckeramtes durch den Kläger - verjährt gewesen. Der Kläger wandte demgegenüber ein, daß der Ablauf der Verjährung gemäß § 207 BGB. gehemmt gewesen sei. H. sei am 23. Februar 1918 verstorben; die Annahme des Amtes als Testamentsvollstrecker habe er, Kläger, dem Nachlaßgericht erst am 3. Juni 1918 erklärt. Der Kläger widerrief ferner die Eidesleistung vom 6. November 1918 über die Stundung der Wechselforderungen durch H. gegenüber dem Beklagten zu 5. weil dieser am 19. Dezember 1918 dem Justizrat Ho. erzählt habe, er habe im September oder Oktober 1917 dem Erblasser H. gegenüber die Wechselforderungen anerkannt und damit auf seine Bitte von H. Stundung erhalten. Dies habe er, Kläger, vom Justizrat Ho. nachträglich erfahren. Der Berufungsrichter führt demgegenüber aber aus, daß der Kläger ausweislich der Nachlaßakten schon in der Verhandlung vom 5. April 1918 bei der Testamentseröffnung dem Nachlaßgerichte die Annahme des Amtes als Testamentsvollstrecker erklärt habe. Damit habe sein Amt begonnen und er sei rechtlich in der Lage gewesen, die Forderungen einzuklagen. Die spätere nochmalige Erklärung der Annahme des Amtes sei daher nicht maßgebend. Ob dem Kläger das Zeugnis über seine Ernennung als Testamentsvollstrecker erst im Juni 1918 erteilt sei, erscheine belanglos, da der Kläger jedenfalls imstande gewesen sei, innerhalb sechs Wochen vom 5. April 1918 ab gerechnet, sich dies Zeugnis zu besorgen. Er wäre deshalb auch tatsächlich spätestens am 18. Mai 1918 in der Lage gewesen, im Wechselprozesse zu klagen, so daß die Forderungen bei der Klagerhebung am 19. August 1918 auch bei Berücksichtigung dieses Umstandes verjährt gewesen seien. Die jetzige Behauptung des Klägers, daß H. bei Hingabe der Wechsel dem Beklagten Dr. K. bis Ende 1918 Stundung gewährt habe, sei bereits durch die Eidesleistung des Klägers in erster Instanz widerlegt. Der Widerruf der Eidesleistung durch den Kläger habe nicht die Folge, daß die Eidesleistung nunmehr als verweigert anzusehen sei. Der Kläger habe damit nur auf die Geltendmachung der formellen Beweiskraft der Eidesleistung zu seinen Gunsten verzichtet. Die Wirkungen der Eidesleistung zugunsten des Beklagten zu 5 blieben dagegen bestehen; die Behauptung der Stundung bis Ende 1918 sei also widerlegt. Wenn der Beklagte Dr. K. in erster Instanz auch selbst die Stundung bis Ende 1918 behauptet habe, so liege hierin doch kein Geständnis, das ihn binde; denn der Kläger habe diese Tatsache, bevor Dr. K. sie behauptete, seinerseits nicht behauptet, vielmehr in erster Instanz stets bestritten. Da die übrigen Behauptungen des Klägers über anderweitige Stundung nicht mit Beweismitteln unterstützt seien, die im Wechselprozeß zulässig seien, so müsse die Klage als in der gewählten Prozeßart unstatthaft abgewiesen werden.
Die Revision rügt Verletzung des § 207 BGB. und des § 464 Abs. 2 ZPO. Sie wendet sich zunächst gegen die Annahme des Berufungsrichters, daß die Verjährung des Anspruchs aus dem zweiten Wechsel über 50000 M schon am 5. April 1918 wieder zu laufen begonnen habe. Die dreimonatige Verjährungsfrist könne erst von dem Tage an gerechnet werden, an welchem der Kläger das Testamentsvollstreckerzeugnis oder einen anderen urkundlichen Ausweis über sein Amt erhalten habe, zumal da es sich um einen Wechselprozeß handele, in welchem die Urkunden der Klage hätten beigefügt werden müssen. Nicht die rechtliche, sondern die tatsächliche Klagemöglichkeit sei für den Lauf der Verjährung entscheidend. Dieser Revisionsangriff konnte keinen Erfolg haben.
Nach § 207 BGB. wird die Verjährung eines Anspruchs, der zu einem Nachlasse gehört oder sich gegen einen Nachlaß richtet, nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkte vollendet, in welchem die Erbschaft von den Erben angenommen oder der Konkurs über den Nachlaß eröffnet wird oder von welchem an der Anspruch von einem Vertreter oder gegen einen Vertreter geltend gemacht werden kann. Ist die Verjährungszeit kürzer als sechs Monate, so tritt der für die Verjährung bestimmte Zeitraum an die Stelle der sechs Monate. Da es sich hier um einen Regreßanspruch des Inhabers gegen den Vormann handelt, greift gemäß Art. 78 Nr. 1 WO. die Verjährung von drei Monaten Platz, deren Lauf hier mit dem Tage des erhobenen Protestes begann. Als Vertreter des Nachlasses im Sinne des § 207 kommt neben dem Nachlaßpfleger oder Abwesenheitspfleger auch ein Testamentsvollstrecker in Betracht, da nach § 2212 BGB. nur dieser ein seiner Verwaltung unterliegendes Recht gerichtlich geltend machen kann (vgl. Motive Bd. 1 S. 324). Da das Amt eines Testamentsvollstreckers nach § 2202 Abs. 1 BGB. mit dem Zeitpunkte beginnt, in welchem der Ernannte das Amt annimmt, und die Annahme des Amtes durch Erklärung gegenüber dem Nachlaßgericht erfolgt (§ 2202 Abs. 2), so kann die sechs- oder dreimonatige Frist nur von diesem Zeitpunkt an gerechnet werden. In § 167 des Entwurfs des BGB. war der Beginn der Frist von sechs Monaten in den Zeitpunkt verlegt, in welchem ein Vertreter, gegen welchen oder von welchem der Anspruch geltend gemacht werden konnte, bestellt war. Auch hier war also schon auf die Bestellung des Vertreters und die Möglichkeit der Geltendmachung des Anspruchs Gewicht gelegt. Sachlich ist an dem Inhalte dieser Vorschrift durch die etwas abweichende Fassung des § 207 BGB. nichts geändert (Protokolle Bd. 2 S. 221). Die Verjährung soll nicht laufen, solange der Nachlaß nicht vertreten ist. Mit der Erklärung der Annahme des Testamentsvollstreckeramtes gegenüber dem Nachlaßgericht ist aber die Möglichkeit geschaffen, mit Ansprüchen für oder gegen den Nachlaß vorzugehen. Abzulehnen ist die Auffassung der Revision, daß es daneben auch noch auf die tatsächliche Möglichkeit, den Anspruch geltend zu machen, ankomme, daß hier daher die Frist von drei Monaten erst von dem Zeitpunkt an gerechnet werden dürfe, in welchem der Kläger das Testamentsvollstreckerzeugnis oder einen anderen urkundlichen Ausweis über seine Ernennung erhalten habe. Des in § 2368 BGB. vorgesehenen Zeugnisses über seine Ernennung bedarf der Testamentsvollstrecker überhaupt nicht; er kann den Beweis für seine Ernennung und die Annahme des Amtes auch auf jede andere Art, z. B. durch Vorlegung des Testaments und einer Ausfertigung der Annahmeerklärung führen (JW. 1910 S. 802 Nr. 9). Dies gilt auch im Prozeß, insbesondere auch im Wechselprozeß. Zur Besorgung derartiger Urkunden genügt die sechs- oder dreimonatige Frist. Geradeso gut wie der Testamentsvollstrecker sich den Wechsel und den Protest zur Klage im Wechselprozeß rechtzeitig verschaffen muß, vermag er sich auch die zu seiner Legitimation dienenden Urkunden zu verschaffen. Diese Urkunden müssen übrigens nach § 593 Abs. 2 ZPO. nicht notwendig der Klage beigefügt werden, sondern können auch mit einem vorbereitenden Schriftsatze nachgebracht werden. Die Erhebung der Klage, welche die Verjährung unterbricht (§ 209 BGB.), ist also auch ohne Beifügung der Legitimationsurkunde möglich. Es kann auch, wie der Berufungsrichter mit Recht angenommen hat, nur auf die rechtliche Möglichkeit der Geltendmachung des Anspruchs nach § 207 BGB. ankommen. Andernfalls bestände für den Vertreter die Möglichkeit, dadurch, daß er sich nicht in die tatsächliche Bereitschaft zur Geltendmachung des Anspruchs versetzt, den Ablauf der Verjährung nach Willkür zu verzögern.
Weiter führt die Revision aus, infolge des Widerrufs der Eidesleistung, der vom Kläger ohne jede Einschränkung erklärt sei, müsse der Eid als verweigert gelten, und diese Rechtsfolge lasse sich nicht spalten; sie wirke notwendig nicht nur gegen, sondern auch für den Kläger. Auch diese Revisionsrüge kann nicht als berechtigt anerkannt werden. Die ZPO. kennt den Widerruf eines bereits abgeleisteten Eides überhaupt nicht. Nur das StGB, läßt in §§ 158, 163 den Widerruf einer falschen Aussage zu und sichert dem Schwörenden unter gewissen Voraussetzungen für den Fall des Widerrufs Straflosigkeit oder Strafermäßigung zu. Gleichwohl ist, wie das Reichsgericht in der vom Berufungsrichter angeführten Entscheidung RGZ. Bd. 69 S. 314 angenommen hat, der Widerruf einer Eidesleistung auch im Zivilprozeß nicht außer Betracht zu lassen; es ist ihm vielmehr die Bedeutung beizulegen, daß der Widerrufende auf die ihm günstigen Rechtsfolgen seiner eidlichen Erklärung verzichtet. Der Widerrufende gibt damit zugleich seinen Willen kund, daß die gesetzlichen Rechtswirkungen der Eidesleistung zu seinen Gunsten nicht eintreten sollen. Er gibt durch den Widerruf mit Rechtsnotwendigkeit zu erkennen, daß er es rechtlich so angesehen wissen wolle, als ob er in dem früheren Termin zur Eidesleistung den Eid nicht geleistet, sondern verweigert hätte. Allein diesen Verzicht auf die Folgen der Eidesleistung kann er wirksam nur zu seinen Ungunsten erklären. In der Regel wird die Erklärung allerdings auch im Interesse des Prozeßgegners liegen; denn läßt der Widerrufende die Behauptung des Gegners, die durch seine Eidesleistung widerlegt war, jetzt gegen sich gelten, so werden die dem Gegner nachteiligen Folgen der Eidesleistung zu dessen Gunsten wieder beseitigt. Dies trifft aber keineswegs immer zu, wie der vorliegende Fall zeigt. Hier hatte die Leistung des Eides, durch die erwiesen wurde, daß eine Stundung der Wechselforderungen bis Ende 1918 nicht erfolgt war, die Verurteilung des Beklagten zu 5 durch das Landgericht zur Folge. In der Berufungsinstanz jedoch, in der sich der Beklagte Dr. K. auf Verjährung berief, nachdem inzwischen das Jahr 1918 abgelaufen war, hielt er die Behauptung der Stundung, die der Verjährung entgegengestanden hätte, nicht mehr aufrecht, sondern stellte sich auf den Boden der Eidesleistung, wonach eine Stundung der Wechselforderungen bis Ende des Jahres 1918 nicht erfolgt war. Der Kläger hingegen griff jetzt, um dem Einwande der Verjährung zu begegnen, den vom Beklagten in erster Instanz erhobenen Einwand der Stundung auf; er hatte jetzt ein Interesse daran, die Folgen seiner Eidesleistung zu beseitigen. Der Widerruf seiner Eidesleistung würde hier also, wenn er der Eidesverweigerung schlechthin gleich zu achten wäre, zugunsten des Klägers und zuungunsten des Beklagten wirken, insofern als dem letzteren der Einwand der Verjährung damit abgeschnitten sein würde. Diese Folgen kann der Kläger aber durch den Widerruf nicht erreichen. Nachdem der Beklagte inzwischen in der Berufungsinstanz, gestützt auf die Eidesleistung des Klägers, den Standpunkt eingenommen hatte, daß keine Stundung erfolgt sei, konnte ihm der Kläger die ihm günstige Folge der Eidesleistung durch den Widerruf nicht mehr entziehen. Vielmehr konnte der Beklagte seinerseits sich auf diese Eidesleistung trotz des Widerrufs berufen. Der Widerruf, der hier strafrechtlich ohne jede Bedeutung war, weil der Beklagte schon verurteilt, also ein Rechtsnachteil für ihn aus der falschen Eidesleistung bereits entstanden war, der aber anderseits für den Kläger mit Rücksicht auf seine Begründung keine Gefahr bot, bedeutete im Zivilprozeß nur, daß der Kläger die Behauptung der Stundung unter Verzicht auf die Eidesfolge jetzt als richtig zugestand. Ein solches Zugeständnis konnte er aber wirksam nicht mehr abgeben, nachdem der Beklagte die Behauptung inzwischen hatte fallen lassen und seinerseits jede Stundung geleugnet hatte. Der Beklagte kann auch nicht lediglich deshalb, weil er in erster Instanz Stundung bis Ende 1918 eingewendet hatte, an seiner eigenen Behauptung unbedingt festgehalten werden; denn der Kläger hatte diese Behauptung in dem Verfahren vor dem Landgerichte bestritten und sogar eidlich abgeleugnet. Wenn der Beklagte in der Berufungsinstanz in Anbetracht dieser Eidesleistung die Behauptung der Stundung zurücknahm, so brauchte der Berufungsrichter die frühere Behauptung nicht gegen ihn zu verwerten, sofern man dies trotz der Eidesleistung infolge deren Widerrufs überhaupt für zulässig erachten wollte (vgl. RGZ. Bd. 86 S. 143 und S. 331; Warneyer 1911 Nr. 286, 1914 Nr. 234; Stein ZPO. § 288 II 1b; Sydow-Busch-Krantz ZPO. § 288 Anm. 4).