RG, 28.01.1889 - IV 286/88
Voraussetzungen der Anwendung der im Reichsstempelgesetze vom 29. Mai 1885 (Tarif II 4 B) enthaltenen Bestimmung, nach welcher Anschaffungsgeschäfte, welche unter Zugrundelegung der Usancen einer Börse über börsenmäßig gehandelte Waren geschlossen werden, einer Stempelsteuer von zwei Zehnteln vom Tausend unterliegen.
Gründe
"Nach der Bestimmung zu II 4 B des Tarifes zum Reichsstempelgesetze vom 29. Mai 1885 unterliegen Kauf- und sonstige Anschaffungsgeschäfte, welche unter Zugrundelegung der Usancen einer Börse geschlossen werden, über Mengen von Waren, welche börsenmäßig gehandelt werden, der im Gesetze angegebenen Stempelsteuer von zwei Zehnteln vom Tausend. Als börsenmäßig gehandelt aber sollen nach dem Tarife diejenigen Waren gelten, für welche an den Börsen, deren Usancen für das Geschäft maßgebend sind, Terminpreise notiert werben. Im vorliegenden Falle sind 110 Schlußnoten über Spirituslieferungsgeschäfte in Frage. Die Geschäfte sind nach den Usancen der Breslauer Börse geschlossen, in deren §. 7 bestimmt ist, daß der Spiritus in Gebinden von einer daselbst näher angegebenen Beschaffenheit zu liefern ist, und daß der Empfänger die Gebinde gegen bare Zahlung von 4 M für je 100 Liter Inhalt mit zu übernehmen hat. Terminpreise werden an der Breslauer Börse für Spiritus notiert, nicht aber für Spiritus in Gebinden. Der Beklagte hat vom Kläger die Stempelsteuer zu zwei Zehnteln vom Tausend des Lieferungspreises nicht bloß von dem auf den Spiritus fallenden Preise, sondern auch von dem Preise der Gebinde gefordert. Der Kläger hat die Steuer gezahlt und verlangt mit der vorliegenden Klage den auf die Fässer fallenden Preis mit zusammen 69 M zurück. Der Anspruch ist in beiden Vorinstanzen für begründet erachtet und der Beklagte zur Rückzahlung der 69 M verurteilt worden. Die eingelegte Revision kann keinen Erfolg haben.
Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Fässer, in denen der Spiritus zu liefern gewesen ist, mit verkauft sind. Wenn aber der Beklagte seinen Anspruch auf die nach dem Gesamtkaufpreise für den Spiritus und die Fässer berechnete Steuer auf den Umstand gründet, daß auch die Fässer mit verkauft seien, so kann ihm in dieser Schlußfolgerung nicht beigetreten werden. Entscheidend ist, ob die in Rede stehenden Lieferungsgeschäfte über mit Faß zu liefernden Spiritus Mengen von Waren, welche börsenmäßig gehandelt werden, zum Gegenstande haben. Diese Frage aber muß, soweit die Fässer in Betracht kommen, verneint werden. Es folgt zwar aus den Börsenusancen der Breslauer Börse von selbst, daß der Käufer von Spiritus neben dem Preise für den Spiritus noch 4 M für je 100 Liter des Spiritus zu zahlen hat, daß also dem für den Spiritus verabredeten Preise noch 4 M für je 100 Liter hinzutreten. Allein für die Ware, welche solchergestalt, nämlich gegen Zahlung des durch die Zusammenrechnung des für den Spiritus verabredeten Preises und der für je 100 Liter des Spiritus zuzuschlagenden 4 M sich ergebenden Betrages, zu liefern ist, sind Terminpreise an der Breslauer Börse nicht notiert. Die Börsennotierung von Terminpreisen erfolgt nur für den Spiritus. Der Umstand aber, daß usancemäßig zum Kaufpreise des Spiritus der Preis der Fässer als Zuschlag hinzuzurechnen ist, um den Gesamtkaufpreis festzustellen, macht diesen letzteren nicht zu einem notierten Börsenpreise. Dies bestätigt auch der zweite Absatz der Kolonne: "Berechnung der Stempelabgabe" des Tarifes. In demselben wird bestimmt, daß mangels Vereinbarung des Lieferungspreises der Wert des Gegenstandes durch den mittleren Börsen- oder Marktpreis am Tage des Abschlusses bestimmt wird. Offenbar ist hierunter der an diesem Tage notierte Börsen- oder Marktpreis verstanden, also, da an der Breslauer Börse für Spiritus nur ein Börsenpreis notiert wird, welchem ein Zuschlag für die Fässer nicht zugerechnet ist, dieser Börsenpreis. Hätte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt, so konnte er nicht sagen, daß der Wert durch den Börsen- oder Marktpreis bestimmt werde; denn dies bedeutet sprachlich, daß der Börsenpreis der zu besteuernde Wert sein solle. Er hätte vielmehr sagen müssen, daß der Wert unter Zugrundelegung des Börsenpreises zu bestimmen sei. Dies führt aber auch dahin, daß die vorhergehenden Worte: "Der Wert des Gegenstandes wird nach dem vereinbarten Kauf- und Lieferungspreise bestimmt"-- nur von dem Preise der börsenmäßig gehandelten Ware zu verstehen sind, also nur von dem des gehandelten Spiritus, nicht von dem der zusammen mit demselben gehandelten Fässer. Wenn der Beklagte wesentliches Gewicht darauf gelegt wissen will, daß die Spirituslieferungsgeschäfte, deren Versteuerung in Frage steht, einheitliche Geschäfte insofern seien, als Spiritus und Fässer den Gegenstand eines jeden einzelnen Geschäftes bilden, und daß, wer Spiritus nach den Breslauer Usancen kaufe, zugleich auch die den Spiritus einschließenden Fässer anschaffe, so läßt sich auch dieser Ausführung die Folge nicht geben, daß die Revision begründet erscheinen kann. Wird ein einheitliches Rechtsgeschäft in der Art geschlossen, daß die Preisberechnung für sämtliche Vertragsgegenstände aus den Beträgen, welche für die einzelnen Vertragsgegenstände angesetzt werden, sich erkennbar zusammensetzt, und ist die Stempelsteuerfrage für die einzelnen Gegenstände verschieden zu beantworten, so muß das Geschäft der Steuerberechnung gegenüber geteilt, die Vertragsgegenstände müssen gesonderter Beurteilung unterworfen werden, wenn auch für die juristische Betrachtung das Geschäft als ein einheitliches, von einem einheitlichen Vertragswillen beherrschtes sich darstellt. Trifft also die Stempelsteuer des Tarifes II 4 B des Reichsstempelgesetzes andere Waren, als diejenigen, für welche an der maßgebenden Börse Terminpreise notiert werden, nicht, so kann die Stempelsteuerabgabe im vorliegenden Falle nicht von dem Gesamtkaufpreise für Spiritus und Fässer, sondern nur von dem auf den Spiritus fallenden Betrage des Kaufpreises erhoben werden, weil es nur für Spiritus, nicht für Spiritusfässer, eine Notierung von Terminpreisen an der Breslauer Börse giebt".1
- 1. Die gleichen Grundsätze sind in den Urteilen des IV. Civilsenates des Reichsgerichtes vom 3. Oktober 1887 (Rep. IV. 111/67) und vom 4. Februar 1883 (Rep. IV. 292/88) angenommen worden. D. E.