RG, 20.11.1920 - V 471/19
Greift die Vorteilsausgleichung Platz, wenn der Wert des vom ausgefallenen Hypothekengläubiger erstandenen Grundstücks erst durch spätere unvorhersehbar gewesene Verhältnisse eine Steigerung erfahren hat?
Tatbestand
In der Urkunde vom 6. April 1913 hatte ein Kaufmann B. dem Kläger gegenüber die Ausbietungsgarantie für eine damals nur in Höhe von 30000 M valutierte Hypothek des Klägers von 50000 M bis zu seiner vollen Befriedigung aus seinem mit der Bauherrin geschlossenen Baugeldvertrag übernommen, und zwar auch für den Fall einer etwaigen Wiederversteigerung des Grundstücks. Für diese zwischen dem Kläger und B. getroffenen Abmachungen erklärte der Beklagte am Schlusse der Urkunde die Gewähr zu übernehmen. B. erstand das Grundstück bei dessen späterer Zwangsversteigerung, wobei die erwähnte Hypothek nicht in das geringste Gebot fiel. Zwischen ihm und dem
Kläger wurde das Stehenbleiben der Hypothek vereinbart und diese nunmehr vom Kläger, wie er behauptet, der Beklagte aber bestreitet, voll ausgefüllt. B. konnte das Grundstück nicht halten, es wurde auf Antrag des Klägers von neuem versteigert. Jetzt erstand der Kläger das Grundstück, fiel aber mit etwas über 10 000 M mit seiner Hypothek aus. Davon klagte er einen Teilbetrag von 5400 M nebst Zinsen ein. Der Beklagte bestritt seine Verpflichtung zur Erstattung des Ausfalls, behauptete außerdem, daß der Kläger sowohl B. wie ihm gegenüber darauf verzichtet habe, und erhob die Einreden der Vorausklage und der Arglist, namentlich aber den Einwand der Vorteilsausgleichung.
Das Landgericht erkannte auf einen dem Kläger zugeschobenen Eid über den Verzicht. Auf die Berufung des Beklagten wies das Kammergericht die Klage ab. Die Revision führte zur Aufhebung dieses Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Gründe
... Das Berufungsgericht, das den Klagantrag als einen Schadensersatzanspruch ansieht, hat dem Einwande der Vorteilsausgleichung Folge gegeben. Um dieses Ergebnis zu beseitigen, versucht die Revision in erster Linie den Nachweis, daß es sich nicht um Schadensersatz, sondern um einen Anspruch auf Vertragserfüllung handele. (Diese Auffassung der Revision wird zurückgewiesen und dann fortgefahren:) ... Es bleibt daher nur noch die Frage zu prüfen, ob der Angriff der Revision begründet ist, der sich gegen die Annahme eines den Schaden ausgleichenden Vorteils richtet. Dieser Angriff muß für zutreffend erachtet werden.
Das Berufungsurteil geht davon aus, daß der Kläger nicht bestreitet, daß das Grundstück jetzt den vom Beklagten behaupteten Mehrwert von mindestens 40000 M gegenüber dem ehemaligen Erstehungspreise habe. "Als maßgebend für die Schadensberechnung", so fährt das Urteil fort, "ist aber auch im allgemeinen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung anzusehen." Dies ist der 2. Oktober 1919, während die Versteigerung, in der der Kläger das Grundstück erstand, im Mai 1914 stattgefunden hatte. Das Berufungsgericht begründet seine Auffassung damit, daß der Zustand herzustellen sei, der jetzt bestehen würde, wenn der zum Schadensersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 BGB.). Wäre der Mehrwert des Grundstücks auf die eigene Tätigkeit des Klägers zurückzuführen, so wäre er nach der Annahme des Berufungsgerichts bei der Schadensberechnung allerdings nicht zu berücksichtigen. Aber der Kläger behauptete selber in Übereinstimmung mit dem Beklagten, daß das Grundstück infolge der allgemeinen Preissteigerung wertvoller geworden sei. Wenn das Gericht demzufolge annimmt, daß dem Kläger ein Schaden gar nicht entstanden sei, da er wegen seines Hypothekenausfalls durch den Mehrwert des Grundstücks voll gedeckt sei, so muß dem Angriffe der Revision hiergegen durchaus beigepflichtet werden. Der Grundgedanke ist der, daß der Schaden nicht einseitig nach der Höhe der aus dem Vermögen des Beschädigten in das des Schädigers übergegangenen Vermögensteile, sondern nur unter Ausgleichung aller beiderseitigen aus derselben Wurzel entsprungenen Vermögensab- und -zugänge festgesetzt werden kann (RGZ. Bd. 54 S. 140). Dieser Gesichtspunkt der gleichen Wurzel, hinsichtlich deren die Rechtsprechung allmählich von einer strengen, stark einschränkenden zu einer weitherzigen Auslegung übergegangen ist, darf aber nicht dazu führen, irgendeinen Vorteil, wenn er nur letzten Endes sich auf die gleiche Wurzel wie der Nachteil zurückführen läßt, dem Ersatzberechtigten im Wege der Vorteilsausgleichung in Rechnung zu stellen. Nachteil und Vorteil müssen sich gleichzeitig gegenübertreten. Ist zwar auch hier wieder der Begriff der Gleichzeitigkeit ebensowenig wie der der Einheitlichkeit des Ereignisses zu pressen (s. den in RGZ. Bd. 93 S. 144 entschiedenen Fall), so muß es sich doch immer um einen im wesentlichen gleichzeitig erlangten Vorteil handeln (JW. 1916 S. 1016 Nr. 3). Erlitt der Kläger einen Schaden durch Hypothekenausfall, so kann ihm der Erwerb des belasteten Grundstücks zu einem niedrigen Preise nur dann als ein den Schaden ganz oder teilweise ausgleichender Vorteil angerechnet werden, wenn das Grundstück zu dieser Zeit des Hypothekenausfalls und der Erstehung an Wert den Kaufpreis (Meistgebot nebst Unkosten) übersteigt oder ihm gleichkommt. Ist dies aber damals, d. h. im Frühjahre 1914, nicht der Fall gewesen, sondern erst, damals unvorhersehbar Jahre später eingetreten und daher zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung im Oktober 1919 vorhanden gewesen, so kann man nicht von einem gleichzeitig erlangten Vorteile sprechen. Mag man auch die Voraussetzung "ein und dasselbe Ereignis" als gegeben ansehen, so muß doch weiter festgestellt werden können, daß der Erwerber des Grundstücks bei der Zwangsversteigerung im Endergebnis trotz Ausfalls seiner Hypothek keinen Verlust erlitten hat (RGZ. Bd. 80 S. 161). Man darf aber nicht so weit gehen, einen den Schadenersatzanspruch beseitigenden Ausgleich allein deshalb anzunehmen, weil das Grundstück später ohne eigene Tätigkeit des Erwerbers aus damals nicht vorhersehbaren Gründen so viel wertvoller geworden ist, daß, wenn jetzt die Versteigerung erfolgt wäre, der Kläger infolge dieser Wertsteigerung keinen Nachteil durch Ausfall der Hypothek erlitten haben würde (s. auch RGZ. Bd. 96 S. 52). Ob es bei einer derartigen Sachlage überhaupt zu einem Ausfalle gekommen wäre, würde übrigens zudem noch zweifelhaft sein. Daraus, daß der Schädiger gemäß § 249 BGB. den Zustand herzustellen hat, der zurzeit ohne das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis bestehen würde, kann das Berufungsgericht seine Auffassung nicht rechtfertigen. Der Schädiger muß den entstandenen Schaden beseitigen, er muß daher bei dessen Fortwirken alles tun, was zur Herstellung des obenerwähnten Zustandes erforderlich ist, so daß für den Umfang seiner Ersatzpflicht ein späterer Zeitpunkt, also der der letzten mündlichen Verhandlung oder ein noch späterer, entscheidend sein kann. Dies hat aber mit dem Zeitpunkte, zu dem der zum Ausgleiche zu verwendende Vorteil gegenüberstehen muß, nichts zu tun. ... Soweit die Revision die allgemeine Senkung des Geldwertes geltend macht, ist sie im Unrecht. Es mag sein, daß jemand nicht deshalb reicher geworden ist. weil sein Grundstück jetzt in Papiermark einen höheren Wert hat als früher. Aber dasselbe gilt für die Hypothek, die der Kläger noch besitzen würde, wenn es zur zweiten Versteigerung nicht gekommen wäre, denn danach hätte er auch nur den Betrag oder den Ersatz dafür in Papier zu fordern, d. h. Schaden und etwaiger Vorteil stehen sich in dem gleichen Wertverhältnis gegenüber wie zu der Zeit, als die allgemeine Geldwertsenkung noch nicht eingetreten war.