RG, 26.10.1920 - II 53/20

Daten
Fall: 
Verkauf von Bankazinn
Fundstellen: 
RGZ 100, 246
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
26.10.1920
Aktenzeichen: 
II 53/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin, Kammer für Handelssachen
  • KG Berlin

1. Wirkung des Verbots der preuß. Kriegsministerialverordnung vom 1. April 1915 über Verkauf von Bankazinn.
2. Kann der Anlauf von beschlagnahmten Gegenständen des Kriegsbedarfs gegen die guten Sitten verstoßen?
3. Muß sich der Vertretene die sittenwidrige Handlung des Vertreters zurechnen lassen?

Tatbestand

Die Beklagte macht gegen die an sich unstreitige Klageforderung eine Gegenforderung von 13350 M, teils aufrechnungsweise, teils widerklagweise geltend, darauf gestützt, daß sie am 20. Januar 1917 von der Klägerin 2675,6 kg Bankazinn zum Preise von 24 M für das Kilogramm gekauft hatte. Mit der Zahlung dieses Kaufpreises, behauptet sie, sei die Klägerin ungerechtfertigt bereichert worden. Zunächst sei das ganze Kaufgeschäft nichtig, weil es gegen ein gesetzliches Verbot verstoße, nämlich gegen die Verordnung des preußischen Kriegsministeriums vom 1. April 1915, die das Zinn beschlagnahmt habe und seinen Verlauf untersage; sodann sei mindestens Herabsetzung des gezahlten Preises mit Rücksicht auf die Verordnung, betr. die Höchstpreise von Kupfer usw. vom 10. Dezember 1914, 31. Juli 1916 und das Gesetz, betr. Höchstpreise vom 4. August 1914, 17. Dezember 1914, 21. Januar 1915 geboten.

Das Landgericht erachtete die Gegenforderung für berechtigt und erkannte vollständig nach den Anträgen der Beklagten. Dagegen verurteilte das Kammergericht die Beklagte, 5156.85 M zu bezahlen; die Mehrforderung der Klägerin und die Widerklage wies es ab. Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen.

Gründe

Das Berufungsgericht stellt fest, daß sich die Klägerin beim Verkaufe des Bankazinns gegen das Verbot vergangen habe, das in der genannten Verordnung des preußischen Kriegsministeriums vom 1. April 1915 enthalten sei. Damit habe die Klägerin zugleich gegen die guten Sitten verstoßen. Ebenso habe sich die Beklagte gegen jenes Verbot vergangen, denn indem sie das Zinn von der Klägerin gekauft habe, habe sie sich zur Teilnehmerin des Vergehens der Klägerin gemacht, überdies die Klägerin zur Übertretung des Verbots "angereizt", was ebenfalls nach der Verordnung vom 1. April 1915 strafbar sei.

Die Annahme, daß die Beklagte Teilnehmerin an der verbotenen Verkaufshandlung der Klägerin durch den Ankauf des Bankazinns geworden sei, ist verfehlt. Sofern sich das Verbot lediglich gegen den Verkauf richtete, wie das Berufungsgericht annimmt, läge nur eine sogenannte "notwendige Teilnahme" vor, die nicht vom Verbote des Verkaufens getroffen würde. Nach der Verordnung ist ferner "jedes Anreizen" zur Übertretung der erlassenen Vorschrift unter Strafe gestellt.

In dem bloßen Ankauf erblickt aber das Berufungsgericht mit Unrecht schon ein Anreizen zum Verkauf, und weitere Tatumstände, die ein Anreizen ergeben könnten, sind nicht festgestellt. Insoweit sind also die Gründe des Berufungsgerichts nicht ausreichend, um die Nichtigkeit des Kaufgeschäfts nach § 134 BGB. darzutun. Gleichwohl ist die Beurteilung im Ergebnis aus anderen Erwägungen zutreffend. In der Verordnung des preußischen Kriegsministeriums vom 1. April 1915 wird jede "Übertretung" unter Strafe gestellt. Als Normen, deren Übertretung in Frage kommt, sind aus der Verordnung erkennbar einmal diejenigen, die sich aus der darin begründeten Meldepflicht ergeben, sodann diejenigen, die aus der Beschlagnahme der von der Verordnung betroffenen Gegenstände folgen, endlich das in der Einleitung noch besonders hervorgehobene Verbot des Anreizens zur Übertretung der Normen. Ein Verbot, das den Verkauf als solchen untersagte, besteht ebensowenig wie ein Verbot des Ankaufs. Auch die Meldepflicht trifft den Besitzer der meldepflichtigen Gegenstände ohne Beziehung auf ein über sie abgeschlossenes obligatorisches Rechtsgeschäft; das Verbot des Anreizens zu Übertretungen richtet sich gleichfalls gegebenenfalls gegen den Verkäufer wie den Abkäufer der beschlagnahmten Sachen, und die Beschlagnahme endlich gebietet schlechthin ein derartiges Verhalten den beschlagnahmten Gegenständen gegenüber, daß der Zweck der Beschlagnahme, den Zugriff des Kriegsministeriums und der ihm unterstellten Kriegsrohstoffabteilung jederzeit zu ermöglichen, sichergestellt wird. Auch dieses Gebot richtet sich an jedermann, nicht nur an den Besitzer der Gegenstände, der selbstverständlich in erster Linie in Betracht kommt, sondern auch an jeden Dritten, der in die Lage kommen kann, auf die Gegenstände in einer Weise einzuwirken, daß die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme gefährdet wird. Es ergibt sich daraus, daß die Verordnung jedes Rechtsgeschäft als solches für rechtlich unwirksam hinstellen will, das die Grundlage für eine Beeinträchtigung der Wirkungen der Beschlagnahme abgeben kann. Es liegt schon im Wesen der Beschlagnahme, daß sie das Geschäft selbst als gegen die Rechtsordnung verstoßend hinstellt, das den Zustand der Beschlagnahme gefährdet. Diese Bedeutung der Beschlagnahme ist nachmals auch durch die BRV. vom 24. Juni 1915 über die Lieferung des Kriegsbedarfs (RGBl. S. 357) in § 4 anerkannt worden, wonach

"die Vornahme von Veränderungen an den von ihr berührten Gegenständen verboten ist und rechtsgeschäftliche Verfügungen über sie nichtig sind".

Ist nun auch der schuldbegründende Kaufvertrag selbst noch keine unmittelbar auf eine Rechtsänderung abzielende rechtliche Verfügung (RGZ. Bd. 99 S. 124), so macht doch das Verbot, über die beschlagnahmte Sache zu verfügen, auch das der Verfügung zugrunde liegende obligatorische Geschäft nichtig (vgl. Urt. des RG. I 285/19 v. 2. März 1920).

Es kann nach alledem dahingestellt bleiben, ob auf das am 20. Januar 1917 abgeschlossene Kaufgeschäft die BRV. vom 24. Juni 1915 unmittelbar Anwendung findet, was der Fall wäre, wenn sie auch auf die vor ihrer Geltung erfolgte Beschlagnahme - wie hier durch die Verordnung des Kriegsministeriums vom 1. April 1915 - Anwendung zu erleiden hätte. Jedenfalls ergibt sich seine Nichtigkeit auch ohnedies aus dem Sinne und Zwecke der Verordnung des Kriegsministeriums vom 1. April 1915. Daß endlich sowohl die Klägerin wie der Vertreter der Beklagten, C. Kenntnis von der Beschlagnahme hatten, sonach bewußt gegen das aus ihr fließende Verbot handelten, ist vom Berufungsgerichte gleichfalls einwandfrei festgestellt worden. Dieses bei dem Vertreter C. vorhandene Bewußtsein muß sich aber die Beklagte nach § 166 BGB. zurechnen lassen. ...

Ferner nimmt das Berufungsgericht an, durch den Ankauf des Bankazinns habe die Beklagte auch gegen die guten Sitten verstoßen, so daß das Rechtsgeschäft auch gemäß § 138 BGB. nichtig sei. Das Zinn sei zur Veräußerung an die private Kundschaft der Beklagten erworben und dadurch der Bestimmung, für Heereslieferungen verarbeitet zu werden, entzogen worden. Diese Begründung erscheint zutreffend. Wenn Gegenstände des Kriegsbedarfs, die bereits beschlagnahmt, also bestimmt sind, zu Heereszwecken verarbeitet zu werden, dieser ihrer Bestimmung entzogen und in eigennützigem Interesse für bloße Privatzwecke bereitgestellt werden, so bedeutet das eine Erschwerung und Beeinträchtigung der Vereidigung des Vaterlandes; das aber wird mit Recht als gegen die guten Sitten verstoßend gewürdigt. Daß der Vertreter der Beklagten die Beschlagnahme kannte, sich also dessen bewußt war, die Ware der ihr zukommenden Bestimmung, zur Verteidigung des Vaterlandes verwendet zu werden, zu entziehen, ist einwandfrei festgestellt. Dieses Bewußtsein genügt aber; daß der Vertreter selbst seine Handlung als eine unsittliche bewertete, ist nicht erforderlich. Erweist sich aber diese durch den Vertreter der Beklagten vorgenommene Handlung als ein unsittlicher Vertragsabschluß, so muß nach § 166 BGB. die Beklagte diese Unsittlichkeit des Geschäfts auch gegen sich gelten lassen, selbst dann, wenn in ihrer Person der Vorwurf der Unsittlichkeit wegen mangelnden Bewußtseins der in Betracht kommenden Tatumstände nicht erhoben werden könnte. ...

Trotz dieser Nichtigkeit des Kaufgeschäfts ist aber die Beklagte doch nicht befugt, den gezahlten Kaufpreis zurückzufordern. Nach den getroffenen Feststellungen hat sie nicht nur den Kaufvertrag durch ihren Vertreter C. abgeschlossen, sondern durch diesen auch den jetzt zurückverlangten Kaufpreis bezahlt. Daß aber dem C. bei der Zahlung die Beschlagnahme der Ware bekannt war, er somit dabei bewußt gegen ein gesetzliches Verbot wie gegen die guten Sitten handelte, ist vom Berufungsgericht mit Recht angenommen worden. Leistete die Beklagte aber durch einen Vertreter, so steht das in der Person des Vertreters nach § 817 Abs. 2 BGB. begründete Hindernis der Rechtsverfolgung auch der vertretenen Beklagten entgegen (vgl. RGZ. Bd. 99 S. 167).