RG, 26.10.1920 - III 239/20

Daten
Fall: 
Selbstgefertigte kunstgewerbliche Erzeugnisse
Fundstellen: 
RGZ 101, 1
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
26.10.1920
Aktenzeichen: 
III 239/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Greiz
  • OLG Jena

Kann der Verkäufer selbstgefertigter kunstgewerblicher Erzeugnisse, die keinen besonderen Urheberschutz haben, die Lieferung verweigern, wenn der Käufer mehrfach zum Schaden des Verkäufers solche Erzeugnisse nachgeahmt hatte?

Tatbestand

Im Oktober 1916 hat die Beklagte den zu ihrer Zimmereinrichtung Modell "Siegfried" gehörigen Bücherschrank und Schreibtisch um 2450 M, lieferbar in 4 bis 5 Monaten und zahlbar je hälftig 4 Wochen vor Absendung und 30 Tage nach Empfang, an die Klägerin verkauft. Die Lieferung sollte nicht an die Klägerin, die nur mit Zeitkontrollapparaten und Uhren handelt, sondern an die Firma K. Gesellschaft m. b. H. in M. erfolgen, die auch namens der Klägerin die Bestellung gemacht hatte. Bisher ist die Lieferung unterblieben. Mit der Klage beansprucht die Klägerin die Lieferung der Möbel Zug um Zug gegen die vereinbarte Zahlung.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Die Revision war erfolglos aus folgenden Gründen:

Gründe

Die Beklagte bestreitet ihre an sich aus dem Kaufvertrag entspringende Lieferpflicht, weil ihr die Lieferung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben sowie nach den Gebräuchen des anständigen loyalen Geschäftsverkehrs nicht zuzumuten sei. Denn die Firma K.. deren Verhalten die Klägerin gegen sich gelten lassen müsse, habe in den dem Kaufschlusse vorausgegangenen Jahren und auch später Möbelerzeugnisse anderer Firmen, insbesondere solche aus ihrer - der Beklagten - Fabrik, zum Schaden der Erzeuger nachgeahmt, und es sei zu befürchten, daß sie im Falle der Lieferung der Kaufware auch diese nachgeahmt hätte.

Das Berufungsgericht hat diesen Einwand für berechtigt erklärt. Die von der Revision hiergegen erhobenen Bedenken sind unbegründet.

Berufungsgericht hat nicht angenommen, daß der Beklagten für ihre Erzeugnisse auf Grund der Gesetze über das Urheberrecht besondere Befugnisse zuständen. Trotz des Mangels eines solchen Urheberrechtsschutzes waren aber die Erzeugnisse der Beklagten nicht schutzlos jeder Nachbildung preisgegeben. Wie das Reichsgericht schon in mehrfachen Entscheidungen (RGZ. Bd. 73 S.294, Bd. 77 S.431, Bd. 79 S. 415, Bd. 83 S. 334; JW. 1913 S. 1106 Nr. 7; Warneyer 1911 S. 86) dargelegt hat, werden durch die Sondergesetzgebung über das Urheberrecht die allgemeinen Vorschriften des BGB., die den Schutz gegen illoyale Handlungen im Verkehrsleben bezwecken, insbesondere die des § 826 BGB., nicht ausgeschlossen, außer wenn das Urheberrecht absichtlich den Schutz für einen bestimmten Tatbestand ablehnt. Darüber, ob eine Verletzung des § 326 vorliegt, entscheiden die Umstände des einzelnen Falles. In den erwähnten reichsgerichtlichen Entscheidungen ist ausgeführt, daß die Nachahmung für sich allein regelmäßig eine Verletzung des § 826 nicht enthalte, daß aber ein Verstoß gegen die guten Sitten des anständigen Geschäftsverkehrs dann zu bejahen sei. wenn der Nachahmer durch die Ausnutzung der fremden Arbeitsleistung sich in den Stand setze, die Ware ohne erhebliche Aufwendungen billiger als der Erzeuger in den Handel zu bringen, und so den Erzeuger um die Früchte seines mit Mühe und Kosten hergestellten Erzeugnisses bringe. Zutreffend hat auf dieser Grundlage das Berufungsgericht angenommen, daß die Firma K. der Vorwurf eines den § 826 BGB. verletzenden Geschäftsgebarens treffe. Nach seinen Darlegungen hat diese Firma durch einen Tischlermeister und Bildhauer in M. mehrere Möbelstücke, die zu den von der Beklagten in ihrer Fabrik nach eigenen Plänen und unter besonderer Bezeichnung hergestellten kunstgewerblichen Erzeugnissen gehörten, in wesentlichen Teilen zum Schaden der Beklagten nachgeahmt, so insbesondere noch im Mai 1917 den Bücherschrank "Heinrich". Daß die Firma K. sich der Mißbräuchlichkeit ihrer Nachahmungen bemüht war, ergibt sich daraus, daß sie die Nachahmungen einstellte, als die Beklagte von ihnen Kenntnis erhielt. Die von der Revision gegen diese tatsächlichen Feststellungen erhobenen Angriffe sind nicht gerechtfertigt. Lediglich auf dem Boden tatsächlicher Erwägungen beruht auch die fernere Annahme des Berufungsgerichts, daß die Beklagte mit Recht weitere Nachahmungen im Falle der Ausführung der streitigen Lieferung zu befürchten gehabt habe.

Bedenkenfrei ist sodann die Darlegung des Berufungsgerichts, daß nach der gegebenen Sachlage die Klägerin im Verhältnis zur Beklagten dieses Geschäftsgebaren der Firma K. gegen sich gelten lassen müsse. Die Kaufsache war, wenn auch der Kaufvertrag wegen der unsicheren Kreditverhältnisse jener Firma formell auf den Namen der Klägerin gestellt war, nach dem Inhalte des Vertrags für jene Firma bestimmt und an sie zu liefern. Die Klägerin selbst war lediglich Händlerin in Zeitkontrollapparaten und Uhren und hatte kein eigenes Interesse an der Möbellieferung. Die geschäftlichen Verhältnisse der Klägerin und jener Firma sowie ihre Geschäftsleitungen waren auf das engste verbunden. Es war also zu erwarten, daß die Firma K. die Möbel zur freien Verfügung erhalten werde. Dem von der Beklagten erhobenen Einwande steht nicht, wie die Revision meint, entgegen, daß die Klägerin im Prozeß erklärt hat, sie verlange die Möbel für sich und sie werde sie zur Ausstattung des Kontors eines Herrn v Z. verwenden. Auch im Falle solcher nachträglich geplanten Verwendung stand einer vorher bewirkten Nachahmung durch die Firma K. nichts im Wege.

Hiernach stand der Beklagten das Recht zu, die Lieferung aus dem Kaufe zu verweigern. Dieses Recht wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Beklagte, bis sie Kenntnis von der Nachahmung erhielt, die Lieferung deshalb hinauszögerte, um höhere Preise zu erlangen.