RG, 17.09.1920 - III 92/20

Daten
Fall: 
Schadensersatz wegen schuldhafter Verzögerung der Erfüllung eines Vertrags
Fundstellen: 
RGZ 100, 42
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
17.09.1920
Aktenzeichen: 
III 92/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Köln
  • Oberlandesgericht Köln

1. Setzt ein Anspruch auf Schadensersatz wegen schuldhafter Verzögerung der Erfüllung eines Vertrags stets Verzug voraus?
2. Kann ein mitwirkendes Verschulden des Mieters, der Schadensersatz wegen Nichtabstellung eines Mangels der Mietsache begehrt, darin gefunden werden, daß er von seinem Rechte zur Beseitigung des Mangels keinen Gebrauch gemacht hat, als der Vermieter trotz Zusage den Mangel nicht alsbald abstellte?

Tatbestand

Durch schriftlichen Vertrag vom 24. Mai 1909 vermietete die Beklagte an "Herrn Bonifaz D.. Maßgeschäft in Köln" ein ihr gehöriges Haus in Köln zu einem Mietzinse von monatlich 166,67 M für die Zeit vom 1. Juli 1909 bis 30. Juni 1912 mit der Abrede, daß das Mietverhältnis als bis zum 30. Juni 1915 verlängert gelte, wenn es nicht drei Monate vor Ablauf der Vertragszeit gekündigt würde. Durch Brief vom 30. März 1917 kündigte Bonifaz D. den bis dahin stillschweigend fortgesetzten Mietvertrag zum 30. Juni 1917. Am 18. April 1917 erklärte die Klägerin, eine inzwischen gegründete offene Handelsgesellschaft, die aus Bonifaz D. und dessen Sohn besteht, sich brieflich der Beklagten gegenüber mit deren Vorschlag einverstanden, ihr "das seither gemietete Lokal" für den monatlichen Mietpreis von 125 M zu überlassen.

Nachdem schon in der Nacht vom 30. November zum 1. Dezember 1917 der Klägerin Wein aus den Mieträumen gestohlen war, wurde in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1918 erneut, bei ihr eingebrochen. Die Klägerin fordert Ersatz des Wertes der bei dem zweiten Diebstahl entwendeten Sachen, indem sie behauptet, die Beklagte habe den Einbruch dadurch verschuldet, daß sie trotz ihrer nach dem ersten Diebstahle gegebenen Zusage es unterlassen habe, für einen genügenden Verschluß der Kelleröffnung, durch die die Diebe eingestiegen seien, zu sorgen. Dieser Anspruch ist von dem Berufungsgerichte zur Hälfte dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die dagegen von beiden Teilen eingelegten Revisionen hatten keinen Erfolg.

Gründe

Die Befugnis der Klägerin zur Geltendmachung der eingeklagten Forderung wird von der Beklagten mit der Behauptung bestritten, daß nicht die klagende offene Handelsgesellschaft, sondern nur der eine Gesellschafter, Bonifaz D., der unstreitig den ursprünglichen Mietvertrag vom 24. Mai 1909 abgeschlossen und später seinen Sohn als Teilhaber in sein Geschäft aufgenommen hat, der Mieter sei. Die Bejahung der Klagebefugnis der Klägerin durch das Berufungsgericht ist jedoch trotz der von der Beklagten dagegen gerichteten Revisionsangriffe rechtlich nicht zu beanstanden.

Dasselbe gilt von der Annahme des Berufungsrichters, daß die Beschaffenheit der Kelleröffnung die Ursache des Einbruchsdiebstahls und des durch ihn entstandenen Schadens gewesen sei.

Die Verpflichtung der Beklagten zur Abstellung des mangelhaften Zustandes der Kelleröffnung gründet der Vorderrichter auf die Zusage, die die Angestellte N. der Beklagten am 1. Februar 1918 der Klägerin gegeben habe. ... Wenn die Beklagte ausführt, daß in der Zusage der B., die Kelleröffnung werde gemacht, nicht die Übernahme einer Verpflichtung und jedenfalls nicht die einer Pflicht zu einer besonders beschleunigten Abstellung liege, so kann dem nicht beigepflichtet werden. Da bereits einmal ein Diebstahl unter Ausnutzung des mangelhaften Verschlusses der Kelleröffnung verübt und, wie das Berufungsgericht feststellt, bei den unsicheren Zeitverhältnissen eine Wiederholung zu befürchten war, durch die der Klägerin möglicherweise ein sehr erheblicher Schaden erwuchs, konnte die Zusage nach Treu und Glauben von beiden Teilen nur dahin verstanden werden, daß der Verschluß sofort gemacht werden würde.

Bei dieser Lage des Falles ist auch mit dem Berufungsrichter eine Haftung der Beklagten für die schuldhafte Verzögerung der Erfüllung der Zusage anzunehmen, obwohl die Klägerin die Beklagte nicht an deren Erfüllung gemahnt hat. Der Ansicht des Berufungsgerichts, daß die Übernahme einer Pflicht zur Abwendung einer unmittelbar drohenden, erheblichen Gefahr die Haftung für den durch die schuldhafte Verzögerung ihrer Erfüllung entstandenen Schaden ohne weitere Mahnung begründet, ist für den vorliegenden Fall, in dem die sofortige Erfüllung nach Lage der Umstände als von beiden Seiten gewollt anzunehmen ist, beizutreten. Ein Verschulden der Beklagten in der Verzögerung der Abstellung des Mangels ferner wird von dem Vorderrichter mit zutreffender Begründung bejaht. ...

Der letzte Revisionsangriff der Beklagten und die Revision der Klägerin betreffen die Frage des mitwirkenden Verschuldens der Klägerin. Der Berufungsrichter findet ein solches darin, daß die Klägerin nicht gemäß § 538 Abs. 2 BGB, den Verschluß selbst habe anbringen lassen, und legt ihr deshalb die Hälfte des Schadens auf; er läßt dahingestellt, ob auch in dem Unterlassen einer Bewachung der Mieträume ein Verschulden zu erblicken sei, da auch im Falle einer Bejahung dieser Frage bei der Geringfügigkeit des Verschuldens der Klägerin nicht mehr als die Hälfte des Schadens zur Last zu legen sein würde. Auch diese Ausführungen sind rechtlich einwandfrei. Daß, wie die Klägerin hervorhebt, der § 538 Abs. 2 den Mieter zur Selbstbeseitigung des Mangels berechtigt und nicht verpflichtet, schließt nicht aus, daß in der Nichtausübung dieses Rechtes ein mitwirkendes Verschulden des Mieters im Sinne des § 254 gefunden wird. Denn dieses Verschulden setzt, wie das Reichsgericht vielfach ausgesprochen hat (z. B. RGZ. Bd. 62 S. 351; JW. 1914 S.827; Warneyer 1915 S. 308), nicht die Verletzung einer besonderen Rechtspflicht voraus, sondern ist schon dann gegeben, wenn der Beschädigte Maßnahmen unterläßt, die ihm zur Abwendung des Schadens zu Gebote stehen und deren Ergreifung ihm nach Lage der Sache und nach den geltenden Verkehrsanschauungen billigerweise zuzumuten war, wenn er diejenige Sorgfalt außer acht läßt, die nach der Auffassung des Verkehrs ein ordentlicher und verständiger Mensch anwendet, um sich tunlichst vor Schaden zu bewahren. Hiermit steht es völlig im Einklange, wenn der Berufungsrichter ausführt, da die Klägerin in den Mieträumen nach ihrer eigenen Behauptung wertvolle Stoffe liegen gehabt habe und die Arbeit an der Kelleröffnung verhältnismäßig gering und nicht übermäßig kostspielig gewesen sei, hätte es die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verlangt, daß die Klägerin sich, als die Beklagte ihre Zusage nicht erfüllte, zunächst einmal selbst schützte und selbst den Verschluß anbringen ließ; dadurch, daß sie dies nicht getan habe, habe sie schuldhaft den Schaden mit verursacht, denn es sei selbstverständlich, daß ihr auch bei nur geringer Überlegung die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit eines solchen Verhaltens habe einleuchten müssen. Die Gegenausführungen der Klägerin sind nicht geeignet, einen Rechtsverstoß darzulegen. Gerade darin, daß diese, als die Ausführung der Zusage der Beklagten unterblieb, ihrerseits nichts zur Abwendung der drohenden erheblichen Gefahr tat, sondern ungefähr einen Monat "von Tag zu Tag" wartete, liegt das mitwirkende Verschulden, und in dem von der Klägerin hervorgehobenen Verbote des Liquidators der Beklagten an den Wächter B., daß er nicht eigenmächtig den Schlossermeister zur Abstellung des Mangels bestellen dürfe, ist ein Verbot der Selbsthilfe der Klägerin nicht zu finden. Übrigens ist dem Vorderrichter auch darin beizupflichten, daß die Klägerin bei der Wichtigkeit der Sache auch einen etwaigen Rechtsstreit mit der Beklagten, gegen deren Zahlungsfähigkeit sie keine Bedenken geltend gemacht habe, auf Erstattung der durch die eigene Abstellung des Mangels erwachsenden Kosten nicht hätte scheuen dürfen. Endlich ist auch in der Bewertung des mitwirkenden Verschuldens kein Rechtsirrtum zu finden.