RG, 16.04.1919 - IV 45/19

Daten
Fall: 
Verweisung an das zuständige Gericht
Fundstellen: 
RGZ 95, 280
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.04.1919
Aktenzeichen: 
IV 45/19
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG III Berlin
  • KG Berlin

Kann der Rechtsstreit auch noch in der Berufungsinstanz an das zuständige Gericht verwiesen werden?

Tatbestand

Die Frage ist bejaht worden aus folgenden Gründen:

Gründe

... "Schon vor dem Erlaß der Bekanntmachung vom 9. September 1915 war es streitig, ob auf Grund des § 505 ZPO. in der Berufungsinstanz eine Verweisung an das zuständige Gericht ausgesprochen werden könne. Für die Verneinung der Frage berief man sich auf § 523 ZPO., wonach auf das Verfahren vor dem Berufungsgerichte nur die in erster Instanz für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung fänden, während der § 505 nur im Verfahren vor den Amtsgerichten gelte ( Stein, Bem. zu § 523, Noten 42, 44 zu § 505 ZPO.; Seuffert in Buschs Zeitschr. Bd. 40 S. 200; a. M. Skonietzki-Gelpcke, Bem. 7 zu § 505).

Aber wenn auch die Frage nach dem früheren Rechte verneint werden müßte, so hat doch diese Rechtslage durch § 27 jener Verordnung eine Änderung erfahren. Denn danach soll § 505 ZPO. auch im landgerichtlichen Verfahren gelten. Er muß deshalb nach § 523 auch in der Berufungsinstanz angewendet werden, es sei denn, daß sich aus § 27 der Verordnung selbst oder aus den Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung etwas Abweichendes ergibt. Keines von beiden ist der Fall.

Zunächst steht § 27 Satz 2 der Anwendung des § 505 ZPO. in der Berufungsinstanz nicht im Wege. Er bedeutet bei der gemäß § 523 ZPO. stattfindenden "entsprechenden" Anwendung, daß das Verfahren vor dem angegangenen erstinstanzlichen Gericht und demjenigen, an das die Sache verwiesen wird, eine Instanz bildet. Es gilt also ganz dasselbe, was in § 31 GKG. für den Fall vorgeschrieben ist, daß eine Sache zur anderweiten Verhandlung an das untere Gericht zurückverwiesen wird (§§ 538, 539, 565 ZPO.). Entsprechend ist bei einer in der Berufungsinstanz erfolgenden Entscheidung unter dem "angegangenen" Gericht im Sinne des § 505 Abs. 3 ZPO. nur das Gericht erster Instanz, nicht etwa auch das Berufungsgericht zu verstehen.

Auch aus den besonderen für die Berufung gegebenen Vorschriften ist kein Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 27 VO. und des § 505 ZPO. in zweiter Instanz zu entnehmen. Grundsätzlich muß allerdings die Berufungsinstanz ebenso wie die erste (§ 300) mit einem Endurteile schließen. Das gilt auch, wenn es sich nur um die Frage der Zuständigkeit handelt (§§ 275, 528 ZPO.). Daran wird indes bei Anwendung des § 27 in zweiter Instanz nichts geändert. Das Urteil des Landgerichts muß, soweit es die Abweisung der Klage ausspricht, aufgehoben werden. Das kann nur durch Urteil geschehen. Mit der Aufhebung ist aber für das Berufungsgericht freie Bahn für die Anwendung des § 27 VO. in Verb. mit § 505 ZPO. geschaffen. Ebenso wie § 300 für die erste Instanz eine Einschränkung erfahren hat, gilt Entsprechendes für die zweite. Sachlich ohne Bedeutung ist es, ob man demjenigen Teile der Entscheidung, durch den die Verweisung ausgesprochen wird, die rechtliche Natur eines Beschlusses beilegt, oder ob man ihn mit Rücksicht auf die im § 523 ZPO. nur vorgeschriebene "entsprechende" Anwendung als Bestandteil des Urteils ansehen will. Jedenfalls muß die Anwendung des § 505 Abs. 2 ZPO. zu dem Ergebnis führen, daß die ganze Entscheidung, also nicht nur die Verweisung selbst, sondern auch das über die Zuständigkeitsfrage ergehende Urteil unanfechtbar ist. Sonst würde auch der Zweck des § 27 VO., eine tunlichste Abkürzung des Verfahrens herbeizuführen, nicht erreicht. Der Ausschluß eines Rechtsmittels gegen Urteile, die über die Zuständigkeit entscheiden, ist in der Prozeßordnung auch nichts Ungewöhnliches (§§ 10, 549 Abs. 2 ZPO.).

Das Berufungsgericht meint, der § 523 könne die Anwendung des § 27 VO. nicht rechtfertigen. Denn erstere Bestimmung sei getroffen, als die andere (§ 27) noch gar nicht in Betracht gekommen sei, und diese letztere Bestimmung wolle lediglich das Verfahren vor den Landgerichten und nicht auch dasjenige in der Berufungsinstanz regeln. Das Berufungsgericht verkennt damit die Tragweite des § 27. Die Verordnung hat nicht, wie das Berufungsgericht annimmt, die Bedeutung eines selbständig neben der Zivilprozeßordnung stehenden Gesetzes, sondern sie greift organisch in die Vorschriften der Zivilprozeßordnung ein, ändert diese und wird damit selbst ein Bestandteil der Zivilprozeßordnung. Wenn man also heute auf Grund des § 523 ZPO. prüfen will, welche Vorschriften für das Verfahren vor den Landgerichten gelten, muß man den § 27 VO. berücksichtigen.

Das weitere Bedenken des Berufungsgerichts, es sei mit der ganzen Gestaltung des Verfahrens nach der Zivilprozeßordnung nicht vereinbar, daß bei Anwendung des § 27 auf das Berufungsverfahren die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils durch Beschluß erfolge, erledigt sich durch das vorstehend darüber Gesagte.

Bei Billigung der Auffassung des Berufungsgerichts würde schließlich auch, wie die Revision mit Recht geltend macht, der Zweck des § 27 VO. nur in unvollkommener Weise erreicht, der dahin ging, die weitläufigen Streitigkeiten über die Zuständigkeit, die häufig mehrere Instanzen durchlaufen und schließlich ohne sachliche Entscheidung mit einer Zurücknahme oder Abweisung der Klage enden, zu vermeiden....

Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht hiernach auf einer Verletzung des § 27 VO. und des § 505 ZPO. Aus §§ 557, 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. ergibt sich, daß auch in dieser Instanz noch die Verweisung an das zuständige Landgericht ausgesprochen werden kann.

Es erscheint auch zulässig, im Revisionsurteil über die Kosten der Berufung und Revision zu entscheiden. Sie gehören zu den "Mehrkosten", d. h. den durch die Erhebung der Klage bei dem unzuständigen Gerichte veranlaßten Kosten, die nach § 505 Abs. 3 ZPO. grundsätzlich den Kläger treffen.

Da der Kläger bereits in der Berufungsinstanz hilfsweise den Antrag gestellt hat, den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen, erschien es angemessen, von der Vorschrift des § 6 GKG. Gebrauch zu machen."