RG, 16.04.1919 - IV 412/18
1. Kann ein Miterbe die Auseinandersetzung ablehnen, weil nach dem Teilungsplan einzelne Nachlaßbestandteile vorläufig ungeteilt bleiben sollen?
2. Inwieweit kann ein Miterbe die Berichtigung der Nachlaßverbindlichkeiten vor der Teilung verlangen?
3. Macht es insoweit einen Unterschied, ob die Auseinandersetzung von einem Miterben oder einem Testamentsvollstrecker betrieben wird?
Tatbestand
Der am 9. Mai 1914 in Berlin verstorbene Medizinalrat Dr. Ubbo N. hat in seinem am 15. März gl. Js. errichteten Testamente seine zwei Söhne und seine Tochter, die Klägerin, als Erben eingesetzt und die Tochter zur Testamentsvollstreckerin ernannt. Der Sohn Friedrich R. ist nach dem Vater gestorben und von seiner Witwe und seinen Kindern, den Beklagten, beerbt worden. Zum Nachlasse des Medizinalrats R. gehören unter anderen zwei in Berlin gelegene Hausgrundstücke, Neue Friedrichstr. 43 und Straußbergerstr. 4, bezüglich deren im Testamente bestimmt ist, daß das erstere den beiden Söhnen gemeinschaftlich, das letztere der Tochter erblich zufallen solle. Die Wohnungseinrichtung ist der Tochter zugewiesen, das vorhandene Kapitalvermögen soll gleichheitlich unter die Erben geteilt werden. Zum Nachlasse gehört auch noch Grundbesitz in Ostfriesland, bezüglich dessen im Testamente keine Bestimmung getroffen ist. Die erwähnten Hausgrundstücke sind mit Hypotheken belastet und zwar Neue Friedrichstr. 48 mit 825000 M, Straußbergerstr. 4 in nicht angegebener Höhe.
Die Klägerin trägt vor, die ihr als Testamentsvollstreckerin obliegende Auseinandersetzung des Nachlasses erfordere die Auflassung der bezeichneten Grundstücke an diejenigen Erben, denen sie nach dem Testamente zufallen sollten; das Grundstück Straußbergerstr. 4 habe sie an sich selbst aufgelassen, bezüglich des Grundstücks Neue Friedrichstr. 48 aber weigerten sich die nach dem Testamente damit Bedachten, die Auflassung entgegenzunehmen; auch die Verwaltung des letztgenannten Grundstücks wolle sie nicht weiterhin behalten; das Kapitalvermögen sei geteilt. Sie hat gegen ihren Bruder Richard und gegen die Erben ihres Bruders Friedrich Klage erhoben mit dem Antrage, sie zu verurteilen, die Auflassung des Grundstücks Neue Friedrichstr. 48 entgegenzunehmen und die Verwaltung des Grundstücks zu übernehmen; die Klage gegen Richard R. hat sie noch in erster Instanz für erledigt erklärt, weil er sich zur Entgegennahme der Auflassung bereit erklärt habe.
Das Landgericht hat die Beklagten zur Entgegennahme der Auflassung verurteilt, das Kammergericht hat ihre Berufung zurückgewiesen. Auf die Revision der Beklagten ist das Berufungsurteil aufgehoben worden.
Gründe
"Die Beklagten verweigern die Entgegennahme der ihnen angesonnenen Auflassung des Grundstücks Neue Friedrichstr. 48 mit doppelter Begründung. In erster Reihe machen sie geltend, es handle sich um eine bloße Teilauseinandersetzung, auf die sie sich von vornherein nicht einzulassen brauchten, denn zum Nachlasse gehörten doch auch die Ländereien in Ostfriesland, bezüglich deren eine Teilung überhaupt noch in keiner Weise auch nur vorgeschlagen sei. Das Berufungsurteil sagt hierzu, es handle sich nicht um eine unzulässige Teilauseinandersetzung, denn eine Auseinandersetzung hinsichtlich jener Ländereien komme deswegen noch nicht in Frage, weil an ihnen der lebenslängliche Nießbrauch einer Verwandten des Erblassers zustehe. Hiergegen besteht kein rechtliches Bedenken. Die Beklagten machen selbst nicht geltend, daß das vorläufige Unterbleiben der Teilung jener Ländereien irgendwie mit ihren Interessen im Widerspruch stehe; im übrigen ist es Sache der tatsächlichen Würdigung im einzelnen Falle, ob trotz der aus besonderen Gründen erfolgenden Zurückstellung der Teilung hinsichtlich einzelner Nachlaßbestandteile eine ordnungsmäßige Auseinandersetzung im Sinne des § 2042 angenommen werden kann oder nicht.
In zweiter Reihe vertreten die Beklagten den Standpunkt, daß dann, wenn mit der Auflassung des in Rede stehenden Grundstücks eine endgültige Auseinandersetzung des Nachlasses beabsichtigt sei, dieser der § 2048 Abs. 1 BGB. entgegenstehe, indem die Nachlaßverbindlichkeiten, nämlich die auf den Grundstücken lastenden Hypothekenschulden, noch nicht berichtigt seien. Das Berufungsgericht meint, dieser Einwand greife hier nicht durch. Es folgert aus dem Testamente des Erblassers und aus der Natur der Sache, daß nach dem Willen des Erblassers die Grundstückslasten, auch soweit der Erblasser persönlicher Schuldner dieser Lasten gewesen sei, nur diejenigen der Erben treffen sollten, denen das belastete Grundstück zufalle; infolgedessen sei die auf dem Grundstücke Neue Friedrichstr. 48 lastende Hypothekenschuld nach § 2046 Abs. 2 als eine solche Nachlaßverbindlichkeit anzusehen, die nur einigen Miterben zur Last falle, und die Beklagten könnten nach der bezeichneten Vorschrift deren Berichtigung nur aus dem verlangen, was ihnen aus der Auseinandersetzung zukomme. Sie seien aber in der Lage, die Berichtigung der auf dem fraglichen Grundstücke ruhenden Verbindlichkeiten selbst vorzunehmen, nachdem ihnen das Grundstück aufgelassen sei; die Auseinandersetzung könne durch die im übrigen auch schwierige und zeitraubende Berichtigung der Hypothekenschulden nicht aufgehalten, werden.
Diese Erwägungen können nicht als zutreffend anerkannt werden. Zwar begegnet die Annahme des Berufungsgerichts, daß nach dem Willen des Erblassers die Grundstückslasten nur diejenigen der Erben treffen sollten, denen er die einzelnen Grundstücke zuwies, keinem Bedenken, wohl aber sind die daraus gezogenen rechtlichen Folgerungen zu beanstanden. Die Vorschrift in § 2046 Abs. 2 bietet keine Grundlage für die Anschauung des Berufungsgerichts, daß für die Berichtigung der darin erwähnten Verbindlichkeiten der Abs. 1 außer Wirksamkeit trete; denn Abs. 2 spricht nur von den zur Berichtigung derartiger Verbindlichkeiten zu verwendenden Mitteln, aber nicht davon, wann die Berichtigung zu erfolgen habe, und aus dem Zusammenhalte der drei Absätze des § 2046 ergibt sich deutlich, daß auch in Abs. 2 von einer vor der Teilung des Nachlasses vorzunehmenden Berichtigung der Verbindlichkeiten die Rede ist. Die Erwägung des Berufungsgerichts, daß ja die Beklagten selbst aus dem ihnen aufzulassenden Grundstücke die Verbindlichkeiten berichtigen könnten, läßt außer acht, daß es für die Beklagten einen wesentlichen Unterschied macht, ob in solcher Weise verfahren wird oder ob die Berichtigung durch die dazu berufene Testamentsvollstreckerin vor der Nachlaßteilung geschieht. Ersteren Falles träfe die Beklagten die uneingeschränkte Haftung für die Nachlaßverbindlichkeiten gemäß §§ 2058 flg. BGB. und zwar nach doppelter Richtung: sie müßten einerseits nicht nur für die Schulden haften, die auf dem ihnen zufallenden Grundstücke lasten, sondern für alle Nachlaßschulden, also namentlich auch für die Hypothek auf dem Grundstücke Straußbergerstr. 4, und sie würden anderseits nicht nur mit dem ererbten, sondern auch mit ihrem sonstigen Vermögen haften. Gegen diese weitgehende Haftung will das Gesetz die Erben durch die Vorschrift in § 2046 Abs. 1 schützen, und sie kann ihnen nicht gegen ihren Willen von den Miterben durch die Art der Teilung aufgezwungen werden. Das Berufungsurteil ist auf den Gesichtspunkt, daß durch das von der Klägerin eingeschlagene Verfahren die Beklagten mit einer Haftung über ihren Erbteil hinaus belastet würden, überhaupt nicht eingegangen; bezüglich der den Beklagten drohenden Haftung für die Hypothekenschuld auf Straußbergerstr. 4 sagt es, aus den Erklärungen der Klägerin gehe hervor, daß sie die anteilmäßige Mithaftung der Beklagten an den Schulden ihres Grundstücks nicht fordere. Dabei wird jedoch außer acht gelassen, daß es nicht auf den Willen der Klägerin ankommt, daß vielmehr die Mithaftung gegenüber den Gläubigern kraft Gesetzes eintritt (§ 2058). Die Klägerin scheint allerdings den Standpunkt einzunehmen, als ob die Hypotheken so sicher seien, daß eine persönliche Haftung gar nicht in Frage kommen könne; aber die Beklagten hatten sich ausdrücklich gegen eine ihnen aus dieser Richtung drohende Gefahr verwahrt, und eine Feststellung, daß dies grundlos wäre, ist nicht getroffen.
Das Berufungsgericht hat, wie erwähnt, für seine Entscheidung auch den aus dem Testamente zu entnehmenden Willen des Erblassers in Betracht gezogen und zwar in dem Sinne, daß durch ihn die Anwendung des Abs. 2 von § 2046 gerechtfertigt werde; es hätte nahe gelegen, auf die Frage einzugehen, ob nicht der Erblasser eine Teilungsanordnung nach § 2048 BGB. sowohl hinsichtlich der Grundstücke als auch hinsichtlich der darauf ruhenden Lasten zu treffen beabsichtigte, an welche auch die Beklagten gebunden wären. In dieser Instanz kann jedoch die Frage nicht erledigt werden, denn dazu bedürfte es noch einer weiteren Feststellung über den Willen des Erblassers, die von hier aus nicht erfolgen kann. Wenn auch wohl dem Willen des Erblassers nicht die alsbaldige Heimzahlung der Hypotheken, sondern ihr Weiterbestand und ihre Übernahme durch die Erben entsprechen mag, so ist es doch fraglich, ob er den einzelnen Erben hat zumuten wollen, die persönliche Haftung auch für die auf dem Grundstücke der anderen Erben lastenden Hypotheken - wenigstens zeitweilig, vgl. § 41.6 BGB. - zu übernehmen. Solange aber darüber keine Klarheit besteht, läßt sich nicht sagen, daß das Vorgehen der Klägerin im Einklange, das Verhalten der Beklagten im Widerspruche mit dem Willen des Erblassers stehe. Deshalb mußte die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung der Sache in die Vorinstanz erfolgen. ...
Die Klägerin hatte auch geltend gemacht, daß sie, wenn nicht schon, als Miterbin, so doch jedenfalls in ihrer Eigenschaft als Testamentsvollstreckerin das Recht habe, von den Beklagten die Entgegennahme der Auslassung zu verlangen, und das Landgericht hatte dem zugestimmt und seine der Klage stattgebende Entscheidung in dieser Weise begründet. Das Berufungsgericht ist dagegen der Anschauung, daß auch der Testamentsvollstrecker nach § 2204 an die Vorschriften des § 2046 gebunden ist. Hierin ist dem Berufungsgerichte beizutreten. Bedenken nach dieser Richtung sind auch von der Klägerin in der Revisionsinstanz nicht erhoben worden."