RG, 16.04.1917 - VI 41/17
Wer ist Führer des Kraftfahrzeugs im Sinne des § 18 des Kraftfahrzeuggesetzes?
Tatbestand
Am Abend des 6. Januar 1915 stieß eine dem Kraftdroschkenbesitzer L. gehörige Kraftdroschke, auf der sich der Kläger befand, in E. an einer Kreuzung der A....P. Landstraße mit der Bahnlinie der Beklagten gegen die Bahnschranke und sodann gegen einen die Kreuzung durchfahrenden Eisenbahnzug. Die Kraftdroschke wurde zertrümmert, der Kläger, der eigentlich als von L. bestellter Kraftwagenführer die Droschke zu leiten hatte, kurz vor dem Unfall aber die Lenkung des Wagens an den ebenfalls in L.s Diensten stehenden Kraftwagenführer W. auf dessen Ersuchen abgegeben und neben diesem auf dem Führersitze Platz genommen hatte, wurde schwer verletzt. Er nimmt auf Ersatz seines Schadens aus dem Unfalle die Beklagte in Anspruch, die er zur Zahlung von Erwerbsverlust für die Vergangenheit und einer Rente für die Zukunft sowie von Schmerzensgeld zu verurteilen beantragt hat.
Das Landgericht wies die Klage ab, die Berufung des Klägers wurde vom Oberlandesgerichte zurückgewiesen. Das Berufungsurteil wurde aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Während das Landgericht zur Abweisung der Klage gelangte, weil es gegenüber der von der Beklagten nach § 1 RHaftpflG. zu vertretenden Betriebsgefahr der Eisenbahn ein diese weit überwiegendes Verschulden des Klägers D. annahm, das seinen Anspruch hinfällig mache, wendet das Berufungsgericht auf den Klaganspruch die §§ 17 und 18 KFG. an. indem es den Kläger D. sowohl wie den Kraftwagenführer W. als Führer des Kraftfahrzeugs erachtet, dessen Betriebsgefahr vorwiegend den Unfall verursacht habe. ...
Die Revision, die sich auf die Abweisung der vom Kläger aus dem Reichshaftpflichtgesetz erhobenen Ansprüche beschränkt, war für begründet zu erachten ... Zu Unrecht hat nach der festgestellten Sachlage das Berufungsgericht den Kläger als den Führer des Kraftwagens, dessen Zusammenstoß mit dem Eisenbahnzuge den Unfall herbeiführte, erachtet und deshalb den § 18 Abs. 3 in Verbindung mit § 17 KFG. seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
Wer nach § 18 Abs. 3 KFG. als Führer des Kraftfahrzeugs anzusehen ist, ergibt sich aus Sinn und Zweck der Bestimmung. Dritten gegenüber, dem Verletzten sowie anderen bei einen Unfalle Beteiligten, kommt es nicht darauf an, welche Person zum Führer des Kraftwagens, durch dessen Betrieb ein Unfall verursacht wurde, bestellt war und den Wagen hätte leiten sollen. Nicht die mit der Führung betraute Person, die aber tatsächlich bei der Unfallsfahrt diese Tätigkeit nicht ausgeübt hat, sondern die Person, die in Wirklichkeit die Maschine des Kraftwagens gehandhabt und den Wagen gelenkt hat, ist als Führer anzusprechen und den Personen verantwortlich, die durch die Führung zu Schaden gekommen sind. Der Kläger mag seinem Dienstherrn L. gegenüber für den Unfall einzustehen haben, wenn er dem erhaltenen Dienstauftrage zuwider einem anderen die Führung des Kraftwagens überlassen und dieser jenen Unfall verursacht hat; für einen durch den Betrieb des Kraftwagens Dritten zugefügten Schaden und für das Verhältnis der mehreren im Sinne des § 17 KFG. bei der Herbeiführung eines Kraftfahrzeugunfalls beteiligten Personen und Unternehmer ist Führer nur der, der im Zeitpunkte des Unfalls die Führung des Kraftfahrzeugs gehandhabt hat, im gegebenen Falle also nicht der Kläger D., sondern der Kraftwagenführer W. Es bedarf im gegebenen Falle nicht der Entscheidung, ob unter allen Umständen nur eine Person als Führer eines Kraftfahrzeugs angesprochen werden kann, wie in den wissenschaftlichen Erläuterungen, zu dem in Rede stehenden Gesetz ausgeführt worden ist. Denn von einer Mehrheit von Führern könnte nur dann die Rede sein, wenn eine Teilung der Lenkungstätigkeiten stattgehabt hat; eine solche Teilung ist praktisch kaum ausführbar und jedenfalls ist sie für den gegebenen Fall nicht festgestellt.
Das Berufungsgericht erkennt an, daß regelmäßig Führer des Kraftwagens derjenige sei, der das Fahrzeug lenkt und dessen maschinelle Einrichtungen bedient. Es ist dem Berufungsgericht auch darin beizutreten, daß ausnahmsweise ein anderer als diese Person als Führer anzusehen ist, dann nämlich, wenn jemand im Fahren von Kraftfahrzeugen ausgebildet wird und unter der Aufsicht der Lehrperson die maschinellen Einrichtungen handhabt; hier ist in der Tat die letztere der Kraftwagenführer, weil ihr tatsächlich die Verfügung über die Maschine und ebenso die Herrschaftsgewalt über den Lernenden zusteht, der ihren Weisungen zu gehorchen hat und lediglich als ihr Werkzeug handelt. Ob die Abzweigung der Bedienung der Hupe von der Handhabung der sonstigen Betriebseinrichtungen des Fahrzeugs genügen kann, um neben dem Lenker, der Steuer und Bremse führt, die Person, die die Hupenzeichen ertönen läßt, als Führer erscheinen zu lassen, mag dahingestellt bleiben; denn dieser Fall liegt nicht vor. Die Aussage des Klägers D., wonach er sich als verantwortlich für die Wagenführung angesehen hat, vermag die Annahme, daß er als Kraftwagenführer den Wagen gelenkt habe, nicht zu stützen. Denn diese Aussage ergibt gerade, daß er sich als den Führer nicht angesehen hat, indem er sagt, er habe sich verantwortlich gefühlt und aufgepaßt, als ob er selbst gefahren hätte. Verantwortlich war ja der Kläger auch für die Fahrt, nämlich seinem Dienstherrn L. gegenüber; ob auch seinen Fahrgästen gegenüber, wie das Berufungsgericht annimmt, muß mit Grund bezweifelt werden, denn den Beförderungsvertrag mit diesen schloß der Kläger nicht für sich, sondern im Namen und für Rechnung seines Dienstherrn L. ab. W., der zur Zeit des Unfalls tatsächlich das Fahrzeug lenkte und die Betriebseinrichtungen handhabte, war nun geprüfter Kraftwagenführer gleich dem Kläger und ebenso wie dieser als Kraftwagenführer im Dienste des L. angestellt. Eine Herrschaftsstellung ihm gegenüber, wie sie in dem vom Berufungsgericht angezogenen Beispiele der Lehrfahrer gegenüber dem Fahrschüler ausübt, war deshalb durch seine Stellung ausgeschlossen; er war nicht lediglich Werkzeug des Klägers D., wie denn auch das Berufungsgericht ihn als Führer des Kraftwagens neben dem Kläger ansieht. Mochte sich auch der Kläger innerlich vorbehalten haben, erforderlichenfalls einzugreifen und die Führung wieder an sich zu nehmen, wie das Berufungsgericht weiter annimmt, so war doch, solange er nicht diesem Vorbehalt entsprechend handelte, in Wirklichkeit nur W., nicht aber auch daneben der Kläger der Führer des Unfallsfahrzeugs. Eines besonderen Übertragungsaktes hinsichtlich der Herrschaft über das Fahrzeug aber bedurfte es nicht; überließ der Kläger dem W. die Führungstätigkeiten, so hat er damit, solange diese Überlassung andauerte, die tatsächliche Herrschaft über das Fahrzeug übertragen. Die Annahme des Berufungsgerichts ist deshalb rechtlich nicht haltbar.
Der Kläger D. hatte nur diejenige Stellung neben W., wie sie auch dem auf dem Kraftfahrzeuge mitfahrenden Kraftwagenbesitzer zugeschrieben wird, der neben dem Führer verantwortlich sein kann, wenn er die Gefahr und die fehlerhafte Handlungsweise des Führers erkennt und in der Lage ist, einzugreifen und die Gefahr abzuwenden (vgl. Warneyer Rechtspr. 1909 Nr. 355, 1913 Nr. 209, 1911 Nr. 30, 1915 Nr. 19). Die für ihn daraus sich ergebende Verpflichtung kam aber nur als eigenes Verschulden nach § 1 RHaftpflG. in Verbindung mit § 254 BGB. bewertet werden. Diese Bestimmungen sind im vorliegenden Falle allein maßgebend; die §§ 17, 18 KFG., die die beiderseitigen Betriebsgefahren der Eisenbahn und des Kraftfahrzeugs in ihrem Verursachungsverhältnis zum Unfall auch schon gegenständlich zur Grundlage der Festsetzung der Schadensersatzverpflichtung und ihres Umfanges machen, haben außer Anwendung zu bleiben." ...