RG, 16.04.1884 - II 478/83
Ist die unentgeltliche Abtretung des Wohnungs- oder Nutznießungsrechtes an den Eigentümer des damit belasteten Grundstückes eine den Formen des Art. 931 Code civil unterworfene Schenkung unter Lebenden?
Tatbestand
Kläger hatte seiner Tochter ein Haus geschenkt, sich aber die lebenslängliche Nutznießung vorbehalten. Die Schenknehmerin und ihr Ehemann wohnten in dem Hause, in welchem sie eine Wirtschaft betrieben. Der Klage auf Räumung hielten sie entgegen, daß sich nach der Schenkung der Kläger mit ihnen dahin vereinbart habe, daß sie bis zu seinem Tode die Räumlichkeiten, die er nicht selbst inne hatte, benutzen dürften, dafür aber die sämtlichen Steuern, Reparaturen und Unterhaltungskosten zu tragen hätten. Das Landgericht erachtete diese Vereinbarung als erwiesen, faßte sie als belasteten Vertrag auf und wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht dagegen verneinte, daß ein oneroser Vertrag bewiesen sei, erklärte die erwiesene Vereinbarung für eine Schenkung, welche aber wegen Nichtbeobachtung der Vorschriften der Artt. 931. 932 nichtig sei und verurteilte deshalb nach dem Klagbegehren. Die hiergegen eingelegte Revision ist zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen:
Gründe
"Die Beklagten haben behauptet, daß der Kläger ihnen die Benutzung der von ihnen bewohnten Räumlichkeiten zum Betriebe ihrer Wirtschaft gegen Übernahme der Reparaturen und Steuern von ihrer Seite gestattet, also ihnen sein Wohnungsrecht durch belasteten Vertrag überlassen habe. Das Berufungsgericht erachtet nun zwar für erwiesen, daß der Kläger wiederholt erklärt habe, daß er den Eheleuten H. sein Wohnungsrecht bis zu seinem Ende überlasse, dagegen nimmt es in Berücksichtigung der obwaltenden Verhältnisse nicht an, daß die Übernahme der Reparaturen eine Gegenleistung sein sollte. Wenn hiernach der Kläger den Beklagten sein Wohnungsrecht unentgeltlich abgetreten hat, so liegen die Merkmale einer Schenkung unter Lebenden (Art. 894 Code civil) vor, nämlich, daß sich der Kläger sofort und unwiderruflich eines Rechtes zum Vorteile der Beklagten begeben hat und diese solches angenommen haben. Die angefochtene Entscheidung beruht daher nicht auf Verletzung des Art. 931 Code civil, wenn sie zur Wirksamkeit dieses Geschäftes die für Schenkungen unter Lebenden vorgeschriebenen Formen für geboten erklärt, und es kann die von den Revisionsklägern hiergegen erhobene Rüge nicht für begründet befunden werden. Diese geht nämlich dahin, daß in Wirklichkeit ein Verzicht vorliege, ein solcher aber von den Formen der Schenkung unter Lebenden entbunden sei. Es ist nun zwar richtig, daß durch die Überlassung des dinglichen Rechtes die gleiche Wirkung hervorgebracht worden ist, welche auch eingetreten wäre, wenn der Nutznießer auf sein Recht verzichtet hätte und dieses mit dem Eigentume konsolidiert wäre (Art. 617 Code civil). Allein nicht die Wirkung ist dafür entscheidend, ob eine Schenkung unter Lebenden vorliege oder nicht, sondern der rechtliche Vorgang, durch welchen jene herbeigeführt worden ist, und wenngleich beim Verzichte, jedenfalls beim eigentlichen Verzichte, welcher nicht auf dem Willen, das Recht zu übertragen, beruht, von den Formen der Schenkung keine Rede sein kann, obgleich ein anderer das aufgegebene Recht erwirbt, so steht dies nicht entgegen, daß in dem Falle eine Schenkung angenommen werde, wenn diese Erwerbung durch eine Willenserklärung bewirkt wird, durch welche der Berechtigte dem anderen sein Recht unentgeltlich überträgt."