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RG, 11.04.1919 - VII 21/19

Daten
Fall: 
Anzeige einer Gefahrerhöhung bei der Unfallversicherung
Fundstellen: 
RGZ 95, 250
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.04.1919
Aktenzeichen: 
VII 21/19
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Düsseldorf
  • OLG Düsseldorf

1. Liegt bei der Versicherung für fremde Rechnung die Verpflichtung, von einer nach Abschluß des Versicherungsvertrags eingetretenen Gefahrerhöhung dem Versicherer Anzeige zu machen, dem Versicherten oder dem Versicherungsnehmer ob?
2. Welche Rechtsfolgen zieht die Unterlassung dieser Anzeige bei der Kollektivversicherung für fremde Rechnung nach sich?

Tatbestand

Die Klägerin hat durch Vertrag vom 18. August 1914 eine Anzahl ihrer Beamten, darunter den Registrator L., bei der Beklagten gegen Unfall versichert. Mit der Behauptung, L. sei im Juli 1916 über eine Türschwelle gestolpert und dadurch zu Schaden gekommen, hat sie gegen die Beklagte, die eine Entschädigung des Unfalls ablehnte, Klage erhoben. Die Klage ist jedoch abgewiesen und die Berufung der Klägerin ist zurückgewiesen worden.

Auch die Revision der Klägerin blieb erfolglos.

Gründe

"Durch den Vertrag vom 18. August 1914 hat die Klägerin ihre Angestellten bis zur Höhe der für jede Person beantragten Versicherungssumme gegen die Folgen körperlicher Unfälle versichert, von welchen sie während der Dauer ihres Dienstverhältnisses bzw. ihrer Mitgliedschaft betroffen werden. Die Versicherten sind im Vertrage nach Gruppen mit Namen aufgeführt, für jede einzelne Gruppe ist die vereinbarte Versicherungssumme pro Kopf angegeben. Letztere beträgt in Gruppe II, der der Verletzte L. angehört, pro Kopf 20000 M für den Todesfall, 20000 M für den Fall dauernder Arbeitsunfähigkeit und 10 M tägliche Entschädigung für vorübergehende gänzliche Arbeitsunfähigkeit. Wie hieraus und aus den weiteren Vertragsbestimmungen hervorgeht und auch von keiner Partei in Zweifel gezogen worden ist, handelt es sich nicht etwa um die Versicherung gegen eine gemeinschaftliche Betriebsgefahr, vielmehr ist jeder Versicherte, soweit nicht im einzelnen Falle besondere Einschränkungen festgesetzt sind, gegen alle Unfälle versichert, die ihm während der Dauer seines Dienstverhältnisses bzw. seiner Mitgliedschaft zustoßen, ohne Unterschied, ob sie sich im Betrieb oder außerhalb desselben ereignen.

Der Berufungsrichter faßt das Versicherungsverhältnis als eine Versicherung für fremde Rechnung im Sinne der §§ 74 flg. VersVG. auf. Die Klägerin habe die Versicherung im eigenen Namen für ihre Angestellten abgeschlossen; diese seien bezugsberechtigt. Es handle sich um Unfallversicherung, die Versicherung gelte demnach gemäß § 179 Abs. 2 VersVG. im Zweifel als für Rechnung der Angestellten genommen. Damit stehe es nicht in Widerspruch, daß nach § 7 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen die aus einem Unfalle sich ergebenden Leistungen der Beklagten nicht an den von dem Unfalle Betroffenen, sondern an die Klägerin zu erfolgen haben; diese Regelung entspreche vielmehr den nach § 179 Abs. 2 entsprechend anzuwendenden Vorschriften der §§ 75 und 76 VersVG. Diese Auffassung ist zutreffend und wird durch die Angriffe der Revision nicht widerlegt. Die Revision macht geltend, auch die Klägerin selbst habe ein Interesse daran gehabt, ihre Angestellten gegen Unfall zu versichern und dieses ihr eigenes Interesse habe sie durch den Vertrag versichert. Dafür spreche auch der Wortlaut des Vertrags, denn danach habe die Beklagte "der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz in Düsseldorf" Versicherung gewährt, auch seien nach § 7 des Vertrags die zu gewährenden Entschädigungen an die Klägerin zu leisten, ferner sei die in § 179 Abs. 3 für die Gültigkeit einer Versicherung für eigene Rechnung gegen Unfälle, die einem anderen zustoßen, gemachte Voraussetzung, nämlich die schriftliche Einwilligung des anderen, durch Eintragung der Versicherten in eine Liste erfüllt worden. Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die in § 179 Abs. 2 aufgestellte Vermutung zu widerlegen. Gegenüber den im Eingange hervorgehobenen Umständen liefern sie keinen zwingenden Beweis dafür, daß die Klägerin nicht das Interesse ihrer Angestellten, sondern ihr eigenes Interesse an dem Nichteintritte von Unfällen der Angestellten versichert habe. Die Tatsache insbesondere, daß die Angestellten der Klägerin durch Eintragung ihrer Namen in eine Liste ihre Zustimmung zu der Versicherung gegeben haben, hatte im Hinblick auf § 76 Abs. 3 VersVG., wie der Berufungsrichter ausgeführt hat, auch für den Fall der Versicherung für fremde Rechnung rechtliche Bedeutung, weist mithin auch ihrerseits keineswegs mit irgendwelcher Notwendigkeit auf den Abschluß einer Versicherung anderer für eigene Rechnung hin.

Der Berufungsrichter führt weiterhin aus, der Versicherte L. sei zur Zeit des Abschlusses des Versicherungsvertrags gesund gewesen, später aber, im Januar 1915, seien infolge Ausgleitens auf dem Glatteise Schmerzen im rechten Fußgelenk aufgetreten. Seit Ende Januar 1916 sei L. wegen des Fußleidens dem Dienste ferngeblieben, da seitdem der rechte Fuß vollständig gebrauchsunfähig geworden sei; er habe mit dem Fuße nicht mehr auftreten können und sich zur Fortbewegung zweier Krücken bedienen müssen. Dadurch sei eine erhebliche Gefahrerhöhung eingetreten, denn er sei Unfällen durch Anstoßen und Fallen in erheblich höherem Maße ausgesetzt gewesen, als zur Zeit des Abschlusses der Versicherung, da seine Beweglichkeit bedeutend eingeschränkt, ja fast aufgehoben gewesen sei. Der Berufungsrichter zieht hieraus den Schluß, daß die eingetretene Gefahrerhöhung gemäß § 27 VersVG. der Beklagten anzuzeigen gewesen sei. Die Revision macht hiergegen geltend, es handle sich um eine Kollektivversicherung, für eine solche könne aber der Natur der Sache nach eine Anzeigepflicht über die in § 13 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen vorgeschriebene Anzeige der beim Abschluß des Vertrags vorliegenden Umstände hinaus nicht angenommen werden, auch werde durch die in der Person eines einzelnen Versicherten entstandene Gefahrerhöhung das Versicherungsverhältnis, das ja doch einen einheitlichen Vertrag darstelle, überhaupt nicht berührt, wie sich auch aus §§ 10 und 11 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen ergebe, endlich komme für die Frage, ob die eingetretene Gefahrerhöhung eine erhebliche oder eine unerhebliche gewesen sei, nicht die Versicherung des L., sondern der ganze Vertrag in Betracht, es sei zu prüfen gewesen, ob in bezug auf das ganze Versicherungsverhältnis die Erkrankung des einen Versicherten eine erhebliche Gefahrerhöhung darstelle. Auch diese Einwendungen greifen fehl. Die Angestellten der Klägerin sind nicht gegen eine gemeinschaftliche Gefahr, etwa eine allen gemeinsame Betriebsgefahr, sondern jeder von ihnen ist gegen alle während der Dauer seines Dienstverhältnisses sich ereignenden Unfälle ohne Rücksicht darauf, ob sie sich im Betrieb ereignen oder nicht, versichert. Deshalb kann der Natur der Sache nach die Erheblichkeit der bei einem einzelnen Versicherten eingetretenen Gefahrerhöhung auch nur an den auf seine Person bezüglichen, für die Gefahr in Betracht kommenden besonderen Umständen bemessen werden. Die Einheitlichkeit des Vertrags steht dem in keiner Weise entgegen. Sie hat auch keineswegs notwendig zur Folge, daß die bei einem einzelnen Versicherten eingetretene Gefahrerhöhung den Versicherer zur Kündigung des gesamten, alle Versicherten umfassenden Vertragsverhältnisses berechtige. Das folgt auch nicht aus den von der Revision in Bezug genommenen §§ 10 und 11 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen; im Gegenteil handelt § 11 derselben vom Erlöschen der Versicherung des einzelnen Versicherten im Gegensatze zu § 10, in dem von der Aufhebung des Vertrags im Ganzen die Rede ist. Daraus ergibt sich, daß auch im Versicherungsvertrage die Möglichkeit des Erlöschens der Versicherung eines einzelnen Versicherten im Gegensatze zur Aufhebung des ganzen Vertrags ausdrückliche Anerkennung gefunden hat. Im übrigen ist es nicht die Aufgabe des vorliegenden Rechtsstreits, die Frage zur Entscheidung zu bringen, ob die bei L. eingetretene Gefahrerhöhung der Beklagten nach § 27 VersVG. das Recht gegeben haben würde, das ganze Vertragsverhältnis aufzukündigen.

Der Berufungsrichter hat weiter die Frage geprüft, ob die Anzeige der bei L. eingetretenen Gefahrerhöhung der Klägerin ober dem Versicherten obgelegen habe. Er geht davon aus, daß die Entscheidung dieser Frage nach den Umständen des Einzelfalls und der daraus abzuleitenden mutmaßlichen Absicht der Parteien zu treffen sei, und er entscheidet die Frage dahin, daß im vorliegenden Falle L., der sowohl von dem Abschluß der Versicherung als auch von der Gefahrerhöhung Kenntnis gehabt habe, zur Erstattung der Anzeige an die Beklagte verpflichtet gewesen sei, und daß die Verletzung dieser Pflicht die Beklagte von der Verpflichtung zur Ersatzleistung gemäß § 28 VersVG. befreit habe. Die Revision hält dem entgegen, grundsätzlich sei, wie sich aus den als Ausnahmebestimmungen anzusehenden Bestimmungen in §§ 79, 161, 179 Abs. 3 des Gesetzes ergebe, der Versicherungsnehmer, nicht der Versicherte, der ja zum Versicherer in gar keinem Vertragsverhältnis stehe, zur Anzeigeerstattung verpflichtet, es sei auch nicht festgestellt, daß L. von seiner etwaigen Anzeigepflicht Kenntnis gehabt habe, er habe davon ausgehen dürfen, daß diese der Klägerin als der Versicherungsnehmerin obliege, ein Verschulden L.s sei mithin nicht festgestellt. Wenn nun aber auch L. in keinem Vertragsverhältnis zu der Beklagten stand, so schließt dies doch nicht aus, daß ihm eine Anzeigepflicht hinsichtlich einer nachträglich eingetretenen Gefahrerhöhung angesonnen werden konnte. Er ist doch immerhin diejenige Person, der die Versicherung zugute kommen sollte, und die Rechte aus dem Versicherungsvertrage standen nach § 75 VersVG. ihm zu. Auch das Gesetz legt dem Versicherten bei der Versicherung für fremde Rechnung gewisse Pflichten gegenüber dem Versicherer auf (§§ 79, 161, 179, 181, 182). Willkürlich ist die Meinung der Revision, es handle sich hier um bloße Ausnahmevorschriften, aus denen zu folgern sei, daß andere als eben die im Gesetze namhaft gemachten Verpflichtungen des Versicherten gegenüber dem Versicherer nicht bestünden. Das Gesetz hat vielmehr mit diesen Bestimmungen den Bedürfnissen des Versicherungsverhältnisses bei der Versicherung für fremde Rechnung entsprochen, keineswegs aber die Verpflichtungen des Versicherten auf die vom Gesetze besonders namhaft gemachten Pflichten einschränken wollen. Es handelt sich bei der in Rede stehenden Anzeigepflicht nicht um die Erfüllung einer Vertragspflicht, sondern um die Erfüllung einer bloßen Voraussetzung des Versicherungsanspruchs, dessen Forterhaltung und wirksame Geltendmachung eben die rechtzeitige Mitteilung von dem Eintritt einer erheblichen Gefahrerhöhung an den Versicherer erfordert. Der bei der Versicherung für fremde Rechnung Versicherte kann den Versicherungsanspruch mit Erfolg nur geltend machen, wenn er diejenigen Voraussetzungen erfüllt hat, von deren Erfüllung die Geltendmachung des Anspruchs abhängt und deren Erfüllung nach der Absicht der Vertragschließenden ihm obliegt. Ob nun eine solche Verpflichtung des Versicherten besteht, ist, wie der Berufungsrichter zutreffend ausführt, Sache der Beurteilung des Einzelfalls, die Entscheidung liegt insofern mithin wesentlich auf dem Gebiete des Tatsächlichen. Die Annahme des Vorderrichters, daß im gegebenen Falle dem Versicherten L. die Anzeige der eingetretenen Gefahrerhöhung an die Beklagte obgelegen habe, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Mit diesem Standpunkt ist die Annahme sehr wohl verträglich, daß auch dem Versicherungsnehmer die Verpflichtung obliege, das Seinige zu tun, um eine rechtzeitige Benachrichtigung des Versicherers von dem Eintritt einer Gefahrerhöhung herbeizuführen und nötigenfalls selbst eine zu seiner Kenntnis gelangte Gefahrerhöhung dem Versicherer anzuzeigen. Denn der Versicherungsnehmer steht dem Versicherer als Vertragspartei gegenüber und hat ihm gegenüber alles zu tun, was Treu und Glauben im Versicherungsvertragsverhältnis von ihm erfordern. Der Berufungsrichter ist auf die Frage, ob im vorliegenden Falle der Klägerin eine solche Verpflichtung obgelegen habe, nicht eingegangen, weil er als möglich unterstellt, daß nach der Absicht beider Parteien beim Vertragschluß die Klägerin als Versicherungsnehmerin von der ihr auf Grund des § 27 obliegenden Anzeigepflicht entbunden sein sollte. Mit Bezug hierauf macht die Revision geltend, wenn der Versicherungsnehmer durch Parteiabrede von der ihm gesetzlich obliegenden Anzeigepflicht entbunden werde, so könne nicht angenommen werden, daß der einzelne Versicherte beim Kollektivversicherungsvertrag zur Anzeige verpflichtet sein oder bleiben solle, denn dann würde der mit der Befreiung des Versicherungsnehmers erstrebte Zweck nicht erreicht sein. In welchem Sinne aber die etwaige Vereinbarung, falls der Berufungsrichter eine wirkliche Vereinbarung und nicht bloß eine unausgesprochen gebliebene Absicht hat zugrunde legen wollen; von den Beteiligten gemeint war, ist wiederum Sache der tatsächlichen Beurteilung und der Nachprüfung des Revisionsgerichts auf seine tatsächliche Richtigkeit entzogen. Übrigens ist kaum anzunehmen, daß die Beklagte auf die Anzeige von der Gefahrerhöhung überhaupt, also auch von seiten des Versicherten, verzichtet haben sollte. Der Berufungsrichter ist zu dem Ergebnis gelangt, daß L. zur Anzeige der Gefahrerhöhung an die Beklagte verpflichtet gewesen sei und daß er diese Verpflichtung aus Fahrlässigkeit unerfüllt gelassen, dadurch aber den Versicherungsanspruch verwirkt habe. Rechtliche Bedenken hiergegen bestehen nach den vorstehenden Ausführungen nicht. Die Revision erhebt in dieser Richtung noch den Einwand, es sei nicht festgestellt, daß L. sich seiner Verpflichtung zur Anzeigeerstattung an die Beklagte bewußt gewesen sei, seiner Pflicht zur Anzeigeerstattung an die Klägerin aber sei er, wie die Urteilsbegründung ergebe, nachgekommen. L. mußte sich aber, um dem Vorwurfe der Fahrlässigkeit zu entgehen, über die ihm als Versicherten obliegenden Pflichten unterrichten und ebenso war es die Aufgabe der Klägerin, das hierzu Nötige zu tun. Eine auf der Unkenntnis der bestehenden rechtlichen Verpflichtungen beruhende Unterlassung der Anzeige ist danach, wie keiner weiteren Begründung bedurfte, ohne weiteres als fahrlässig zu kennzeichnen. Mit der bloßen Anzeige an die Klägerin aber konnte L. seiner Verpflichtung zur Anzeige der Gefahrerhöhung an die Beklagte nicht genügen."