RG, 26.03.1919 - I 262/18

Daten
Fall: 
Seeversicherungspolice-Klausel
Fundstellen: 
RGZ 95, 273
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
26.03.1919
Aktenzeichen: 
I 262/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin, Kammer für Handelssachen.
  • KG Berlin

1. Zur Auslegung der in einer Seeversicherungspolice enthaltenen Klausel "die Versicherung deckt auch die direkte Kriegsgefahr, als Wegnahme, Beschädigung oder Zerstörung der Güter durch Kriegsschiffe, Kaper, Torpedos oder Seeminen."
2. Was ist unter "direkter" Kriegsgefahr zu verstehen?
3. Deckt eine Güterversicherung auch den Erlös, der für die versicherten Güter erzielt wird?
4. Zu den Begriffen "Nehmung" (Beschlagnahme) und "Wegnahme".

Tatbestand

Die Klägerin hat bei der Beklagten einen Posten Gerste versichert, der auf dem englischen Dampfer "Trevalgan" von Odessa nach Rotterdam unterwegs war. Der Versicherung sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten für den Seetransport und daneben noch besondere Bedingungen, die in der Police verzeichnet waren, zugrunde gelegt worden, darunter folgende Klausel:

"Die Versicherung deckt auch die direkte Kriegsgefahr, als Wegnahme, Beschädigung oder Zerstörung der Güter durch Kriegsschiffe, Kaper, Torpedos oder Seeminen. Jedoch haftet der Versicherer nicht für die Kosten, welche entstehen aus dem freiwilligen Aufenthalt wegen Kriegsgefahr, aus der Anhaltung, der Blockade des Aufenthaltshafens, der Zurückweisung von einem blockierten Hafen, der Ausladung, Lagerung und Weiterbeförderung der Güter wegen Kriegsgefahr... und ferner nicht für den Verderb und Verminderung der Güter sowie für andere Schäden, die während der infolge der Kriegsgefahr stattfindenden Ausladung und Lagerung der Güter eintreten. Das Risiko für den Versicherer beginnt erst mit der erfolgten Einladung in den Dampfer und endet unter allen Umständen in dem Augenblick, in dem die Güter im Bestimmungshafen an das Land gelangen."

Der Dampfer "Trevalgan" änderte nach Kriegsausbruch seine ursprüngliche Reise insofern, als er am 11. August 1814 nach London fuhr, von dort am 16. August 1914 wieder auslief und am 18. August 1914 in Barry bei Cardiff ankam. Die versicherte Gerste wurde in London oder Barry gelöscht und in England verkauft. Der Erlös wurde zunächst bei einer englischen Bank für Rechnung, wen es angeht, hinterlegt, später aber nebst den aufgelaufenen Zinsen von den englischen Behörden beschlagnahmt und durch englische Prisengerichtsurteile für gute Prise erklärt. Die Klägerin behauptet Totalverlust im Sinne von §36 der "Allgemeinen Versicherungsbedingungen für den Seetransport" und verlangt Zahlung eines Teiles der Versicherungssumme. Die Beklagte behauptet, daß ein durch die Versicherung gedeckter Schade nicht vorliege.

Beide Vorinstanzen gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache in die Berufungsinstanz zurückverwiesen.

Gründe

1.

"Zutreffend führt das Berufungsgericht aus, daß die hier maßgebliche Kriegsklausel der Seeversicherungspolice jede "Gefahr" deckt, die als "direkte Kriegsgefahr" im Sinne der genannten Klausel anzusehen ist. Die Bedeutung des Wortes "als" vor einer Aufzählung von Einzelfällen kann verschieden sein. Es kann damit die nachfolgende Aufzählung als erschöpfend bezeichnet werden sollen, es kann aber auch diese Aufzählung nur als Anführung von Beispielen gemeint sein, die eine Ergänzung gestattet. Das letztere ist in einem Falle der hier vorliegenden Art nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch anzunehmen, wonach in solchem Zusammenhange das Wort "als" nichts anderes bedeutet wie "und zwar" in dem vom Reichsgericht in RGZ. Bd. 90 S. 325 erörterten Sinne. Der Versicherer hätte, wenn er dem Worte "als" eine andere als diese Bedeutung beigelegt wissen wollte, dies deutlich in der von ihm verfaßten Policeklausel zum Ausdruck bringen müssen. Es kommt hinzu, das; in dem nachfolgenden, mit dem Worte "jedoch" eingeleiteten Satze der Klausel eine Reihe von Einzelfällen aufgezählt ist, die von der Kriegsversicherung nicht gedeckt sein sollen, was ganz überflüssig sein würde, wenn die in dem vorhergehenden Satze mit den Worten "Wegnahme, Beschädigung oder Zerstörung der Güter durch Kriegsschiffe, Kaper, Torpedos oder Seeminen" vorgenommene Aufzählung erschöpfend wäre (vgl. auch RGZ. Bd. 90 S. 326). Zu Unrecht nimmt die Revision nach dieser Richtung hin Bezug auf die Entscheidung des Reichsgerichts in RGZ. Bd. 92 S. 414, da die dort behandelte Klausel anstatt des hier fraglichen Wortes "als" die einen anderen Sinn ausdrückenden Worte "bestehend in" enthält.

2.

Bei Prüfung der Frage, was als "direkte Kriegsgefahr" im Sinne der Police anzusehen ist, ist zu beachten, daß es sich hier nicht um einen im Seeversicherungsrechte grundsätzlich festgelegten Begriff handelt. Insbesondere wird weder in den einschlägigen Vorschriften des Handelsgesetzbuchs, die nach Art. 48 der "Allgemeinen Versicherungsbedingungen für den Seetransport" subsidiar heranzuziehen sind, noch auch in den Allg. Seeversicherungsbedingungen von 1867 der Begriff der "direkten Kriegsgefahr" als solcher erwähnt. Anderseits rechtfertigt der Umstand, daß die in der Police als "direkte Kriegsgefahr" aufgezählten Beispiele nur kriegerische Handlungen durch Seestreitkräfte oder Seekriegsmittel betreffen, nicht - wie die Revision will - den Schluß, daß auch nur solche Handlungen als "direkte Kriegsgefahr" im Sinne des Versicherungsvertrags zu gelten haben. Dagegen spricht schon, daß zu den Maßnahmen, die ihrem Wesen nach in erster Linie als direkte Kriegsgefahr erscheinen, die Beschlagnahme durch kriegführende Mächte zwecks Konfiskation und diese Konfiskation selbst gehören, die erstere aber, wie auch im deutschen Prisenrecht anerkannt ist (vgl. z. B. Deutsche Prisengerichtsordnung vom 15. April 1911 §23), nicht nur auf See und durch Seestreitkräfte, sondern auch am Lande und durch Landtruppen, Hafenbehörden usw. erfolgen kann, und die letztere Sache richterlicher Behörden ist (vgl. auch RGZ. Bd. 90 S. 326). Dagegen sprechen aber auch die im Zweiten, mit "jedoch" eingeleiteten Satze der fraglichen Kriegsklausel aufgezählten Ausnahmen. Diese betreffen keineswegs nur durch Seestreitkräfte vorgenommene kriegerische Handlungen und hätten anderseits als Ausnahmen nicht besonders erwähnt zu werden brauchen, wenn sie nicht an sich als Fälle "direkter Kriegsgefahr" im Sinne des Vertrags anzusehen wären. Diese Ausnahmen lehnen sich nun durchweg an diejenigen Fälle an, welche im § 849 HGB. und im § 101 Allg. SVB. von 1807 zu den Schäden gerechnet werden, welche "zunächst durch Kriegsgefahr" verursacht sind, und welche in der Entscheidung vom 29. November 1916 RGZ. Bd. 89 S. 140, als "unmittelbar durch die Kriegsgefahr" verursachte Schäden, bei denen die Kriegsgefahr "die causa proxima des Schadens war" (vgl. auch RGZ. Bd. 67 S. 255) bezw. eine "typische" Kriegsgefahr im Gegensatze zur typischen Seegefahr vorlag, den in § 848 HGB., § 100 Allg. SVB. behandelten, "mittelbar" durch Kriegsgefahr verursachten Schäden gegenübergestellt werden. Danach rechtfertigt es sich, als durch "direkte Kriegsgefahr" im Sinne der hier fraglichen Police verursachte Schäden solche anzusehen, welche im § 849 HGB. (§ 101 Allg. SVB.) als "die zunächst durch Kriegsgefahr verursachten Schäden" bezeichnet sind und wovon die dort gemachten Aufzählungen von Einzelfällen besonders hervorstechende Beispiele hervorheben (vgl. auch Urt. des RG. v. 19. Mai 1917 I 26/17; Sieveking, Seeversicherungsrecht § 849 Anm. 8). Es mag sein, daß eine solche Schlußfolgerung nicht in allen Fällen gezogen werden kann, wo in einer Seeversicherungspolice die "direkte Kriegsgefahr" erwähnt wird, wie z. B. in der in RGZ. Bd. 90 S. 325 behandelten Police die Einleitung der Aufzählung der nicht mitversicherten Ausnahmefälle durch das Wort "infolgedessen" auf eine andere Auslegung hinweist. Dies ändert aber nichts an der Berechtigung der für den gegenwärtigen Spezialfall vertretenen Auslegung.

3.

Die hier maßgebliche Police bezeichnet sich als eine solche "auf Güter", und als Gegenstand der Versicherung sind daselbst ausdrücklich die hier fraglichen Güter bezeichnet worden. Diese Güter sind, wie zwischen den Parteien unbestritten und auch der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde gelegt ist, in England aus dem Dampfer "Trevalgan" ausgeladen und verkauft worden; der Erlös ist hinterlegt und späterhin auf Grund eines in England eingeleiteten prisengerichtlichen Verfahrens kondemniert worden. Das Berufungsgericht meint, es könne dahingestellt bleiben, unter welchen Umständen die Güter nach England geschafft sind und wie es zu ihrem Verkauf daselbst gekommen ist. Denn jedenfalls sei eine direkte Kriegsgefahr in dem hier maßgeblichen Sinne dadurch gegeben, daß der hinterlegte Erlös der Güter beschlagnahmt und durch ein in England erfolgtes prisengerichtliches Verfahren kondemniert sei. Der Verkauf der Ware sei nicht etwa die vermittelnde Ursache für die Kondemnation des Erlöses gewesen, vielmehr habe sich durch den fraglichen Verkauf nur der Gegenstand der Kondemnation geändert.

Diesen Ausführungen kann nicht beigetreten werden. Sie finden weder in den Spezialvorschriften des vorliegenden Versicherungsvertrags noch in den subsidiär anwendbaren Vorschriften des Handelsgesetzbuchs eine Stütze. Zwar ist nach den Grundsätzen des Seeversicherungsrechts als versicherter Gegenstand nicht die Sache selbst, sondern das Interesse des Versicherungsnehmers an der Sache anzusehen (RGZ. Bd. 83 S. 168; Sieveking § 779 Anm. 15). Dies ändert aber nichts daran, daß es hier für die Frage, ob ein Versicherungsfall im Sinne der Police vorliegt oder nicht, ausschließlich auf das Schicksal der versicherten Güter selbst ankommt (vgl. jedoch auch § 859 HGB.). Es ist daher, da nach der Sachlage weder ein Abandon im Sinne von Art. 38, 39 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für den Seetransport noch auch Kosten usw. im Sinne von §849 Abs. 2 HGB., § 101 Abs. 2 Allg. SVB. in Frage kommen, zu prüfen, ob ein Totalverlust der Güter im Sinne von Art. 36 der gen. Allgemeinen Versicherungsbedingungen für den Seetransport, etwa durch ihren Verkauf in England oder auf andere Weise, eingetreten und gegebenenfalls, ob dieser Totalverlust von der Beklagten zu vertreten ist. Dafür ist von maßgeblicher Bedeutung, wie die Ware nach England gekommen und dort zum Verkauf gebracht worden ist.

4.

Die in Art. 2 der Allgemeinen Bedingungen erfolgte Freizeichnung "von Kriegsmolest" sowie von demjenigen "Schaden, welcher durch Verfügung von hoher Hand, Weg- oder Beschlagnahme seitens irgendeiner Macht oder Behörde ... verursacht wird," geht nur so weit, als nicht die besonders vereinbarte Kriegsklausel eingreift.

Anderseits fällt eine "notgedrungene Änderung der Reise" trotz der Vorschrift in Art. 1 der Allgemeinen Bedingungen dann nicht unter die Versicherung, wenn sie auf Kriegsmolest zurückzuführen ist, ohne daß ein Fall der "direkten Kriegsgefahr" im Sinne der mehrerwähnten Policenklausel vorliegt. Dabei ist folgendes zu berücksichtigen.

In den Urteilen des Reichsgerichts vom 16. Juni 1917 RGZ. Bd. 90 S. 327 und vom 14. Februar 1917 I 167/16 ist zutreffend ausgeführt, daß in der bei Ausbruch des gegenwärtigen Krieges von der britischen Admiralität den englischen Schiffen erteilten Weisung, britische Häfen anzulaufen, eine Nehmung (Beschlagnahme, Wegnahme - hier gemeint im engeren Sinne, nicht im Sinne der durch richterliche Behörden auszusprechenden Konfiskation, Kondemnation, Einziehung) der an Bord befindlichen Güter nicht erblickt werden kann. Dies hindert aber nicht, eine solche amtliche Weisung als ein wesentliches Moment heranzuziehen bei Prüfung der Frage, ob eine - nach obigem nicht auf Beschlagnahme beschränkte - "direkte Kriegsgefahr" im Sinne der Police und ein dadurch verursachter Schade vorliegt. Ferner würde in dem Falle, wo das Schiff nicht gemäß Art. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für den Seetransport, sondern zur Vermeidung der Kriegsgefahr von seinem Wege nach einem neutralen Hafen abgewichen und in einen englischen Hafen eingelaufen sein sollte, zwar im Prinzip gemäß § 848 HGB. ein von der hier fraglichen Versicherung nicht gedeckter "Kriegsmolest" vorliegen. Dieses Prinzip würde aber durchbrochen sein, wenn der etwaige Kriegsmolest als "direkte Kriegsgefahr" in dem oben dargelegten Sinne anzusehen sein sollte. Dabei würde nicht nur ein direkter Zwang der britischen Behörden, sondern auch entsprechend den in der Entscheidung des Reichsgerichts vom 19. Mai 1917 I 26/17 dargelegten Grundsätzen der Fall in Betracht kommen, wo etwa das Schiff, um die Gefahr der Aufbringung (die allerdings für ein englisches Schiff in der fraglichen Gegend damals nicht besonders naheliegend gewesen sein dürfte) zu vermeiden, die Reise in den neutralen Hafen aufgegeben hat. Schließlich würde auch unter Umständen ein mit dem Kriege zusammenhängender zwangsweiser Verkauf der Güter in England von Bedeutung sein können und zwar auch dann, wenn die Verbringung der Güter dahin für sich allein von der Versicherung nicht gedeckt sein sollte." ...