RG, 14.03.1919 - III 437/18
1. Öffentlichrechtliche Natur des Beamtenverhältnisses.
2. Kann die Revision auf Gesetzesverletzung bei Auslegung des Anstellungsvertrags eines badischen Gemeindebeamten gestützt werden?
Tatbestand
Im Jahre 1893 wurde der Kläger als Gehilfe der Stadtkasse von der Beklagten angestellt und eidlich verpflichtet. Unter dem 18. September/4. Oktober 1899 wurde mit ihm von dem Stadtrate der Beklagten nach Zustimmung des Bürgerausschusses ein schriftlicher Dienstvertrag abgeschlossen, in dessen Eingang erwähnt wird, daß der Kläger als Beamter der Stadtverwaltung die etatsmäßige Amtsstelle eines Kassengehilfen bekleide; durch ihn wurden dem Kläger die Rechte der Dienst- und Gehaltsordnung für die Beamten der Beklagten gemäß deren § 3 verliehen und damit gleichzeitig deren Verpflichtungen für ihn als verbindlich erklärt, auch ausgesprochen, daß die Dienst- und Gehaltsordnung einen Bestandteil dieses Dienstvertrags bilde. Am 10. März 1916 beschloß der Stadtrat, den Kläger in Anwendung der Bestimmung in § 28 der Dienst- und Gehaltsordnung auf den 1. Juli 1916 in den Ruhestand zu versetzen, nachdem die durch den Bezirksarzt vorgenommene ärztliche Untersuchung ergeben habe, daß er infolge der bei ihm bestehenden Erkrankung als dauernd dienstunfähig anzusehen sei. Nach erfolglosem Widerspruche gegen diesen Beschluß erhob der Kläger im Mai 1916 Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen Versetzung in den Ruhestand.
Von dem Landgericht abgewiesen, weil ihm ein Klagrecht aus eine solche Feststellung nicht zustehe, legte der Kläger Berufung ein und beantragte nunmehr die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Gehalts anstelle des ihm bewilligten Ruhegehalts. Diesem Antrage wurde, von Einschränkungen abgesehen, von dem Oberlandesgericht entsprochen. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Gründe
"Die Beklagte geht bei der Begründung ihrer Revision von der Annahme aus, der Berufungsrichter habe dahingestellt gelassen, ob der Kläger Beamter der Beklagten gewesen sei oder nur in einem bürgerlichrechtlichen Dienstverhältnisse zu ihr gestanden habe. Das beruht auf einem Mißverständnis. In dem Dienstvertrage von 1899 ist ausdrücklich gesagt, daß der Kläger als Beamter der Stadtverwaltung die etatsmäßige Amtsstelle eines Kassengehilfen bekleide, und durch den Vertrag sind ihm die Rechte der nur für die Beamten geltenden Dienst- und Gehaltsordnung verliehen und deren Verpflichtungen für ihn als verbindlich erklärt. Danach kann seine Beamteneigenschaft nicht in Zweifel gezogen werden; sie ist auch bereits in der Klagschrift behauptet und in der Klagbeantwortung zugegeben worden. Wenn das Berufungsgericht bei der Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs die Frage unentschieden läßt, ob die Dienst- und Gehaltsordnung nur als "ein privatrechtlicher Bestandteil des Dienstvertrags" anzusehen sei oder durch die nach der Entlassung des Klägers erfolgte Aufnahme in das Ortsstatut "die Eigenschaft einer öffentlichrechtlichen Bestimmung" auch in dem Verhältnis der Beklagten zu dem Kläger erlangt habe, so ist dies nicht dahin zu verstehen, daß die Beamteneigenschaft des Klägers dahingestellt bleiben solle, sondern der Berufungsrichter will damit nur den Unterschied zwischen einer ortsstatutarischen Bestimmung als einer objektiven Rechtsnorm und einer keine solche Norm darstellenden städtischen Dienstordnung, die nur auf Grund eines Vertrags als dessen Bestandteil Wirksamkeit erlange, zum Ausdruck bringen. Das Gegenteil ist auch nicht aus den Worten privatrechtlich und öffentlichrechtlich zu entnehmen. Die Bezeichnung des Dienstvertrags als eines privatrechtlichen Vertrags in den Urteilen der Vorinstanzen beruht vielmehr auf der früher vielfach, auch in Baden (vgl. Wielandt, Handbuch des Bad. Gemeinderechts Bd. 1, 3. Aufl. 1893 S. 151; Wielandt, Staatsrecht des Großherzogtums Baden 1895, Bd. 3, 1 Abt. 3 von Marquardsens und Seydels Handbuch des öffentlichen Rechtes, S.119, 150) vertretenen, neuerdings aber vorwiegend (vgl. für Baden: Walz, Das badische Gemeinderecht 1914 S. 50, 111, 113, 627; Lederle, Das Recht der Gemeindebeamten in Baden 1909 S. 12 flg.) und namentlich auch von dem Reichsgericht (vgl. z. B. RGZ. Bd. 53 S. 427 flg.) abgelehnten Ansicht, daß ein Beamtenanstellungsvertrag ein privatrechtlicher Vertrag sei. Dies ergibt sich unzweideutig aus der von dem Landgericht als Beleg angeführten Entscheidung des badischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. November 1912 (Zeitschr. f. bad. Verwaltung u. Verwaltungsrechtspflege 45. Jahrg. 1913 S. 46), in der die Ansicht vertreten wird, daß das Dienstverhältnis der Gemeindebediensteten zwar auch da, wo kein Beamtenstatut gemäß § 31 der Städteordnung bestehe, nicht nur ein bürgerlichrechtliches sei, daß es aber im letzten Grunde auf privatrechtlichem Dienstvertrage beruhe und der öffentlichen Rechtsordnung nur insoweit unterstehe, als besondere Gesetze dies ausdrücklich vorsehen.
War der Kläger aber städtischer Beamter, so ist, da das Beamtenverhältnis in allen seinen Beziehungen, auch soweit sie die vermögensrechtliche Seite betreffen, ein öffentlichrechtliches Verhältnis bildet, das Rechtsverhältnis zwischen den Streitteilen nur nach dem in Baden geltenden öffentlichen Rechte zu beurteilen, auf dessen Verletzung mit Rücksicht auf seinen beschränkten Geltungsbereich nach § 549 ZPO. die Revision nicht gestützt werden kann. Auch soweit zur Ausfüllung der Lücken im Beamtenrecht an sich revisibele Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes herangezogen werden, kommen diese nur als Teil des nicht revisibelen öffentlichen Rechtes zur Anwendung; nur der in ihnen zum Ausdruck gelangte allgemeine Rechtsgedanke hat Geltung für das Beamtenverhältnis als ein auch diesem angehöriger Grundsatz, wie der erkennende Senat wiederholt ausgesprochen hat (z. B. in den Urteilen vom 15. Dezember 1916, Warneyer 1917 S. 73, und vom 24. April 1917, Leipz. Zeitschr. 1917 Sp. 928). Dies gilt insbesondere auch für die Auslegung des Beamtenanstellungsvertrags, der, wie erwähnt, richtiger Ansicht nach öffentlichrechtlicher Natur ist; der gegenteiligen Annahme der Vorinstanzen ist irgendeine badische Bestimmung, deren Auslegung nach § 562 ZPO. für das Revisionsgericht bindend wäre, weder in den beiden Urteilen noch auch in der angezogenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zugrunde gelegt.
Demnach ist das Revisionsgericht durch die Schranken des Rechtsmittels gehindert, die von der Revision angefochtene Richtigkeit der Auslegung der einen Bestandteil des Anstellungsvertrags bildenden Dienst- und Gehaltsordnung nachzuprüfen. Um deren Auslegung handelt es sich aber bei allen Revisionsangriffen, nicht nur soweit diese sich gegen die Annahmen des Berufungsgerichts richten, daß der Kläger zwar nicht Erfüllung, wohl aber Schadensersatz wegen Nichterfüllung fordern könne und daß die Beklagte verpflichtet sei, den Kläger in einer untergeordneten Stellung seinen Fähigkeiten und seinem Bildungsgrad entsprechend zu verwenden, sondern auch wenn die Revision geltend macht, es komme nicht darauf an, ob der Kläger im medizinischen Sinne geistig erkrankt und deshalb dienstunfähig geworden sei, sowie ob sich sein geistiger Zustand gegen früher verändert habe, sondern darauf, ob seine geistigen Kräfte jetzt noch ausreichen, um seinen Dienst ordnungsmäßig zu versehen. Aber auch die Rüge der Verletzung des § 286 ZPO. ist unzulässig, weil das Streitverhältnis nach nicht revisibelem Rechte zu beurteilen ist (vgl. RGZ. Bd. 78 S. 156; Jur. Wochenschr. 1918 S. 94; Recht 1918 Beil. Nr. 409; Leipz. Zeitschr. 1918 Sp. 923); sie ist übrigens auch nicht begründet."