RG, 14.03.1919 - VII 377/18
Ist dem Anfechtungsbeklagten die Zahlungseinstellung des Gemeinschuldners bekannt, wenn er sie als Folge einer Pfändung voraussieht?
Tatbestand
Die Beklagte ließ am 27. Februar 1917 wegen einer vollstreckbaren Forderung Warenbestände des Kaufmanns A. pfänden; am 29. März 1917 wurde über dessen Vermögen der Konkurs eröffnet. Der Konkursverwalter erhob die Anfechtungsklage mit dem Antrage, die Pfändung für unwirksam zu erklären. Nach diesem Antrage wurde in den Vorinstanzen erkannt. Die Revision der Beklagten hatte Erfolg.
Gründe
"Die Anfechtung ist auf § 30 Nr. 2 KO. gestützt. Aus dieser Gesetzesvorschrift kommt im vorliegenden Falle für die Prüfung der Anfechtungsberechtigung nur in Betracht, ob die Pfändung nach der Zahlungseinstellung erfolgt ist und ob, wenn das zu bejahen ist, der Beklagten zur Zeit der Pfändung die Zahlungseinstellung des Schuldners bekannt war. Daß die Zahlungseinstellung der Pfändung vorangegangen ist, muß der Kläger beweisen. Der Beklagten als Anfechtungsgegnerin liegt der Beweis ob, daß sie bei der Vornahme der Pfändung, welche ihr als Konkursgläubigerin eine von ihr nicht zu beanspruchende Sicherung gewährt, die Zahlungseinstellung des Gemeinschuldners nicht gekannt hat.
Das Berufungsgericht hat den vom Kläger zu führenden Beweis für erbracht angesehen. Der Gemeinschuldner habe vor der Pfändung, welche wegen des hohen Betrags der beizutreibenden Forderung fast seinem ganzen Warenlager drohte und deshalb zur Lahmlegung des Geschäfts führte, dem ihn zur Zahlung auffordernden Gerichtsvollzieher sein Unvermögen zur Zahlung erklärt und damit die Zahlungseinstellung kundgegeben.
Weiter ist auch entgegen den Ausführungen der Beklagten deren Kenntnis von der Zahlungseinstellung zur Zeit der Vornahme der Pfändung bejaht. Die Angestellten der Beklagten S. und K. - so führt das angefochtene Urteil aus - hätten allerdings bekundet, daß ihnen von einer Zahlungseinstellung des Gemeinschuldners nichts bekannt gewesen sei. Von der vorerwähnten Erklärung des Gemeinschuldners habe die Beklagte vor der Pfändung, da keiner ihrer Vertreter dabei zugegen gewesen sei, auch keine Kenntnis haben können. Die Beklagte habe sich aber, nachdem der Gemeinschuldner die verlangte und zugesagte Teilzahlung von 2757,55 M nicht zu leisten vermocht habe, der Überzeugung nicht verschließen können, demgemäß als sicher vorausgesehen und sonach gewußt, daß der Schuldner, wenn sie ihn wenige Tage darauf unter Androhung der Pfändung fast seines ganzen Warenlagers zur Zahlung eines so hohen Betrags auffordern werde und wenn sie im Anschluß daran die Vollstreckung wegen des ganzen Betrags von annähernd 6000 M in sein Warenlager einleite, sein Geschäft nicht mehr fortführen könne, daß er also infolge Lahmlegung des Geschäftsbetriebes seine Zahlungen einstellen müsse.
Gegen diese letztere Beurteilung, die Annahme, der Beweis der Nichtkenntnis sei nicht erbracht, vielmehr die Kenntnis der Beklagten von der Zahlungseinstellung dargetan, richtet sich der von der Revision erhobene Angriff. Der Rüge, § 30 Nr. 2 KO. sei in der vorstehend wiedergegebenen Begründung verletzt, war der Erfolg nicht zu versagen.
In den Fällen des § 30 Nr. 1 KO. wird Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungseinstellung oder dem Eröffnungsantrage im Gesetze gefordert. In den Fällen des § 30 Nr. 2 hat zwar der Beklagte die Unkenntnis dieser Umstände darzulegen. In beiden Gesetzesbestimmungen bedeutet Kenntnis aber, wie das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat, das positive Kennen. Das Kennenmüssen, (fahrlässige Nichtkenntnis) ist der Kenntnis nicht gleichgestellt; ebensowenig genügen ein bloßes Vermuten oder die Überzeugung von einer bevorstehenden Zahlungseinstellung. Gegen diesen Rechtssatz verstößt das Berufungsgericht, indem es die von der Beklagten behauptete Nichtkenntnis von der Zahlungseinstellung des Gemeinschuldners schon dadurch für widerlegt erachtet, daß die Beklagte bei ihrem Vorgehen gegen den Schuldner dessen Zahlungseinstellung vorausgesehen und damit gekannt habe. Ein Rechnen mit Wahrscheinlichkeiten, selbst wenn sie nahe liegen, kennt das Gesetz nicht. Die Beklagte konnte aber, auch wenn sie die Vermögenslage des Schuldners für eine bedenkliche zu halten Grund hatte, noch gar nicht wissen, ob es dem Schuldner nicht doch noch gelingen werde, den vermögensrechtlichen Zusammenbruch aufzuhalten. Noch bei der bevorstehenden Pfändung konnte ein die Zahlungseinstellung abwendendes Ereignis eintreten, dem Schuldner Hilfe gewährt werden, deren Gewährung die Beklagte nicht voraussehen konnte.
Danach ist die die Kenntnis der Beklagten bejahende Begründung des Urteils keine dem Gesetz entsprechende und keine schlüssige. Bekannt im Sinne des Gesetzes muß der Beklagten die zur Zeit der Pfändung schon eingetretene Zahlungseinstellung gewesen sein. Denn Kenntnis haben kann man nur von einem schon eingetretenen Ereignis. Das Berufungsgericht begründet seine Auffassung aber nur mit dem Voraussehen des, wie ausgeführt, immerhin noch abwendbaren Ereignisses und beschwert damit die Beklagte. Die festgestellte Kundgebung des Gemeinschuldners dem mit der Zwangsvollstreckung beauftragten Gerichtsvollzieher gegenüber kommt als Kenntnis der Beklagten nicht in Betracht, da der Gerichtsvollzieher nicht rechtsgeschäftlicher Vertreter des Gläubigers bei der Pfändung ist." ...