RG, 10.03.1919 - VI 331/18

Daten
Fall: 
Auslegung von Bürgschaftsurkunden
Fundstellen: 
RGZ 95, 125
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
10.03.1919
Aktenzeichen: 
VI 331/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Halle a.S.
  • Oberlandesgericht Naumburg a.S.

Zur Auslegung von Bürgschaftsurkunden entgegen ihrem Wortlaute.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten zu 1 die Zahlung von 5000 M nebst 5% Zinsen seit der Klagezustellung und erhebt gegen den Beklagten zu 2 den Anspruch, daß er die Zwangsvollstreckung in das Vermögen seiner Ehefrau, der ersten Beklagten, dulde. Vom Landgericht ist die Beklagte zu 1 antragsgemäß verurteilt worden, ihre Berufung hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Ihre Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils aus folgenden Gründen.

Gründe

"Die Beklagte zu 1 hat ihrem Ehemann im Jahre 1902 in einer notariellen Urkunde Generalvollmacht erteilt. Am 3. Mai 1913 wurde eine weitere notarielle Urkunde errichtet, in der der Beklagte zu 2 zunächst anerkennt, daß er dem Kläger ein am 1. Mai 1913 fällig gewesenes Darlehen von 100000 M schulde und ferner noch "aus Darlehen und als Kaufpreis für verkauftes Holz" die Summe von ca. 70000 M schuldig sei. Dann erklärt er: "Zur Sicherheit für die Zahlung beider Forderungen von 100000 M und von ca. 70000 M, zusammen also ca. 170000 M nebst Zinsen übernehme ich als Generalbevollmächtigter meiner Ehefrau.... handelnd auf Grund der notariellen Generalvollmacht meiner Ehefrau ... für diese die selbstschuldnerische Bürgschaft ...". Diese Erklärungen des Beklagten zu 2, "insbesondere auch die Bürgschaftsübernahme", hat der Kläger angenommen. Auf Grund der getroffenen Abmachung fordert er jetzt die eingeklagten 5000 M als Teilbetrag der erwähnten 70000 M...

Die Revision richtet sich gegen die Auslegung der Bürgschaftserklärung durch das Berufungsgericht, in der sie einen Verstoß gegen §§ 133, 766 BGB. finden will. Von der Beklagten zu 1 war geltend gemacht, daß es sich bei dem Holzkauf um ein wucherisches Geschäft handle, das nichtig sei; ob aber der Kläger ihrem Manne noch Darlehen in Höhe der Klageforderung über die 100000 M hinaus gewährt habe, stehe nicht fest. Diesen Einwand hält das Berufungsgericht deshalb für unerheblich, weil die Beklagte zu 1 zugebe, daß ihr Mann aus dem Holze 35000 M erlöst habe; er sei daher um diesen Betrag bereichert, wenn der Holzkauf nichtig sein sollte. Die Beklagte zu 1 hafte aber auch für den Bereicherungsanspruch als Bürgin, denn wenn auch nur die Kaufpreisforderung in der Urkunde erwähnt sei, so habe doch der Kläger für seine Forderungen aus der Holzlieferung eine Sicherheit erhalten sollen; die Bürgschaft erstrecke sich daher auch auf die Ansprüche des Klägers, die im Falle der Nichtigkeit des Holzkaufs an die Stelle der Vertragsforderungen treten würden.

Mit dieser Auslegung setzt sich das Berufungsgericht in Widerspruch zu dem deutlichen Wortlaute der Bürgschaftserklärung. Die Bürgschaft wurde übernommen für eine Forderung von 100000 M und eine solche von ca. 70000 M; von der letzteren, hier allein in Betracht kommenden aber heißt es, daß sie aus Darlehen und als Kaufpreis für verkauftes Holz geschuldet werde. Die Hauptforderung ist sonach in bezug auf den Schuldgrund genau bezeichnet; insoweit es sich aber um die Verpflichtungen des Bürgen handelt, hat die Urkunde die Vermutung der Vollständigkeit für sich (vgl. Jur. Wochenschr. 1911 S. 540 Nr. 15). Daß die Bürgin dem Kläger auch für etwaige Ansprüche anderer Art haften solle, ist nirgend gesagt. Nun darf freilich die Auslegung einer Urkunde nicht an dem Wortlaute haften bleiben, sondern soll nach § 133 BGB. den wirklichen Willen erforschen. Diese Willenserforschung findet aber ihre Schranke in der tatsächlich vorliegenden Erklärung, und im vorliegenden Falle ist nur von einer Forderung aus Kaufpreis und Darlehen die Rede. Wäre die von dem Berufungsgericht angenommene Ausdehnung der Bürgschaft gewollt gewesen, so hätte es nahe gelegen, nicht von dem "Kaufpreis für verkauftes Holz", sondern von den Ansprüchen des Klägers aus Holzlieferung zu sprechen oder einen ähnlichen umfassenden Ausdruck zu wählen, wobei es dahingestellt bleiben möge, ob eine solche Fassung den gegebenen Fall einschließen könnte, in dem der etwaige Anspruch des Klägers auf 35000 M auf der Nichtigkeit des Kaufes wegen Wuchers beruhen würde.

Die von dem Berufungsgericht angenommene Auslegung der Bürgschaftserklärung läßt sich somit nicht aufrecht erhalten. Darüber aber, inwieweit in den 70000 M vom Kläger gegebene Darlehen enthalten sind, hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen." ...