RG, 03.02.1919 - IV 323/18

Daten
Fall: 
Übertragung des gesamten Vermögens, Einwilligung des Gütergemeinschaftsgenossen
Fundstellen: 
RGZ 94, 314
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
03.02.1919
Aktenzeichen: 
IV 323/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Hamburg
  • Oberlandesgericht Hamburg

1. Ist die Verpflichtung zur Übertragung des gegenwärtigen Vermögens auch dann an die Form des § 311 BGB. gebunden, wenn in dem Vertrage die einzelnen das Vermögen ausmachenden Bestandteile bezeichnet sind?
2. Bedarf es in gleichem Falle zu den in den §§ 1444,1487 BGB. bezeichneten Rechtsgeschäften der Einwilligung des anderen Gütergemeinschaftsgenossen?
3. Tritt fortgesetzte Gütergemeinschaft ein, wenn durch gemeinschaftliches Testament der Eheleute alle Abkömmlinge von der Gütergemeinschaft ausgeschlossen sind? Kann ein solcher Ausschluß auch stillschweigend erfolgen?

Tatbestand

Die Kläger und ihr Bruder Friedrich sind die Kinder des Gastwirts Karl Oskar B. aus dessen erster Ehe. Am 15. August 1896 ging er die zweite Ehe ein mit der Witwe Adelheid P. Vorher, nämlich am 21. Juli 1896, fand die Einkindschaftung der beiden Kläger statt. Am 26. Mai 1905 errichteten die Eheleute ein gemeinschaftliches Testament. Sie setzten sich gegenseitig, "ihre" drei Kinder und die Beklagte, eine Nichte der Frau, zu Erben ein, bestimmten aber, daß der überlebende Ehegatte Vorerbe und als solcher von allen Verpflichtungen frei sein solle, deren Beseitigung das Gesetz zulasse. Er solle auf das freieste unter Lebenden über die beiderseitige Vermögensmasse verfügen können. Der Vater der Kläger starb im Jahre 1913. Nach feinem Tode forderte und erhielt Friedrich B. seinen Pflichtteil. Am 22. Dezember 1916 schloß die Stiefmutter der Kläger mit der Beklagten einen Leibrentenvertrag. In dessen §1 erklärt erstere:

"Mein ganzes Vermögen besteht in nominell 10000 M 4% Hamburger Rente, welche zurzeit ungefähr 9000 M Kurswert besitzen, und einem alten Hausstand, der höchstens 1000 M wert ist. Da ich von 400 M Zinsen meines Vermögens nicht leben kann, habe ich mich entschlossen, mit meiner Nichte ... einen Leibrentenvertrag dahin zu schließen, daß ich ihr mein vorstehend genanntes Vermögen, also die 10000 M Wertpapiere und den Hausstand, zu Eigentum übergebe, wogegen sie sich verpflichtet, mir bis an das Ende meines Lebens 1000 M zu zahlen." ...

Die Witwe B. starb am 19. Mai 1917.

Die Kläger hielten den Leibrentenvertrag aus verschiedenen Gründen für nichtig und beantragten, die Beklagte zu verurteilen, jedem von ihnen 3333,33 M nebst Zinsen zu zahlen. In zweiter Linie behaupteten sie die "Hinfälligkeit" des Testaments und machten deshalb den Anspruch auf Herausgabe des Gesamtnachlasses geltend. Die Klage wurde in beiden Instanzen abgewiesen. Die Revision der Kläger hatte keinen Erfolg.

Gründe

"Die Kläger haben geltend gemacht, in dem Vertrage vom 22. Dezember 1916 habe Frau B. sich verpflichtet, der Beklagten ihr gesamtes Vermögen zu übertragen. Mangels gerichtlicher und notarieller Beurkundung sei daher der Vertrag nach § 311 BGB. in Verb. mit § 761 nichtig. Das Landgericht, dessen Gründe das Oberlandesgericht sich zu eigen macht, führt hierzu u. a. aus: Frau B. habe in dem Vertrage zwar erwähnt, daß die übertragenen Gegenstände ihr ganzes Vermögen ausmachten, sie wolle aber nicht sowohl ihr Vermögen als Gesamtheit als vielmehr die bezeichneten Gegenstände übertragen. Der Wirksamkeit des Vertrags stehe also der § 311 nicht entgegen. Diese Begründung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Mit Recht beruft sich das Landgericht auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts, wonach ein Vertrag, der die Veräußerung einer Mehrheit von Vermögensstücken zum Gegenstande hat, durch die Vorschrift des § 311 nicht berührt wird, auch wenn die veräußerten Gegenstände zusammen das ganze Vermögen des Veräußerers ausmachen und die Beteiligten sich dessen bewußt sind. In solchem Falle ist der Übertragungswille nur bezüglich der namhaft gemachten Gegenstände erklärt, so daß beim Vorhandensein weiterer Vermögensstücke diese nicht mit veräußert sind, während sie bei der Übertragung des Vermögens als Ganzen dazu gehören würden. An dieser Beurteilung ändert im vorliegenden Falle auch der Umstand nichts, daß die zum "Hausstand" gehörenden Sachen nicht im einzelnen bezeichnet sind. Durch ihre Zusammenfassung unter einem Gesamtnamen lassen sie sich ohne weiteres bestimmen. Die Sache liegt nicht anders, als wenn sie im Vertrag einzeln aufgezählt wären (vgl. hierzu RGZ., Bd. 69 S. 416 und Warneyer 1917 Nr. 49). ...

Ferner wollen die Kläger die Unwirksamkeit des Leibrentenvertrags aus der Vorschrift des § 1487 in Verb. mit § 1444 BGB. herleiten. In dieser Beziehung ist die Rechtslage folgende: In der zweiten Ehe des Vaters der Kläger herrschte Gütergemeinschaft nach hamburgischem Rechte. Diese ist durch das hamburgische Gesetz, betr. den Güterstand der vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs geschlossenen Ehen, vom 14. Juli 1899 in die Gütergemeinschaft des neuen Rechtes übergeleitet. Nach § 15 dieses Gesetzes stehen den gemeinschaftlichen Abkömmlingen im Sinne der Vorschriften über allgemeine Gütergemeinschaft (des Bürgerl. Gesetzbuchs) diejenigen Abkömmlinge aus früheren Ehen gleich, mit denen die Ehegatten einen Einkindschaftsvertrag geschlossen haben. Sieht man zunächst von dem Testamente der Eheleute B. vom 26. Mai 190S ab, so würde zufolge jener Vorschriften nach dem Ableben des Vaters der Kläger zwischen diesen und ihrer Stiefmutter fortgesetzte Gütergemeinschaft eingetreten sein (§ 1483), und deshalb letztere nach §§ 1487, 1444 zu einem Rechtsgeschäfte, durch das sie sich zu einer Verfügung über das Gesamtgut im ganzen verpflichten wollte, der Einwilligung der Kläger bedurft haben. Denn der § 2 des erwähnten hamburgischen Gesetzes macht eine Ausnahme von den §§ 1444, 1487 BGB. nur zugunsten des Mannes.

Die Kläger sind der Ansicht, daß an dieser Rechtslage durch das Testament nichts geändert sei. Es trete mit §§1487, 1444 in Widerspruch und sei deshalb nach § 1518 "hinfällig". Dagegen steht die Beklagte auf dem Standpunkte, daß die Gütergemeinschaft durch das Testament aufgehoben sei. Das Berufungsgericht hat letztere Frage dahingestellt gelassen und ausgeführt, der Einwilligung der Kläger zu dem Vertrage habe es nicht bedurft, da ihre Stiefmutter, wie aus den Darlegungen über die Nichtanwendbarkeit des § 311 hervorgehe, nicht über das Gesamtgut im ganzen verfügt habe. Diese Begründung beruht auf Rechtsirrtum. Das Berufungsgericht verkennt die verschiedene rechtliche Bedeutung des § 311 einerseits und der §§ 1487, 1444 anderseits. Der § 311 enthält eine Formvorschrift. Er erschwert die Form für Verträge, durch welche jemand sein ganzes Vermögen in Bausch und Bogen einem anderen übertragen will. Ein solcher soll nicht in der Lage sein, formlos ein so "inhaltsschweres" Geschäft, ohne sich über dessen Bedeutung klar geworden zu sein, schließen zu können, und so vor Übereilung geschützt werden (Motive Bd. 2 S.188 und das angef. Urt. bei Warneyer 1917 Nr. 49). Deshalb ist die Form nicht nötig, wenn zwar die übertragenen Gegenstände das gesamte Vermögen des Übertragenden bilden, diese aber im Vertrag im einzelnen bezeichnet sind. Dann kann er über die Tragweite des Geschäfts nicht mehr im unklaren sein. Ganz andere Bedeutung hat der § 1444. Er ist materiellrechtlicher Natur und soll verhindern, daß der Mann einseitig Geschäfte eingeht, die der Gütergemeinschaft das Substrat und der Ehefrau ihre Rechte am Gesamtgute zum einseitigen Vorteile des Mannes entziehen, also mit dem Wesen und Zwecke der Gütergemeinschaft in Widerspruch stehen (Motive Bd. 3 S. 351 zu II). Entsprechendes gilt nach § 1487 für die fortgesetzte Gütergemeinschaft. Von diesem Gesichtspunkt aus muß es aber für die Gültigkeit eines ohne Einwilligung des anderen Gütergemeinschaftsgenossen geschlossenen Vertrages ohne Bedeutung sein, wenn in dem Vertrag, aus dem ersichtlich ist, daß er das Gesamtgut im ganzen zum Gegenstande hat, auch noch die einzelnen, das Gesamtgut ausmachenden Vermögensbestandteile aufgezählt sind. So liegt die Sache hier. Nach §§ 1487, 1444 BGB. und § 2 des hamburgischen Gesetzes, betr. den Güterstand, würde es also darauf ankommen, ob die Behauptung der Beklagten richtig ist, daß die Erblasserin außer den im Vertrag angegebenen noch die weiteren von der Beklagten bezeichneten Vermögensgegenstände besessen hat.

Die Entscheidung kann aber aus einem anderen Grunde aufrechterhalten werden, und zwar deshalb, weil die vom Berufungsgerichte dahingestellt gelassene Frage, ob durch das Testament die fortgesetzte Gütergemeinschaft ausgeschlossen ist, bejaht werden muß. Eine solche Ausschließung der fortgesetzten Gütergemeinschaft kann auch stillschweigend durch Bestimmungen erfolgen, die mit dem Eintritte der fortgesetzten Gütergemeinschaft nicht vereinbar sind. Das ist hier geschehen, indem die Eheleute B., wie das Berufungsgericht unangefochten feststellt, sich gegenseitig zu Vorerben und die drei Söhne des Mannes und die Beklagte zu Nacherben berufen haben.

Daß etwa die Eheleute B. außer dem Gesamtgute Vorbehalts- oder Sondergut gehabt hätten und sich nur auf solches die letztwillige Verfügung beziehen sollte, ist nicht behauptet.

Allerdings kann das gemeinschaftliche Testament, auch wenn es in der Form des Ehevertrags (§ 1434 BGB.) geschlossen ist, den Ehevertrag im Sinne des § 1508 nicht ersetzen, weil das Testament nach § 2271 einseitig widerrufen werden kann. Allein wenn, wie es nach § 1511 zulässig ist, alle Abkömmlinge von der fortgesetzten Gütergemeinschaft ausgeschlossen sind, so kann es zu einer solchen begriffsmäßig nicht kommen, da zu jeder Gemeinschaft mehrere Personen gehören (vgl. Motive Bd. 4 S. 442). Das Urteil des V. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 14. Dezember 1907 (Warneyer 1908 Nr. 163) steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen, da es einen anders gelagerten Fall betrifft. Formell war der Ausschluß der Gütergemeinschaft nach § 1516 Abs. 3 BGB. gültig. Die §§ 1487, 1444 BGB. finden deshalb keine Anwendung." ...