RG, 03.02.1919 - VI 347/18
Haftet eine Bank, deren Vorstand in geschäftlichen Angelegenheiten Auskunft erteilt, wegen einer wissentlich unrichtigen, von einer ihrer Depositenkassen instruktionswidrig erteilten Auskunft auf Schadensersatz?
Tatbestand
Die Weinhandlung W. Schl. & Co. in Berlin stand mit dem Sch.schen Bankverein, Depositenkasse Charlottenburg, Stuttgarter Platz, in Geschäftsverbindung. Im Frühjahr 1913 richtete sie an die Klägerin die Anfrage, ob diese ihr Ware auf Kredit liefern und Wechsel diskontieren wolle, wobei sie ihre vorgenannte Bankverbindung als Referenz aufgab. Daraufhin schrieb die Klägerin am 2. April 1913 an den Bankverein "Charlottenburg, Stuttgarter Platz 13" und ersuchte um Auskunft über W. Schl. & Co., es interessiere sie vor allem, zu erfahren, ob man der Firma einen Kredit bis zu zirka 20000 M in Ruhe bewilligen könne. Die Anfrage wurde unter dem 8. April 1913 von der Depositenkasse beantwortet, deren damalige Vorsteher F. und H. das Schreiben unterzeichnet haben. In der Auskunft wird zunächst der Inhaber von W. Schl. & Co. als ein "äußerst tüchtiger, intelligenter und versierter Geschäftsmann" bezeichnet, der das seit 1862 bestehende Geschäft 1896 von seinem Vater übernommen habe. Man bringe der Firma in Lieferantenkreisen Vertrauen entgegen, sie erziele durch ihre Filialen, etwa 160 an Zahl, bedeutenden Umsatz. Dann heißt es: "Zahlungen erfolgten, soweit wir beobachten konnten, stets prompt. Auch sollen der Firma seitens wohlhabender Verwandten des Inhabers reichliche Mittel zur Verfügung stehen." Die Klägerin trat nunmehr mit Schl. in Geschäftsverbindung, ihrer Behauptung nach auf Grund dieser Auskunft, lieferte an Schl. auf die Bestellungen vom 19. April und 10. Mai 1913 Wein und diskontierte auch Wechsel. W. Schl. & Co. geriet aber im Juli 1918 in Konkurs. Die Klägerin berechnet den ihr durch die Geschäftsverbindung mit Schl. entstandenen Schaden auf 17839,03 M und hat den Bankverein dafür verantwortlich gemacht. An Stelle des Bankvereins ist seine Rechtsnachfolgerin, die jetzige Beklagte, getreten.
Vom Landgerichte wurde die Klage abgewiesen, dagegen hat das Kammergericht den Klaganspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Gründen
"Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Klägerin und der Bankverein nicht in Vertragsbeziehungen zueinander standen und auch durch die Auskunft nicht in solche getreten sind, daß vielmehr die Beantwortung der Anfrage der Klägerin eine Gefälligkeit war. Die Klägerin könne daher ihren Schadensersatzanspruch nur auf §§ 826, 30, 31 BGB. oder auf §§ 831, 826 das. stützen. Nach beiden Richtungen sei er dem Grunde nach gerechtfertigt. Die Auskunft sei absichtlich irreführend und auf Täuschung berechnet. Ob es für die Beurteilung der geschäftlichen Lage der Firma Schl. von Bedeutung sei, daß ihr der Bankverein am 16. Januar 1913 den bis dahin gegen Sicherstellung gewährten Kredit auf den 17. April 1913 gekündigt hatte, möge dahingestellt bleiben, jedenfalls habe sich seitdem die Lage der Firma so gestaltet, daß an ihrem Zusammenbruche nicht zu zweifeln gewesen sei. F. habe das ganz genau gewußt. Er habe der Firma einen ungedeckten Kredit von über 500000 M eingeräumt und dies durch falsche Buchungen verdeckt, da er gewußt habe, daß der Bankverein diese Kreditgewährung nicht genehmigt haben würde; er habe Schl. solange als möglich halten wollen. Diese Kreditierung verschweige die Auskunft. Daß sie für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit von Schl. von ausschlaggebender Bedeutung sei, habe dem F. nicht verborgen sein können, er habe auch damit gerechnet, daß der Klägerin der Verlust ihrer Forderung drohe, wenn sie an Schl. auf Kredit liefere. Zehn Tage nach Erteilung der Auskunft habe F. die Flucht ergriffen. Auf die Auskunft habe die Klägerin vertrauen dürfen, da sie von einer Großbank erteilt sei; sie sei hierdurch zu dem Geschäftsverkehre mit Schl. bestimmt worden. F. sei aber ein satzungsmäß bestellter besonderer Vertreter des Bankvereins gewesen und habe bei Erteilung der Auskunft in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen gehandelt; der Bankverein habe daher für sein Verhalten einzustehen.
Die Revision macht geltend, daß zwar in der Satzung des Bankvereins die Errichtung von Depositenkassen vorgesehen sei, daß darin aber nichts über die Stellung ihrer Vorsteher und namentlich über deren Vertretungsbefugnis gesagt werde. Sie meint, das Berufungsgericht habe nicht ausreichend geprüft, welcher Art die Stellung der Depositenkassenvorsteher im allgemeinen und namentlich bei dem Bankvereine gewesen sei; sie sei nach den Instruktionen bei dem Bankverein eine unselbständige gewesen. Die einzelnen den Vorstehern zugewiesenen Geschäfte, seien nicht richtig gewürdigt; welche Machtbefugnisse das Publikum den Vorstehern zuschreibe, sei unerheblich).
Der Angriff ist nicht begründet. Wenn die Satzung des Bankvereins in § 1 die Errichtung von Depositenkassen vorsieht, so erklärt sie diese Kassen hierdurch für satzungsmäßige Einrichtungen. Hiermit allein ist freilich die Anwendbarkeit des § 30 BGB. auf die Vorsteher noch nicht gegeben; dazu wird vielmehr noch gefordert, daß sie als besondere Vertreter für gewisse Geschäfte neben dem Vorstande bestellt sind. Sie müssen für einen gewissen Geschäftskreis eine selbständige Stellung haben, was damit vereinbar ist, daß sie im allgemeinen und namentlich im Innenverhältnis dem Vorstande gegenüber untergeordnet sind. Diese Voraussetzungen treffen für die Vorsteher der Depositenkassen des Bankvereins zu. Im Anschluß an ein Urteil des Reichsgerichts vom 8. Januar 1917 (Jur. Wochenschr. S. 285 Nr. 5) führt das Berufungsgericht zunächst allgemein aus, daß die Depositenkassen die Geschäfte des Bankiers mit dem Publikum besorgen, daß sie Rat bei geschäftlichen Dispositionen erteilen und Kredit gewähren, wobei sie im der Regel eine umfassende Vertretungsmacht besitzen. In bezug auf die Vorsteher der Depositenkassen des Bankvereins im besonderen aber wird festgestellt, daß sie insbesondere Aufträge auf Ankauf und Verkauf von Wertpapieren entgegen zu nehmen haben, daß sie selbständig die Sicherstellung bei Abschluß von Börsentermingeschäften prüfen und bestimmen und nur dann an die vorherige Genehmigung der Zentrale gebunden sind, wenn Ausnahmen von der allgemeinen Regel gemacht werden sollen, daß sie innerhalb bestimmter Beleihungsgrenzen Vorschüsse auf Wertpapiere gewähren und in gewissem Umfange Wechseldiskontierungen vornehmen dürfen. Daß ihnen sonach eine Vertretungsbefugnis im Sinne des § 30 BGB. zusteht, kann nicht zweifelhaft sein.
Für die Folgen einer von einem solchen Vertreter vorgenommenen unerlaubten Handlung haftet die juristische Person aber nur dann, wenn die Handlung in Ausführung der dem Vertreter zustehenden Verrichtungen stattgefunden hat (§31 BGB.). Für den Umfang dieser Verrichtungen gilt die Regel, daß sich die Vertretungsmacht eines solchen Vertreters in Zweifel auf alle Rechtsgeschäfte erstreckt, die der ihm zugewiesene Geschäftskreis gewöhnlich mit sich bringt. Trifft diese Voraussetzung in einem gegebenen Falle zu, so ist es Dritten gegenüber ohne Bedeutung, ob die vorgenommene Handlung dem Vertreter nach seiner Bestellung oder seiner Dienstinstruktion im Verhältnis zu dem ihm vorgesetzten Vorstande der juristischen Person erlaubt oder verboten war, es sei denn, daß der Dritte die Einschränkung der Vertretungsbefugnis kannte oder kennen mußte (vgl. RGZ. 86 S. 87 flg. und das oben angeführte Urteil des Senats vom 8. Januar 1917). Das Berufungsgericht hat nun die Frage, ob die Erteilung von Auskünften zu den handelsgebräuchlichen Verrichtungen einer Bank überhaupt oder doch zu denen des Bankvereins gehört habe, bejahend beantwortet, wobei es für das letztere mit Recht darauf hinweist, daß in der Zentrale des Bankvereins Formulare für die Übersendung von Auskünften vorhanden waren und noch im Jahre 1912 beschafft wurden. Von den Depositenkassen aber sagt es, daß das Publikum mit ihnen in erster Linie in Geschäftsverbindung trete und daß ihre vertretungsberechtigten Organe als die eigentlichen Ratgeber der Geschäftskreise anzusehen seien. Von der Depositenkasse Charlottenburg im besonderen wird sodann festgestellt, daß sie in nicht unerheblichem Umfang Auskünfte erteilt hat. War aber somit die Sachlage die, daß der Bankverein als solcher Auskünfte in geschäftlichen Angelegenheiten erteilte, daß er weiter für den geschäftlichen Verkehr mit dem Publikum besondere Einrichtungen, die Depositenkassen, geschaffen und sie zur Erfüllung dieser Aufgabe mit umfangreichen Vertretungsbefugnissen ausgestattet hat, so kann es nicht als rechtsirrig betrachtet werden, wenn das Berufungsgericht die Depositenkassenvorsteher des Bankvereins nach außen hin auch in bezug auf die Erteilung einer Auskunft als zur Vertretung des Bankvereins berechtigt ansieht und daher den Bankverein für die Handlungsweise F.s haften läßt. An die Auskunft der Handelskammer in Berlin, nach der es nicht zu dem Geschäftskreise von Vorstehern der Depositenkassen einer Großbank gehören soll, über Kunden der Bank dritten Personen, mit denen die Bank nicht in Geschäftsverbindung steht, Auskunft zu erteilen, war es nicht gebunden. Wenn der Bankverein den Depositenkassenvorstehern mündlich und schriftlich verboten hat, direkt Auskünfte an Dritte zu erteilen, so hat das nur Bedeutung für ihr Innenverhältnis zu der Zentrale der Gesellschaft, denn eine Verlautbarung dieses Verbots, etwa durch öffentliche Bekanntmachung, ist dem Publikum gegenüber nach der Feststellung des Berufungsgerichts nicht erfolgt. Es kommt auch nicht auf den von der Revision hervorgehoben Umstand an, daß es der Direktion des Bankvereins nicht bekannt gewesen sei, daß die Depositenkasse in Charlottenburg und vielleicht noch andere Kassen tatsächlich Auskünfte erteilten. Denn auch dann, wenn das zutrifft und daher von einer Duldung dieses Verfahrens durch die Zentrale nicht die Rede sein kann, läßt sich hieraus nicht auf eine nach außen hin wirksame Einschränkung der dem Depositenkassenvorsteher im Zweifel zuzusprechenden Befugnisse schließen.
Durch diese Ausführungen wird die Haftung der Bank für die unrichtige Auskunft grundsätzlich gerechtfertigt." ...