RG, 25.01.1919 - I 162/18

Daten
Fall: 
Versicherung des imaginären Gewinns gegen Kriegsgefahr
Fundstellen: 
RGZ 94, 300
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.01.1919
Aktenzeichen: 
I 162/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Hamburg

1. Erlischt bei Kriegsversicherung das versicherbare Interesse bezüglich des imaginären Gewinns ohne weiteres dadurch, daß der versicherte Cif-Käufer die Dokumente zurückweist?
2. Können auf eine gegen Kriegsgefahr für Mehrwert des imaginären Gewinns genommene laufende Police auch nach Kriegsausbruch beliebige Deklarationen vorgenommen werden?
3. Wirksamkeit von Deklarationen, aus denen der Gegenstand der Versicherung nicht ohne weiteres genau zu ersehen ist. Wie ist zu verfahren, wenn die Deklarationen den vereinbarten Höchstbetrag übersteigen und das versicherbare Interesse nach Beginn der Gefahr teilweise erloschen ist?

Tatbestand

Laut laufender Police vom 1. Januar 1912, welche auch für das Jahr 1914 galt, hat die Klägerin bei der Beklagten Versicherung genommen

"auf imaginären Gewinn, Mehrwert und / oder andere Interessen, die nicht durch andere laufende Policen des Herrn Versicherten gedeckt sind, auf Abladungen von Getreide..."

In der Police heißt es:

"Im übrigen ist durch diese Police jedes Interesse gedeckt, welches der Herr Versicherte im Laufe dieses Jahres, dem Datum der Konnossemente der betreffenden Abladungen nach, an schwimmenden oder erst abzuladenden Gütern hat, und verpflichtet sich der Versicherer, stets die erforderliche Summe bis zum Maximalbetrage von 60000 M für jedes einzelne Schiff versichert zu halten und die Aufgabe anzuerkennen, unter Verzichtleistung auf jeden Nachweis der Taxe und / oder des Interesses."

Die Beklagte hatte der Klägerin von ihr unterzeichnete Vordrucke zu Versicherungsscheinen behändigt, welche diese gemäß ihren Deklarationen auf die Police ausfüllen durfte. Durch Nachtrag auf der Police vom 23. Juli 1914 hatte die Beklagte, während die Police an sich "nur für Seegefahr" gemäß den Allg. Seeversicherungsbedingungen von 1867 galt, für Abladungen von Plätzen Südrußlands und Ostindiens nach Nord- und Westeuropa auch die Kriegsgefahr gemäß der Hamburger Kriegsklausel übernommen.

Die Klägerin hatte durch Verträge vom 4. bis 11. Juli 1914 8 Partien Gerste, im ganzen 1850 Tons, von P. B. in Rostow auf Hamburg gekauft, die noch im Juli mit dem österreichischen Dampfer Daksa verladen wurden und von dem Verkäufer gegen Seegefahr versichert waren. Hierauf hat die Klägerin auf ihre laufende Police je nach der Marktlage teils in der Zeit vom 25. bis 28. Juli, teils am 3. August, wo die Daksa sich noch im Mittelmeere befand, Deklarationen unter gleichzeitiger Ausfüllung von Versicherungsscheinen vorgenommen. Der Betrag der ersteren war 15125 M, der vom 3. August 48800 M. Aus den Deklarationen, die unbeanstandet von der Beklagten entgegengenommen wurden, ergaben sich nur: Schiff, Herkunftsland, Bestimmungsort, Warenmenge, versicherter Betrag und Prämie, nicht aber die einzelnen Verträge oder Konnossemente.

Der Dampfer Daksa ist am 10. August von den Engländern aufgebracht und mit seiner Ladung kondemniert worden. Von der Gersteladung hatte die Klägerin 350 Tons rechtzeitig weiterverkauft, so daß diese aus der Versicherung ausschieden. Die Dokumente über 800 Tons hat sie aufgenommen und unverkauft in ihrem Besitze. Dagegen hat sie von den restlichen 700 Tons die Dokumente über 500 Tons am 1. August, die über 200 Tons am 3. August bei der Andienung zurückgewiesen. Sie behauptet, daß nach den ihren Angestellten erteilten Anweisungen und den darüber geführten Büchern die Deklarationen sich dergestalt über die ganze Ladung verteilten, daß in der Zeit vom 25. bis 28. Juli deklariert seien:

  1. auf die verkauften 350 Tons 2100,- M
  2. auf die zurückgewiesenen 700 Tons 6725,- M
  3. auf die 800 Tons 6300,- M

und ferner am 3. August:

  1. auf die 800 Tons 38400,- M
  2. auf zu den 700 Tons gehörige 200 Tons 10400,- M
    zusammen: 63925,- M

Die Klägerin ist nun der Meinung, daß sie unter Ausscheidung der auf die 350 Tons deklarierten 2100 M und Herabsetzung der dann verbleibenden Deklaration auf den vereinbarten Höchstbetrag von 60000 M den letzteren als den ihr entstandenen Schaden beanspruchen könne, und hat Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 60000 M nebst 5 % Zinsen beantragt.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt unter Erhebung verschiedener Einwendungen, von denen jetzt noch folgende in Betracht kommen:

  1. Da die Deklarationen nicht ergeben, auf welche einzelne Posten sie gemacht seien, so könne dies nicht jetzt nachgeholt werden, vielmehr müßten sie, wenn sie überhaupt beachtlich seien, auf die ganze Ladung gleichmäßig verteilt werden. Dann würde auf die allein in Frage stehenden 800 Tons (s. Einwand 2) ein verhältnismäßig geringer Betrag entfallen.
    1. Bezüglich der 700 Tons sei das versicherbare Interesse der Klägerin durch die Zurückweisung der Dokumente erloschen.
    2. Am 3. August sei die Lage schon so gewesen, daß man unmöglich noch mit einem Gewinne bei der Ladung der Daksa habe rechnen können, vielmehr sei die Nichtankunft so gut wie gewiß gewesen. Daher habe die Klägerin einen imaginären Gewinn überhaupt nicht mehr deklarieren können.
    3. Keinesfalls könne sie die gesamten 60000 M fordern. Vielmehr seien sämtliche Deklarationen auf die 1850 Tons zu berücksichtigen und derart auf 60000 M herabzusetzen, daß dabei eine gleichmäßige Erniedrigung der Einzeldeklarationen eintrete.

Das Landgericht hat unter Abweisung der Klage im übrigen die Beklagte zur Zahlung von 4695 M nebst Zinsen verurteilt. Hiergegen hat nur die Klägerin Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Klage wegen 18388,52 M nebst Zinsen zur Zahlung weiterer 36916,48 M nebst Zinsen verurteilt.

Auf Revision beider Parteien wurde das Urteil aufgehoben aus folgenden Gründe:

Gründe

1.

"Wegen der 700 Tons nimmt das Oberlandesgericht an, daß das versicherbare Interesse der Klägerin dadurch vor Eintritt des Unfalls (10. August 1914) erloschen sei, daß sie am 1. und am 3. August die ihr angedienten Dokumente zurückgewiesen habe. Dem kann nicht beigetreten werden. Die Klägerin hatte die Ware cif Hamburg gekauft, dieselbe schwamm also für ihre Rechnung und Gefahr. Die Zurückweisung der Dokumente änderte an diesem Verhältnis zur Ware an sich nichts, sie verhinderte nur bis auf weiteres den Übergang des Eigentums auf die Klägerin. Diese blieb also nach wie vor die an der Ware und ihrer glücklichen Ankunft wie ein Eigentümer interessierte Cif-Käuferin. Somit blieb auch ihre Aussicht auf imaginären Gewinn von der glücklichen Ankunft der Ware abhängig. Daß sie die Dokumente berechtigterweise dem Verkäufer gegenüber zurückgewiesen habe, weil der Kauf hinfällig geworden sei, oder daß der Verkäufer sich nachträglich mit der Zurückweisung der Dokumente oder der Auflösung des Kaufes einverstanden erklärt habe, wird von keiner Seite behauptet. Es liegt auch nichts dafür vor, daß die Klägerin selbst den Kauf für hinfällig gehalten und aus diesem Grunde die Dokumente zurückgewiesen habe, vielmehr ist die nächstliegende Auslegung dieser Handlung die, daß sie den Eigentumsübergang vorläufig vermeiden wollte, damit die Ware bei etwaiger Beschlagnahme und prisenrechtlichem Verfahren als russisches Eigentum behandelt würde. Die inzwischen durch die Kondemnation teilweise wertlos gewordenen Dokumente liegen nach unbestrittener Behauptung der Klägerin noch bei der Deutschen Bank und könnten daher auch jetzt noch von ihr aufgenommen werden. Es ist an sich anzunehmen, daß die Aufnahme längst erfolgt wäre, wenn die Ware glücklich in Hamburg angekommen wäre, und daß somit der Klägerin der imaginäre Gewinn nicht durch die Zurückweisung der Dokumente, sondern durch den Versicherungsfall, d. h. die Beschlagnahme, verloren gegangen ist. Die Begründung, mit der das Oberlandesgericht den auf die 700 Tons bezüglichen Anspruch der Klägerin abgewiesen hat. ist hiernach nicht haltbar.

2.

Anderseits ist aber auch die Begründung, mit der das Oberlandesgericht den gemäß der Deklaration vom 3. August 1914 erhobenen auf die 800 Tons bezüglichen Anspruch in der Hauptsache zugesprochen hat, nicht ausreichend. Es prüft lediglich, ob der am 3. August 1914 deklarierte imaginäre Gewinn absolut undenkbar oder wenigstens nach menschlicher Berechnung kaum zu erwarten war, m. a. W. ob damals schon feststand, daß der Dampfer Daksa Hamburg nicht mehr erreichen konnte. Allerdings hat die Beklagte selbst zu dieser Fragestellung Anlaß gegeben, indem sie bestreitet, daß die Klägerin einen den Deklarationen entsprechenden imaginären Gewinn noch habe erwarten können, weil nach dem Gutachten Z. die Gerste damals in Hamburg mit Rücksicht auf die Kriegsverhältnisse überhaupt nicht mehr, geschweige denn zu einem höheren als dem von der Klägerin gezahlten Kaufpreise, verkäuflich gewesen sei. Die Beklagte scheint danach der Meinung zu sein, daß sie nach § 793 Abs. 2 HGB. eine Herabsetzung der Taxe auf 0 gemäß dem in Hamburg für die bestimmte in Rede stehende schwimmende Gerste mit Rücksicht auf die Kriegsgefahr zu erzielenden Preise verlangen könne. Das ist aber nicht richtig. Bei Prüfung der Angemessenheit der Taxe darf die Höhe der Gefahr nicht in Betracht gezogen werden. Vielmehr kommt es darauf an, welcher Gewinn zu erwarten ist, falls die Gefahr glücklich überstanden wird. Das Berufungsgericht kommt dem richtigen Gesichtspunkte näher, indem es von einer exceptio doli spricht, die dem Anspruche dann entgegenstehe, wenn ein Überstehen der Gefahr objektiv gänzlich oder doch nahezu undenkbar gewesen sei. In Wahrheit handelt es sich um die Frage, ob die laufende Police vom 1. Januar 1912 mit Zusätzen nach Treu und Glauben auf eine Deklaration, wie sie hier am 3. August 1914 vorgenommen ist, bezogen werden darf. Nach bekannten Rechtsgrundsätzen hat die laufende Police die Wirkung, daß die in ihren Bereich fallenden Gegenstände ohne weiteres unter Versicherung kommen, sobald die Gefahr für sie zu laufen beginnt. Hier handelt es sich um eine Versicherung von Mehrwert auf imaginären Gewinn. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde daher, da die Preise in Hamburg für Gerste der fraglichen Art am 3. August auf etwa 180 M gestiegen waren, der von der Klägerin an diesem Tage deklarierte Mehrwert des imaginären Gewinns ohne weiteres unter die Versicherung gefallen und die Klägerin nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet gewesen sein, ihn zu deklarieren. Es fragt sich aber, ob die Police, in deren Zusatze vom 25. Juli 1914, also zwar bei drohender Kriegsgefahr, aber doch vor Ausbruch des Krieges, gegen eine feste Prämienzulage von 1/8 % die Mitversicherung der Kriegsgefahr vereinbart war, nach der Verkehrsauffassung dahin zu verstehen ist, daß sie auch Interessen begreift, die erst nach Kriegsausbruch, also bei fast unendlich gesteigerter Gefahr, unter die Versicherung fallen würden. Hätte es sich um eine Güterversicherung gehandelt, so könnte eine entsprechende Frage dahin aufgeworfen werden, ob die Versicherung auch noch Güter umfaßte, die erst nach Ausbruch des Krieges abgeladen wurden; in diesem Falle würde allerdings dem Versicherer wohl regelmäßig die Einrede eigenen Verschuldens des Versicherten zur Seite stehen. Von einem eigenen Verschulden des Versicherten kann in unserem Falle keine Rede sein, weil die Ware sich bei Eintritt der Gefahr des Verlustes des Mehrbetrags des imaginären Gewinns, m. a. W. als sich der letztere infolge des Kriegsausbruches und der Gefahr einer Beteiligung Englands am Kriege ungewöhnlich steigerte, bereits unterwegs befand und der Versicherte die Ausführung der Beförderung nicht hindern konnte. Dafür kommt aber in Betracht, daß dieser Eintritt der Gefahr, weil er mit der Entstehung des Mehrgewinns zusammenfiel, eine Bereicherung des Versicherten bedeutete, die sich nach Lage der Sache aller Wahrscheinlichkeit nach nur auf Kosten des Versicherers erreichen ließ. Demgemäß hat die Beklagte geltend gemacht, daß am 3. August kein Versicherer sich auf eine solche Versicherung eingelassen haben würde, und es fragt sich, ob die laufende Police nicht auf normale Versicherungen, die auch frei abgeschlossen werden konnten, zu beschränken ist. Diesen Gesichtspunkt hat das Berufungsgericht, das sich mit der Feststellung begnügt, daß am 3. August die Möglichkeit des Ankommens der Ware nicht ausgeschlossen war, nicht berücksichtigt. An Hand desselben wird die Frage erneuter Prüfung in der Berufungsinstanz, nötigenfalls unter Befragung von Sachverständigen, zu unterziehen und dabei auch die in keinem Verhältnis zu dem Risiko stehende Prämie zu berücksichtigen sein. Die Prüfung wird sich auch auf den am 3. August 1914 für die unter 1 behandelten 700 Tons deklarierten Mehrwert des imaginären Gewinns zu erstrecken haben.

3.

Im übrigen sind die erhobenen Angriffe nicht begründet. Die Deklarationen gaben allerdings insofern an sich zu Zweifel Anlaß, als die Warenpartien, auf die sie sich beziehen sollten, nicht ohne weiteres zu erkennen waren. Es steht aber fest, daß sie den in Hamburg notierten Preisen entsprachen und daß die betreffenden Warenmengen tatsächlich für die Klägerin auf dem Dampfer Daksa unterwegs waren. Wenn daher keine sonstigen Gründe (vgl. die vorstehende Erörterung unter 2) entgegenstehen, ist eine Versicherung auf Grund der laufenden Police gegeben. In Frage steht nur eine nachträgliche Erläuterung der Deklarationen, die sehr wohl auf Grund von außerhalb der Urkunde liegenden Beweisen erfolgen konnte. Das Berufungsgericht hat solche erhoben und daraufhin festgestellt, daß die Deklarationen zur Zeit der Vornahme ebenso gemeint gewesen sind, wie die Klägerin jetzt angibt. Da die Beklagte nicht zu behaupten vermag, daß diese Auslegung mit der tatsächlichen Sachlage irgendwie in Widerspruch steht, so muß es dabei sein Bewenden haben. Richtig ist allerdings, daß § 885 HGB. dabei nicht allein in Betracht kommt, weil es sich nicht nur um Feststellung des Schadens oder des Interesses, sondern auch um die Auslegung der Deklarationen und um die Frage handelt, ob sie der laufenden Police und dem zu erwartenden Gewinn entsprachen. Die Rechnung des Oberlandesgerichts ist von seinem Standpunkt aus richtig. Insbesondere kann nicht in Betracht kommen, daß vor den Deklarationen auf See- und Kriegsgefahr schon 3700 M auf Seegefahr deklariert waren. Beide Versicherungen sind hinsichtlich der Überschreitung der Höchstgrenze für sich zu behandeln, wie denn auch nach der Police für Seegefahr 75000 M für jedes Schiff, dagegen für Kriegsgefahr nur 60000 M deklariert werden durften. Ebenso, hat das Berufungsgericht von seinem Standpunkt aus mit Recht die überschießenden 3925 M auf die beiden Partien von 700 und 800 Tons entsprechend verteilt, weil beide zur Zeit der Deklaration in Risiko waren." ...