RG, 17.11.1917 - V 178/17

Daten
Fall: 
Leihe eines Hypothekenbriefs
Fundstellen: 
RGZ 91, 155
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
17.11.1917
Aktenzeichen: 
V 178/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Elberfeld
  • OLG Düsseldorf

Zur Leihe eines Hypothekenbriefs.

Tatbestand

Durch Vertrag vom 8. November 1912 kaufte die verklagte Brauereigenossenschaft von dem Besitzer G. in S. dessen dortiges Brauereigeschäft. Von dem Kaufpreise wurden 10.000 M angezahlt und fernere 10.000 M verrechnet; der Restbetrag von 100.000 M sollte dadurch getilgt werden, daß dem O., der eine Reihe von Jahren für seine Wirtschaft Bier von der Beklagten zu entnehmen hatte, ermäßigte Preise für das Bier bewilligt wurden. Zur Sicherheit für diese 100.000 M war auf dem Grundstücke der Beklagten eine Hypothek einzutragen; der Kläger übernahm die Ausfallbürgschaft dafür. G. erhielt seiner zur Sicherheit einen dem Kläger gehörigen Hypothekenbrief übet 25.000 M. Mit der Klage verlangte der Kläger diesen Hypothekenbrief von der Beklagten zurück, da er ihr den Brief zur Übergabe an G. nur auf längstens ein Jahr und nur unter der Bedingung zur Verfügung gestellt habe, daß er Geschäftsleiter ihrer Niederlassung in S. werde. Das Jahr sei abgelaufen und die Bedingung nicht erfüllt. Die Beklagte bestritt lediglich, daß ihr der Hypothekenbrief unter irgendeiner Bedingung zur Verfügung gestellt worden sei.

Das Landgericht verurteilte nach dem Klagantrage. Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beklagten zurück. Auf die Revision wurde das Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe

"Das Landgericht begründet seine verurteilende Entscheidung damit, daß der Beklagten klar gewesen sei, der Kläger stelle ihr den Hypothekenbrief nicht etwa ohne eigenes Interesse zur Verfügung, sondern aus seinem Interesse heraus auf Grund der mit ihrem Geschäftsführer und dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats getroffenen Abrede, er solle Leiter der Brauerei und Vertreter der Beklagten in S. werden. Mit seinem baldigen Ausscheiden aus dieser Stellung - wenn er sie überhaupt inne gehabt habe - sei sein Interesse an der Überlassung des Briefes erloschen. Wenn damit auch eine sofortige Zurückforderung des Hypothekenbriefs nicht gerechtfertigt werden könne, so dürfe das doch für die Beurteilung der beiderseitigen Verpflichtungen und den Ausgleich der Interessenlage nicht unberücksichtigt bleiben. Von diesem Augenblick an sei der Beklagten bekannt gewesen, daß der Kläger auf Rückgabe des Briefes bedacht sein mußte; sie sei nunmehr verpflichtet gewesen, die Ermöglichung der Freigabe des Briefes zu versuchen, die der Kläger nach Ablauf eines Jahres verlangt habe. Nachdem zwei Jahre seit dem Austritt des Klägers aus der Stellung bei der Beklagten verstrichen seien, sei sein Verlangen nicht unberechtigt, zumal der Beklagten durchweg vermögende und zur Sicherheitsleistung befähigte Personen als Genossen angehörten.

Das Berufungsurteil nimmt ein leiheähnliches Rechtsverhältnis an. Allerdings sei der Hypothekenbrief des Klägers bestimmt gewesen, an die Stelle eines solchen der Beklagten zu treten, den G. von ihr als Sicherheit verlangt hatte und den sie nicht geben konnte, da er zur Beschaffung der Anzahlung von 10.000 M verwendet worden war. Es sei auch anzunehmen, daß G. den Brief bis zur Tilgung des Kaufpreisrestes habe behalten sollen. Allein diese Vereinbarung betreffe doch nur das Verhältnis zwischen G. und der Beklagten. Dagegen sei es nach den Umständen des Falles, wie das Landgericht zutreffend ausführe, ausgeschlossen, daß der Kläger der Beklagten den Brief solange habe belassen wollen. Vielmehr habe der Kläger, nachdem sein Interesse an dem Kaufvertrag erloschen sei, nach Treu und Glauben Anspruch auf die Herausgabe. In dieser Beziehung sei den Gründen des landgerichtlichen Urteils beizutreten.

Mit Recht wird diese Auffassung von der Revision angefochten.

Obschon die Vereinbarung, daß G. den Brief bis zur Tilgung des Kaufpreisrestes behalten sollte, an sich nur das Verhältnis zwischen G. und der Beklagten betrifft, so ergibt sich doch aus der eigenen Darstellung des Berufungsgerichts, daß dem Kläger dieser Zweck, dem die Hingabe des Briefes an G. dienen sollte, bekannt war. Die Gründe des Urteils heben besonders hervor, die Verhandlungen, auf Grund deren der Kläger seinen Hypothekenbrief hergab, ließen darauf schließen, daß der Brief an die Stelle des Hypothekenbriefs der Beklagten treten und die Sicherheit sein sollte, die G. von der Beklagten verlangt hatte. Da ferner nach der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Aussage des G. der Kläger dem Vorstandsmitglied T., wenn auch nach Abschluß des Vertrags, das Schreiben vom 8.. November 1912 diktiert hat, worin er dem G. die Verpflichtung auferlegte, den Hypothekenbrief nach Erfüllung des Vertrags zurückzugeben und sich bis dahin jeder Verfügung darüber zu enthalten, so kann es keinem Zweifel unterliegen, welchem Zwecke die Hingabe des Hypothekenbriefs an G. dienen sollte und daß dem Kläger dieser Zweck bekannt war, als er den Brief - lediglich zu diesem Zwecke - der Beklagten zur Verfügung stellte.

Wenn das Berufungsgericht ein leiheähnliches Verhältnis annimmt und nicht Leihe selbst, so erklärt sich dies daraus, daß die Leihe nach §§ 598, 80 BGB. eine körperliche Sache zum Gegenstande hat und das Gericht vermutlich Bedenken getragen hat, einen Hypothekenbrief als körperliche Sache anzusehen. Dies jedoch mit Unrecht. Wenn auch gemäß § 952 am Hypothekenbriefe wie überhaupt an Urkunden über Rechte, kraft deren eine Leistung gefordert werden kann, ein besonderes einem anderen als dem Gläubiger der Forderung zustehendes Eigentum an sich nicht zugelassen wird - was übrigens nicht zwingendes Recht ist (RGZ. Bd. 51 S.83)-, so betonen doch schon die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuche Bd. 3 S. 744, daß ein Hypothekenbrief als körperliche Sache anzusehen ist. Wie daher derartige Urkunden zu Sicherungszwecken für Forderungen verwendet werden können (Warneyer 19U9 Nr. 181) und ein allerdings nur persönlich wirkendes Zurückbehaltungsrecht daran begründet werden kann (RGZ. Bd. 51 S. 87, Bd. 66 S. 27), ein Fall, der hier vorliegt, so schließt § 952, da eben dem Hypothekenbriefe die Eigenschaft einer körperlichen Sache nicht abzusprechen ist, nicht aus, daß jemand einem anderen den Gebrauch eines Hypothekenbriefs unentgeltlich gestattet, z. B. wie hier, um damit Sicherheit für eine Forderung zu leisten (Leihe, § 598). Dann aber kommt § 604 zur Anwendung, wonach mangels einer Zeitbestimmung die geliehene Sache zurückzugeben ist, nachdem der Entleiher den sich aus dem Zwecke der Leihe ergebenden Gebrauch gemacht hat. Diese gesetzliche Regelung entspricht durchaus der Natur der Sache. Denn es würde unbillig sein, demjenigen, auf dessen Bereitwilligkeit zur Leihe eines Gegenstandes hin ein anderer sich auf ein in die Zukunft wirkendes Rechtsverhältnis eingelassen hat, die Befugnis zu geben, den Gegenstand jederzeit zurückzufordern, unbekümmert darum, wie der andere sich mit der dadurch für ihn geschaffenen Sachlage abfindet. Für die Ausgleichung der Interessen sorgt § 605 Nr. 1, wonach der Verleiher die Leihe kündigen kann, wenn er infolge eines nicht vorhergesehenen Umstandes der verliehenen Sache bedarf. Diese Vorschrift beruht, wie die Motive Bd. 2 S. 452 bemerken, auf Billigkeitsrücksichten und rechtfertigt sich durch die Natur der Gebrauchsleihe als einer Gefälligkeit. Sind keine besonderen; den Leiher zur früheren Rücknahme berechtigenden Vereinbarungen getroffen oder liegen die Voraussetzungen des § 605 nicht vor, so findet eine solche frühere Rücknahme in den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht nur keinen Rückhalt, sondern widerspricht ihnen geradezu. Dies sowie den erwähnten Inhalt des § 604 übersieht das Berufungsgericht. War das Interesse des Klägers an dem Kaufvertrag erloschen, so könnte das, wie die Revision mit Recht bemerkt, nur dann von Einfluß sein, wenn er dieses Interesse, d. h. die Verwirklichung der ihm in Aussicht gestellten Anstellung, zur Vertragsbedingung gemacht hätte. War es für ihn nur Beweggrund gewesen - und mehr stellt das Berufungsgericht nicht fest -, so kann er auf dessen Wegfall seinen Anspruch auf Rückgabe nicht stützen.

Die Klage war, abgesehen von dieser angeblichen Bedingung, auf die Abrede gestützt, daß die Beklagte spätestens binnen Jahresfrist ihren bei einer Bank verpfändeten Hypothekenbrief wieder einlöse und an Stelle des vom Kläger übergebenen Briefes dem Verkäufer zur Sicherheit übergebe. Auch diese Behauptung würde erheblich sein, wie auch die Klage möglicherweise auf § 604 Abs. 2 Satz 2 gestützt werden könnte, d. h. wenn der Kläger im Falle der Nichterweislichkeit der eben erwähnten Behauptung über die Jahresfrist dartun könnte, daß die Beklagte den Hypothekenbrief nur zu vorübergehendem Gebrauche, bis zum Freiwerden des eigenen Briefes, erhalten habe und ihn bereits hätte freimachen können. Es würde auch zu berücksichtigen sein, daß der Kläger nach dem landgerichtlichen Tatbestande geltend gemacht hat, er habe jetzt selbst eine Brauerei erworben und daher den Hypothekenbrief zur eigenen Kreditbeschaffung dringend nötig (vgl. § 605 Nr. 1)." ...