RG, 16.11.1917 - III 291/17
Sind die Bundesregierungen nach § 66 Abs. 2 Satz 2, Abs. 5 des Reichsmilitärgesetzes vom 2. Mai 1874 ermächtigt, Vorschriften zu erlassen, wonach das einem Offizier des Beamtenstandes zustehende sog. Gnadengehalt auf dessen Zivildiensteinkommen anzurechnen ist?
Tatbestand
Der Kläger, ein Beamter, war am 3. August 1914 als Hauptmann bei einem Ersatzbataillon eingezogen worden. Mit dem 31. März 1916 wurde er als dienstuntauglich infolge von Kriegsbeschädigung mit der gesetzlichen Pension aus dem Heere entlassen und kehrte am 1. April 1916 in den Zivildienst zurück. Der verklagte Staatsfiskus kürzte ihm von dem Zivilgehalte für den August 1916 den aus Militärmitteln für den April 1916 gewährten Gnadengehalt. Der Kläger, der dies für unzulässig hielt, forderte im Klagwege die Nachzahlung des abgezogenen Betrags. Wahrend der erste Richter auf Abweisung erkannte, gab das Berufungsgericht der Klage statt. Die Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Die unmittelbare Entscheidungsgrundlage des Berufungsurteils bildet die irrevisible Vorschrift der gemäß § 66 Abs. 5 des Reichsmilitärgesetzes erlassenen sächsischen Verordnung vom 15. Dezember 1888 unter 3, welche den unter 2 aufgestellten Grundsatz, daß Staatsbeamte während der Dauer des Kriegsdienstes ihr Diensteinkommen unverkürzt fortgezahlt erhalten, dahin einschränkt, daß Beamten, welche die Besoldung eines Offiziers erhalten, deren reiner Betrag (= 7/10 der Kriegsbesoldung) auf das Zivildiensteinkommen anzurechnen sei. Der Berufungsrichter ist der Meinung, daß der Anwendungsbereich der Vorschrift sich auf das für den Monat nach Bekanntmachung der Verabschiedung zu gewährende sog. Gnadengehalt (§ 12 Nr. 3 der Kriegsbesoldungsvorschrift vom 29. Dezember 1887) nicht erstreckt. Er gelangt zu dieser Auffassung von der Erwägung aus, daß die Landesverordnung nichts anderes vorschreiben wolle, als § 66 Abs. 2 Satz 2 des angeführten Reichsgesetzes ihr vorzuschreiben gestatte, und diese Ermächtigung lasse eine Bestimmung, wonach auch das Gnadengehalt anzurechnen sei, nicht zu. Mittelbar beruht sonach das angefochtene Urteil aus der Anwendung einer revisiblen Rechtsnorm. In die von der Revision erstrebte Nachprüfung der Ansicht des Vorderrichters über die Tragweite der reichsrechtlichen Vorschrift war deshalb einzutreten. Die Auslegung des Berufungsgerichts hat sich dabei als zutreffend erwiesen.
§ 66 Abs. 2 Satz 1 enthält die Regelvorschrift, daß dem Beamten das persönliche Diensteinkommen aus seiner Stelle "in der Zeit der Einberufung zum Militärdienste" gewahrt bleibt. Wenn im Anschluß hieran der zweite Satz verb. mit Abs. 5 die Bundesregierungen ermächtigt, Ausnahmebestimmungen des Inhalts zu treffen, daß der reine Betrag der Offizierbesoldung auf die Zivilbesoldung anzurechnen sei, so muß bei dem engen Zusammenhange zwischen beiden Sätzen davon ausgegangen werden, daß eine landesrechtliche Regelung nur mit Wirkung für den im ersten Satze bezeichneten Zeitraum zugelassen werden soll. Dieser ist aber im Gesetze so unzweideutig abgegrenzt, daß die Zeit nach dem Ausscheiden des Beamten aus dem Militärdienst, also auch der sog. Gnadenmonat, davon ausgeschlossen ist.
Der Ausdehnung der Bestimmung aus diesen Zeitabschnitt steht auch die Bedeutung des Ausdrucks "Offizierbesoldung" "entgegen. Allerdings werden die Bezüge im Gnadenmonat in § 12 Nr. 3 der Kriegsbesoldungsvorschrift ebenso wie in § 10 Nr. 1 der Friedensbesoldungsvorschrift vom 26. Oktober 1911 als Gnadengehalt und in § 20 Abs. 3 des Offizierpensionsgesetzes als Besoldungsgebührnisse bezeichnet. Diese Ausdrucksweise ist jedoch offensichtlich im Hinblicke darauf gewählt, daß die Bezüge ihrer Höhe nach dem reinen Gehalte gleichkommen. Wie wenig der Gesetzgeber beabsichtigt hat, damit die rechtliche Natur des Gnadengehalts zu kennzeichnen und etwa im Wege der Fiktion das Dienstverhältnis für den Gnadenmonat noch als fortdauernd hinzustellen, erhellt zur Genüge daraus, daß in den erwähnten Vorschriften von dem Bezugsberechtigten als von "dem mit Pension Ausscheidenden" oder "Ausgeschiedenen" und von dem "Pensionsberechtigten" die Rede ist. Darin tritt deutlich in die Erscheinung, daß auch der Gesetzgeber das Gnadengehalt der wahren rechtlichen Natur entsprechend nicht als Diensteinkommen, sondern als Ruhegehalt auffaßt. Und läge selbst jenen Bestimmungen die gegenteilige Auffassung zugrunde, so würde sie als eine bloße rechtliche Konstruktion die Gerichte nicht binden. Die Besoldung ist zwar keine Gegenleistung für geleistete Dienste, sondern, wie das Reichsgericht wiederholt ausgesprochen hat, eine zum Zwecke des standesgemäßen Unterhalts des Beamten gewährte Rente, jedoch einer Rente, die eben nur für die Dauer des Amtes gewährt wird. An dieser rechtsbegrifflichen Voraussetzung vermag der Gesetzgeber nichts zu ändern. Ob und wieweit die Vorschriften des Offizierpensionsgesetzes über die Pensionsgebührnisse, insbesondere in §§ 23 flg. auf das Gnadengehalt anwendbar sind, ist dabei völlig unerheblich Auf die Beurteilung des rechtlichen Wesens des Gnadengehalts sind diese positivrechtlichen Bestimmungen ohne jeden Einfluß.
Nicht unberücksichtigt darf ferner bleiben, daß zur Zeit der Erlassung der Vorschrift in § 66 Abs. 2 Satz 2, also im Jahre 1874, die Offiziere des Beurlaubtenstandes auf Gnadenmonatsgehalt keinen Anspruch hatten (vgl. den Erlaß des Preußischen Kriegsministeriums vom 5. Juni 1872 bei Neumann, Erläuterungen zum Militär-Pensionsgesetze vom 27. Juni 1871 usw., 2. Aufl. S. 41). Die Annahme, daß der Gesetzgeber auch diese Bezüge bei der Vorschrift schon mit ins Auge gefaßt habe, erscheint also ausgeschlossen. Durch die Novelle zum Reichsmilitärgesetze vom 6. Mai 1880 ist aber an der Bestimmung nichts geändert worden. Sollte indessen mit dem Beklagten dem Gesetzgeber die Absicht zu unterstellen sein, in § 66 Abs. 2 Satz 2 die Landesgesetzgebung zu einer Regelung des Verhältnisses der Zivilbesoldung zu den Bezügen schlechthin zu ermächtigen, zu welchen die Einberufung zum Heeresdienste den Anlaß bietet, so wäre auch damit noch keine Rechtsgrundlage für die Anrechnung des Gnadengehalts gewonnen. Denn dieses Gebührnis müßte im Hinblick auf die seiner Gewährung zugrunde liegende Absicht auch dann von dem Anwendungsbereiche der Vorschrift ausgeschlossen werden. Die Zubilligung der Gnadenmonate soll dem verabschiedeten Offizier den Übergang in die veränderten Verhältnisse, insbesondere die Bestreitung der in der Regel damit verbundenen besonderen Aufwendungen, erleichtern (RGZ. Bd. 71 S. 286). Dieser Bestimmung würde das Gnadengehalt entzogen werden, wenn die Anrechnung zulässig wäre. Auf die Erlassung einer solchen dem Zwecke des Gnadengehalts zuwiderlaufenden Vorschrift kann aber die Ermächtigung in § 66 Abs. 2 Satz 2 selbstverständlich nicht bezogen werden. Die Revision glaubt, daß diese Erwägungen auf Offiziere des Beurlaubtenstandes, die Beamte sind und nach ihrer Verabschiedung in ihre Beamtenstellung zurückkehren, nicht zutreffen. Sie übersieht dabei, daß die Zweckbestimmung des Gnadengehalts im Sinne des Gesetzgebers für alle Offiziere die gleiche ist."