RG, 16.11.1917 - VII 270/17
Unter welchen Voraussetzungen unterliegt ein über die rechtsgeschäftliche Erklärung einer Person aufgenommenes Protokoll, das von dem Erklärenden nicht unterschrieben ist, dem Stempel der Tarifstelle 53 des preußischen Stempelsteuergesetzes vom 31. Juli 1895?
Tatbestand
In dem vom Landsyndikus geführten und von ihm allein unterzeichneten Protokolle des ordentlichen Rittertags der Ritterschaft des Herzogtums Bremen vom 8. November 1906 ist unter anderem vermerkt, Dr. D. in Stade, Mitglied der Ritterschaft, habe die Erklärung abgegeben, daß er sein Rittergut zum Erbstammgut nach Bremischem Ritterrecht erkläre. In der gleichen Art ist im Protokolle des Rittertags vom 8. November 1907 die Erklärung des Dr. D. aufgenommen, daß er dem Erbstammgute gewisse Parzellen zulege unter dem Vorbehalte, gewisse andere Parzellen des Erbstammguts dafür zu veräußern. Der verklagte Staatsfiskus hat für die Protokolle wegen dieses Inhalts nach den Tarifstellen 24 und 53 des preußischen Stempelsteuergesetzes vom 31. Juli 1895 Stempelbeträge von 4980 M und 558 M erfordert, die von der Klägerin bezahlt worden sind. Mit der Klage verlangt sie die Rückzahlung. Durch das Urteil des Oberlandesgerichts wurde der Beklagte nach dem Klagantrage verurteilt. Das Reichsgericht hob diese Entscheidung auf und wies die Sache in die Vorinstanz zurück.
Gründe
"Nach den Tarifstellen 53 und 24 des preußischen Stempelsteuergesetzes vom 31. Juli 1895, aus denen der Beklagte die Stempelpflichtigkeit der Urkunden vom 8. November 1906 und vom 6. November 1907 herleitet, unterliegen der Abgabe "Protokolle, auch von den Parteien nicht unterschriebene", die in Privatangelegenheiten von Behörden und Beamten aufgenommen sind und die Stelle einer im Tarife besteuerten Verhandlung (hier angeblich einer Fideikommißstiftung) vertreten. Der Berufungsrichter hält die Anwendung dieser Steuervorschriften für ausgeschlossen, weil Dr. D., dessen auf Begründung und Erweiterung eines Erbstammguts gerichtete Erklärungen in den vorbezeichneten beiden Urkunden als abgegeben bezeichnet sind, nicht die Absicht gehabt habe, diese Erklärungen im Protokolle feststellen zu lassen, das Protokoll eine innere Angelegenheit der Ritterschaft des Herzogtums Bremen darstelle und auch nicht in einer Privatangelegenheit aufgenommen sei. Nach allen drei Richtungen hin muß dem Berufungsrichter entgegengetreten werden. Nach § 3 StempStG. richtet sich die Stempelpflichtigkeit einer Urkunde nicht nach der Absicht des Erklärenden, sondern nach dem Inhalte der Urkunde. Der Umstand, daß die Protokolle eine "innere Angelegenheit" der Ritterschaft bilden sollten, würde die Entstehung der Stempelpflichtigkeit nicht verhindern, wenn die in den Tarifstellen 53 und 24 aufgestellten Erfordernisse der Stempelpflichtigkeit gegeben sind. Daß aber diese Erfordernisse erfüllt und daß die Urkunden insbesondere auch in Privatangelegenheiten aufgenommen sind, ergibt sich aus folgenden Erwägungen.
Die im Streitfalle vom Landsyndikus aufgenommenen Protokolle sind vom Erklärenden nicht unterschrieben. Wenngleich nach der Tarifstelle 53 auch nicht unterschriebene Protokolle der Abgabe unterworfen sind, so würde doch die Stempelpflichtigkeit ausgeschlossen sein, falls wegen des Mangels der Unterschrift die aus den Protokollen ersichtliche rechtsgeschäftliche Erklärung der Rechtswirksamkeit entbehren würde; denn in diesem Falle könnte sie nicht die Stelle der nach der Tarifstelle 24 steuerpflichtigen "Fideikommißstiftung" vertreten. An der vollen Rechtswirksamkeit der Erklärungen, die inhalts der Protokolle Dr. D. abgegeben hat, ist aber nicht zu zweifeln. Die Vorschrift des § 177 Abs. 1 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, wonach gerichtliche und notarielle Protokolle vorgelesen, von den Beteiligten genehmigt und eigenhändig unterschrieben werden müssen, gilt nach § 1 nur, "soweit nicht ein anderes bestimmt ist", für die durch Reichsgesetz den Gerichten übertragenen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Sie gilt also nach § 185 Abs. 2 FGG., Art. 2. 59 EG. z. BGB. nicht für landesgesetzliche Vorschriften über Familienfideikommisse und "Stammgüter". Für die hier in Betracht kommenden Erbstammgüter der Ritterschaft des Herzogtums Bremen ist in § 2 Nr. 1 des revidierten Ritterrechts des Herzogtums Bremen, des hier anzuwendenden gesetzlichen Sonderrechts (hannoversche Gesetzsamml. von 1860 Abt. 1 S. 233), bestimmt, daß die Eigenschaft eines Erbstammguts unter anderem durch ausdrückliche, bei der Ritterschaft entweder persönlich in deren Versammlung oder in einer öffentlichen Urkunde abzugebende Erklärung begründet wird. Die Annahme des Berufungsrichters, daß hiernach auch die nur mündlich erfolgende Begründungserklärung, mag sie auch nicht protokolliert sein, rechtswirksam sei, ist als eine Auslegung des nur für das Herzogtum Bremen geltenden Sonderrechts für das Revisionsgericht bindend.
Als bloß mündliche Erklärung würde sie dem Urkundenstempel nicht unterliegen, außer wenn ihre Abgabe beurkundet ist. Das ist hier geschehen. Die Beurkundung konnte nach Art. 32 des preußischen Gesetzes vom 21. September 1899 über die freiwillige Gerichtsbarkeit auch durch andere Behörden oder mit öffentlichem Glauben versehene Personen als die Amtsgerichte und Notare erfolgen, also auch durch den Landsyndikus der Ritterschaft. Dieser ist, als eine dauernd im Dienste der Ritterschaft - einer durch Landesgesetz hinsichtlich ihrer Organisation geregelten, dem Organismus des Staates eingegliederten öffentlichrechtlichen Körperschaft - angestellte Person, als mittelbarer Staatsbeamter anzusehen, während das Ritterschaftspräsidium (§ 7 des Ritterrechts) sogar die Eigenschaft einer Behörde hat, da es befugt ist, gemäß § 39 GBO. und Art. 19 Abs. 2 AG. z. GBO. an Stelle des Stifters des Erbstammguts durch Ersuchen des Gerichts die Eintragung der Stammgutseigenschaft in das Grundbuch herbeizuführen. Daß der Landsyndikus eine mit öffentlichem Glauben versehene Person ist, ergibt der § 6 a des Ritterrechts. Das Protokoll, das er über die mündliche Begründungserklärung aufnahm (vgl. § 33 der von der Ritterschaft kraft ihres Selbstbestimmungsrechts - § 71 des Ritterrechts - erlassenen Geschäftsordnung vom 26. November 1864), hat hiernach, worauf schon die in § 2 Nr. 1 des Ritterrechts bestimmte Gleichstellung der Erklärung mit der in einer öffentlichen Urkunde abgegebenen hinweist, die Kraft einer öffentlichen Urkunde, falls ihm nicht - was hier nirgends behauptet ist - die Genehmigung durch das Präsidium und die in Stabe anwesenden Mitglieder des Rittertages versagt wurde.
Sind somit die beiden Protokolle als vom Erklärenden nicht unterschriebene Protokolle im Sinne der Tarifst. 53 anzusehen, so ist ferner auch nicht zu bezweifeln, daß sie in "Privatangelegenheiten" aufgenommen sind. Ihr Inhalt gehört im wesentlichen dem Bereiche des Privatrechts an, da sie das Eigentum des Dr. D. am Gute zu einem gebundenen umgestalten und dessen Veräußerlichkeit, Belastung und Vererbung besonders und eingreifend regeln. Mag auch die Rechtseinrichtung der ritterschaftlichen Erbstammgüter, im ganzen betrachtet, dem öffentlichen Rechte, in dem sie geschichtlich wurzelt, angehören, so handelt doch derjenige, der im einzelnen Falle von dieser Einrichtung in seinem Interesse durch Begründung eines Erbstammguts Gebrauch macht, wesentlich in Tätigung eines privaten Rechtsgeschäfts. Die Ausführungen des erkennenden Senats in dem Urteile vom 16. Juni 1905 RGZ. Bd. 61, S. 123) haben entsprechend auch für den jetzigen Streitfall zu gelten.
Die Protokolle vertreten auch die Stelle von "Fideikommißstiftungen" im Sinne der Tarifstelle 24. In dieser selbst ist für diese Stiftungen eine selbständige Begriffsbestimmung gegeben, die für den Bereich des Stempelsteuergesetzes die allein maßgebende ist. Danach umfaßt die Tarifstelle alle Anordnungen, kraft deren gewisse Vermögensgegenstände der Familie für immer oder für mehr als zwei Generationen erhalten bleiben sollen." Daß der Zweck der Stiftung eines Erbstammguts die dauernde Erhaltung des Gutes für die Familie ist, ergeben insbesondere die §§ 16 und 34 flg. des revidierten Ritterrechts. Danach ist die freiwillige Veräußerung eines Erbstammguts im ganzen sowie seiner einzelnen Teile verboten und nichtig; das Erbstammgut wird unter Ausschluß der weiblichen Nachkommen immer nur im Mannesstamme nach dem Rechte der Erstgeburt vererbt. Es ist nicht zu bezweifeln, daß durch diese Vorschriften die Erbstammgüter ihren Familien, wie die Tarifstelle erfordert, erhalten bleiben "sollen", und sie sind auch geeignet, diesen Zweck im wesentlichen zu erreichen. Daß dieser Zweck ausnahmslos erreicht werden müsse, ist aus dem Wortlaut und Sinne der Tarifstelle nicht zu entnehmen. Es kommt daher nicht darauf an, daß regelmäßig eine Verschuldung des Gutes bis zur Hälfte seines Wertes zulässig ist, daß ausnahmsweise auch die Verschuldung und Verpfändung des ganzen Gutes - übrigens auch nur zum Zwecke der Erhaltung des Gutes in der Hand des zeitigen Besitzers - stattfinden darf, und daß unter Umständen das Gut von den Gläubigern zum notwendigen Verkaufe gestellt werden kann (§§ 19, 21, 23).
Hiernach tritt zwar nicht die mündliche Stiftungserklärung, aber die den gesetzlichen Erfordernissen entsprechend protokollierte in ihrer Rechtswirkung an die Stelle einer vom Stifter urkundlich ausgestellten Fideikommißstiftungs-Erklärung im Sinne der Tarifstelle 24. War daher das Berufungsurteil aufzuheben, so konnte doch eine endgültige Entscheidung noch nicht erfolgen, da der Berufungsrichter die streitige Höhe des Abgabenbetrags nicht geprüft hat und die hierzu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen noch nicht getroffen sind." ...