RG, 16.11.1918 - I 147/18

Daten
Fall: 
"Kostbarkeit" im Sinne des Eisenbahnfrachtrechts
Fundstellen: 
RGZ 94, 119
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.11.1918
Aktenzeichen: 
I 147/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Zum Begriffe "Kostbarkeit" im Sinne des Eisenbahnfrachtrechts.
2. Liegt eine unrichtige oder ungenaue Bezeichnung des Beförderungsgegenstandes vor, wenn der Absender bei Auflieferung eines als Kostbarkeit anzusehenden Gegenstandes zur Expreßgutbeförderung es unterläßt, den Inhalt des Frachtstücks und den Wert auf der Eisenbahnpaketadresse anzugeben?

Tatbestand

Die Klägerin gab am 14. Februar 1917 in Berlin auf dem Bahnhofe Friedrichstraße der preußischen Staatseisenbahn eine Kiste zur Beförderung als Expreßgut an eine Lichtspielgesellschaft in K. auf. Die Kiste, die einen photographischen Filmabzug des Originalfilms "Der Meineidbauer" enthielt, ist der Empfangsberechtigten nicht ausgeliefert worden und abhanden gekommen. Mit der Behauptung, daß der Inhalt der Kiste, die eine Länge und Breite von etwa 35 cm, eine Höhe von etwa 25 cm und ein Gewicht von etwa 15 kg gehabt habe, bei der neuen und tadellosen Beschaffenheit des Filmabzugs einen Wert von 3500 M besessen habe, forderte die Klägerin diesen Betrag vom Beklagten als Ersatz des ihr durch den Verlust des Gutes entstandenen Schadens; daneben machte sie noch Ansprüche wegen Einbuße an Leihgebühren geltend. Der Beklagte bat um Klagabweisung. Er bestritt die klägerische Wertangabe und wandte ein, daß er zum Schadensersatze nicht verpflichtet wäre, da die Klägerin den Film, der als Kunstgegenstand und Kostbarkeit anzusehen wäre, nach den maßgeblichen Tarifvorschriften als Expreßgut nur mit Wertangabe hätte aufgeben dürfen und durch die Unterlassung der Wertangabe jeden Ersatzanspruch verwirkt hätte. Überdies würde die Kiste bei Angabe eines Wertes von 3500 M als Expreßgut überhaupt nicht angenommen worden sein, da zu dieser Art der Güterbeförderung Sendungen von Kunstgegenständen oder Kostbarkeiten nur bei Angabe eines Wertes von höchstens 500 M zugelassen würden.

Das Landgericht wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen. Auch die Revision hatte keinen Erfolg.

Gründe

"In rechtlicher Beziehung geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, daß die Eisenbahn nach § 456 HGB., § 84 EVO. grundsätzlich aus dem Frachtvertrage für im Schaden, der durch Verlust des Gutes in der Zeit von der Annahme der Beförderung bis zur Ablieferung entsteht, zu haften hat, daß aber im vorliegenden Falle eine Haftung des Beklagten auf Grund des Frachtvertrags gemäß § 96 EVO. ausgeschlossen sein würde, wenn das verlorene Gut zu den nur bedingungsweise zur Beförderung zugelassenen Gegenständen zu rechnen wäre und die Klägerin als Absenderin diese Gegenstände unter unrichtiger Bezeichnung aufgegeben oder die für sie vorgesehenen Sicherheitsmaßregeln unterlassen hätte. Nur bedingungsweise zur Beförderung zugelassen sind nach § 54 Abs. 2 B 1:

Gold- und Silberbarren, Platina, Geld, Münzen und Papiere mit Geldwert, Dokumente, Edelsteine, echte Perlen, besonders wertvolle Spitzen und besonders wertvolle Stickereien sowie andere Kostbarkeiten, ferner Kunstgegenstände, wie Gemälde, Bildwerke, Gegenstände aus Erzguß, Kunstaltertümer.

Für diese Gegenstände hat nach der ausdrücklichen Vorschrift der eben genannten Gesetzesstelle der Tarif die Beförderungsbedingungen zu bestimmen. Der deutsche Eisenbahn-, Personen- und Gepäcktarif vom 1. Mai 1916 läßt nach Ausführungsbestimmung 4 zu § 40 EVO. die Gegenstände zur Beförderung als Expreßgut nur unter folgenden Bedingungen zu:

a) Die Stücke müssen fest verschlossen sein.
b) Der Inhalt der Stücke und der Wert, der den Höchstbetrag für die zu zahlende Entschädigung bilden soll, sind auf der Eisenbahnpaketadresse anzugeben. Wird der Wert oder das Interesse an der Lieferung auf mehr als 500 M angegeben, so sind die Gegenstände zur Expreßgutbeförderung nicht anzunehmen."

Mit Rücksicht auf diese Tarifbestimmung gelangt das Berufungsgericht, übereinstimmend mit dem Landgerichte, zur Verneinung des Klaganspruchs. Es läßt dahingestellt, ob der in Verlust geratene Film ein Kunstgegenstand im Sinne des vorerwähnten § 54 Abs. 2 B 1 EVO. gewesen sei. da es sich bei ihm nicht um die ursprüngliche Filmaufnahme des "Meineidbauern", sondern um einen der vielen fabrikmäßig ohne künstlerische Betätigung auf mechanisch-technischem Wege hergestellten Filmabzüge gehandelt habe. Dagegen erachtet es ihn im Hinblick auf den hohen Wert von 3500 Mm, der in einem auffälligen Mißverhältnis zur Größe und zum Gewichte des Frachtstücks gestanden habe, für eine Kostbarkeit. Als solche aber wäre der Film von der Expreßbeförderung - so führt das Berufungsurteil weiter aus -- ausgeschlossen gewesen, wenn die Klägerin den Wert auf 3500 M angegeben hätte. Aus der bloßen Bezeichnung "Kinematographenfilm aus Zelluloid" auf der Kiste hätte die Bahn nicht entnehmen können, welchen hohen Wert die Sendung gehabt habe, da es auch sehr minderwertige Filme gebe. Da somit die Klägerin gegen die Vorschrift des § 96 EVO. in Verbind. mit der Tarifvorschrift zu § 40 Abs. 4 verstoßen habe, so sei die Haftung des Beklagten aus dem Frachtvertrag ausgeschlossen.

Hiergegen wendet sich die Revision, indem sie rügt, daß das Berufungsgericht den Begriff "Kostbarkeit" verkannt habe, da dieser nur solche Güter von hohem Werte umfasse, bei denen Umfang und Gewicht im Verhältnis zum Werte außergewöhnlich gering seien. Diese Rüge erscheint jedoch nicht begründet. Über den Begriff "Kostbarkeit" im Sinne des Eisenbahnfrachtrechts hat sich das Reichsgericht bereits wiederholt ausgesprochen. In seinem Urteile vom 7. März 1885 (RGZ. Bd. 13 S. 38) hat es ausgeführt, daß der Ausdruck "Kostbarkeit" schon nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche nicht nur solche Gegenstände umfasse, die aus besonders wertvollem Stoffe hergestellt seien oder einen besonders hohen Kunstwert besäßen. Wenn für den Frachtverkehr die Bestimmung getroffen sei, daß der Frachtführer für Kostbarkeiten nur bei Angabe der Beschaffenheit oder des Wertes des Gutes zu haften habe, so habe der Gesetzgeber den Frachtführer dadurch in den Stand setzen wollen, bei der Beförderung eines im Verhältnis zu seinem Umfange und Gewichte besonders wertvollen Gutes entsprechend größere Vorsichtsmaßregeln anzuwenden. Auf Grund dieser Erwägung hat das Reichsgericht angenommen, daß ein Ölgemälde, auch wenn es an sich nicht aus kostbarem Stoffe gefertigt sei, mit Rücksicht auf seinen Kunstwert als Kostbarkeit erscheinen könne. Auf den gleichen Standpunkt hat sich das Reichsgericht in seinem Urteile vom 18. Januar 1911 (RGI. Bd. 75 S. 191) gestellt, wo es sich um die Frage handelte, ob ein Zobelpelz im Sinne des internationalen Eisenbahnfrachtrechts als Kostbarkeit gelten könne. Diese Frage hat es mit der Begründung bejaht, daß es für den Begriff der Kostbarkeit entscheidend sei, ob das betreffende Stück bei Betrachtung von Umfang und Gewicht im Vergleiche mit anderen als Frachtgut aufgegebenen Waren einen das gewöhnliche Maß erheblich übersteigenden Wert habe. Hiermit steht auch die von der Revisionsbegründung angezogene Entscheidung des Reichsgerichts vom 10. Januar 1913 (Warneyer Rechtspr. 1913 Nr. 163; Jur. Wochenschr. 1913 S. 382) keineswegs im Widerspruche. Wenn hier als Kostbarkeiten "solche Güter von hohem Werte" bezeichnet worden sind, "bei denen Umfang und Gewicht im Verhältnis zum Werte außergewöhnlich gering erscheinen", so hat damit genau dasselbe gesagt sein sollen, was die früheren Entscheidungen "ein im Verhältnis zu seinem Umfang und Gewicht besonders wertvolles Gut" genannt haben. Das beweist schon der Umstand, daß im Urteile vom 10. Januar 1913 auf die beiden, älteren Entscheidungen des Reichsgerichts als Belegstellen für die gleiche Rechtsansicht ausdrücklich hingewiesen wird. Hiernach steht die Auslegung, die das Berufungsgericht dem Begriffe "Kostbarkeit" gibt, in vollem Einklange mit der bisherigen Rechtsprechung des Reichsgerichts, von der abzugehen auch der jetzt erkennende Senat keinen Anlaß findet.

Wann ein solches Mißverhältnis zwischen dem Werte des Frachtguts einerseits, seinem Umfang und Gewicht anderseits als vorhanden anzusehen ist, ist im wesentlichen Sache des tatsächlichen Ermessens (RGI. Bd. 13 S. 38). In vorliegendem Falle hat die Klägerin den Wert des in Verlust geratenen Filmes auf 3500 M, den Umfang der zur Verpackung verwendeten Kiste auf 35 x 35 x 25 cm und das Gewicht des ganzen Frachtstücks auf 15 kg angegeben, während bahnamtlich sogar nur ein Gewicht von 9 kg festgestellt worden ist. Bei Zugrundelegung der Angabe der Klägerin entfällt also auf das Kilogramm des Frachtstücks ein Wert von 233 M, nach der bahnamtlichen Feststellung sogar ein solcher von 389 M, während beispielsweise ein Kilogramm deutscher Silbermünzen nur 180 M ausmacht (Art. 3 § 1 MünzG.). Auch der Umfang des eng zusammengerollten Filmes wie des ganzen Frachtstücks war geringfügig sowohl im Verhältnis zu dem hohen Werte der Sendung als auch im Vergleiche mit denjenigen Gepäckstücken, welche für gewöhnlich bei der Eisenbahn zur Beförderung aufgeliefert werden. Wenn unter diesen Umständen das Berufungsgericht den abhanden gekommenen Film für eine Kostbarkeit im Sinne des § 54 Abs. 2 B 1 EVO. erklärt hat, so kann ein Rechtsirrtum darin nicht gefunden werden.

Zutreffend hat auch das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß der vorliegende Fall sich in tatsächlicher Hinsicht wesentlich von demjenigen unterscheidet, der dem reichsgerichtlichen Urteile vom 10. Januar 1913 zugrunde gelegen hat. Die damals nicht als Kostbarkeiten angesehenen Filme hatten einen Wert von 13000 M bei 134 kg Gewicht; es handelte sich also um ein schweres Frachtstück, bei dem nur ein Wert von 97 M auf 1 kg entfiel. Auch das von der Klägerin angezogene Urteil des Österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 23. November 1915 (Eger, Eisenbahnentscheidungen Bd. 33 S. 88) nimmt in rechtlicher Hinsicht keinen abweichenden Standpunkt ein. Nur aus tatsächlichen Erwägungen wird der dort behandelte Film nicht zu den Kostbarkeiten gerechnet, weil sein Umfang und Gewicht zu seinem Werte "in keinem allzu disproportionellen Verhältnis stünden". Dabei wird erwogen, daß der Wert des Filmes nur etwa 1 Krone auf 1 m Länge betragen, mithin sich etwa auf der gleichen Stufe mit besseren Arten von Seidenbändern gehalten habe, die als Kostbarkeiten nicht gelten könnten. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß für die Beurteilung des Umfanges eines Frachtstücks das Gut nur in derjenigen Form gewürdigt werden kann, in der es bei der Eisenbahn aufgeliefert wird. Es kommt daher, wenn das Frachtstück einen zusammengerollten Film enthält, weder auf dessen Länge in ausgebreiteter Form noch auf den Wert an, der auf 1 m Länge entfällt. Maßgeblich kann vielmehr nur das Verhältnis des Wertes zu dem Gewicht und dem Umfange des Frachtstücks sein, wie dieses zur Beförderung aufgeliefert worden ist. Hier interessierten also nur das Gewicht und der Umfang des für die Beförderung zusammengerollten Filmes, nicht dessen Länge beim Lichtspiele. Hat hiernach das Berufungsgericht den in Rede stehenden Film ohne Rechtsirrtum für eine Kostbarkeit erklärt, so ist auch seiner weiteren Ansicht beizupflichten, daß die Klägerin bei der Auflieferung des Frachtstücks nach der Tarifausführungsbestimmung 4b zu § 40 EVO. verpflichtet war, den Inhalt des Stückes und den Wert, der den Höchstbetrag für die zu zahlende Entschädigung bilden sollte, auf der Eisenbahnpaketadresse anzugeben. Dieser Verpflichtung ist die Klägerin nicht nachgekommen, da sie in die Paketadresse keine Angabe über den Inhalt und den Wert des Frachtstücks aufgenommen hat. Der Umstand, daß sie auf die Kiste Zettel mit der Aufschrift "Zelluloid" und "Inhalt: Kinematographische Films ans Zelluloid" geklebt hat, ist nicht geeignet, die für die Ausfüllung der Paketadresse vorgeschriebene Inhalts- und Wertangabe zu ersetzen. Durch die Unterlassung dieser Angabe hat die Klägerin, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, ihre vertragsmäßigen Ersatzansprüche gegen den Beklagten verwirkt, da nach § 467 HGB., § 96 EVO. die Haftpflicht der Eisenbahn auf Grund des Frachtvertrags ausgeschlossen ist, wenn Gegenstände, die nur bedingungsweise zur Beförderung zugelassen sind, unter unrichtiger und ungenauer Bezeichnung aufgegeben werden. Liegt ein solcher Mangel der Bezeichnung vor, so entfällt jeder vertragsmäßige Ersatzanspruch des Absenders auch dann, wenn der Schaden durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit der Eisenbahn (§ 457 Abs. 3 HGB., § 95 EVO.) herbeigeführt worden ist. Denn da nach § 467 HGB., § 96 EVO. jede vertragsmäßige Haftung ausgeschlossen ist, so ist es gleichgültig, ob der Eisenbahn bei Erfüllung des Frachtvertrags in einem solchen Falle ein Verschulden zur Last fällt oder nicht (ROHG. Bd. 8 S. 271, RGZ. Bd. 13 S. 38)." ...