RG, 16.11.1918 - V 211/18
Unterliegt in Ehescheidungssachen, wenn das Berufungsgericht teilweise zugunsten der einen, teilweise zugunsten der anderen Partei erkannt und nur eine Partei Revision eingelegt hat, die zur Aufhebung und Zurückverweisung führt, das ganze Berufungsurteil der Aufhebung?
Tatbestand
Beide Parteien klagten, ungefähr gleichzeitig, in getrennten Akten auf Ehescheidung. Die Klage der Frau stützte sich auf einen unbestrittenen Ehebruch des Mannes, der ihr den Einwand der Verzeihung entgegensetzte. Der Mann begründete seine Klage damit, daß ihm seine Frau durch ihr Verhalten, das die Ehe schon vor dem am 11. März 1914 begangenen Ehebruch zerrüttet habe, die Fortsetzung der Ehe unmöglich gemacht habe.
Das Landgericht, das beide Rechtsstreitigkeiten verbunden hatte, wies die Klage des Mannes ab und schied auf die Klage der Frau die Ehe, den Mann für den allein schuldigen Teil erklärend. Hiergegen legte der Mann Berufung ein und behauptete jetzt auch noch einen Ehebruch der Frau. Er beantragte, die Klage der Frau abzuweisen, dagegen auf seine Klage die Ehe zu scheiden und die Frau für den allein schuldigen Teil zu erklären. Das Berufungsgericht gab der Berufung insofern statt, daß es die Klage der Frau abwies; aber es beließ es bei der Abweisung der Klage des Mannes. Mit der Revision begehrt dieser, daß die Ehe auf seine Klage unter Alleinschuldigerklärung der Frau geschieden werde, während die Frau nur beantragt, die Revision zurückzuweisen. Das Berufungsurteil wurde wegen prozessualer Mängel aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gründe
... "Wegen dieser prozessualen Mängel mußte das angefochtene Urteil aufgehoben werden, und zwar ohne die vom Revisionskläger beantragte Beschränkung auf den ihm zum Nachteile gereichenden Teil der Entscheidung, nämlich die Abweisung seiner Klage. Der vom Reichsgerichte von jeher festgehaltene Grundsatz der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung in Ehesachen führt dazu, daß durch die Einlegung eines Rechtsmittels von seiten auch nur einer Partei die Rechtskraft des Urteils im ganzen Umfange gehemmt wird (vgl. RGZ. Bd. 58 S.313, Bd. 64 S. 317). Das hat zur Folge, daß, wenn auch nur von einer Partei Revision eingelegt und die Aufhebung des Urteils, soweit es ihr zum Nachteile gereicht, beantragt ist, dennoch, falls die Revision begründet erscheint und eine Aufhebung und Zurückverweisung erforderlich wird, das ganze Berufungsurteil aufgehoben werden muß, damit in der neuen Berufungsinstanz eine einheitliche und gleichzeitige Entscheidung über den ganzen Prozeßstoff erfolgen kann (vgl. RGZ. Bd. 58 S. 307; RG. IV. 530/04, Urteil vom 5. Dezember 1904, IV. 433/15, Urteil vom 29. Mai 1916; Warneyer 1916 Nr. 259).
Einem solchen Verfahren steht die in den §§ 530 und 559 ZPO. enthaltene Beschränkung der Prüfung und Entscheidung auf die gestellten Anträge (Verhandlungsmaxime) nicht entgegen. Zwar finden diese Vorschriften auch in Ehescheidungssachen Anwendung, aber ihre Bedeutung geht nur dahin, daß bei der Entscheidung über die Sache selbst einer Partei nicht etwas zugesprochen werden darf, was sie nach den von ihr bis zum Schlusse der mündlichen Verhandlung, auf die das Endurteil ergeht, gestellten Anträgen nicht beansprucht hat (vgl. RGZ. Bd. 64 S. 317, V. 385/15, Urteil vom 29. Januar 1916 -- Jur. Wochenschr. 1916 S. 751 Nr. 17 --, angef. Urteil IV. 433/15). Dagegen beziehen sich diese Vorschriften, wie das Reichsgericht auch bereits ausgesprochen hat (RGZ. Bd. 58 S. 256), nicht auf Fragen des Verfahrens, die dem Belieben der Parteien entzogen sind, und es bildet deshalb der engere Antrag des Revisionsklägers kein Hindernis für die Aufhebung des ganzen Urteils zum Zwecke der durch die Vorschriften über das Verfahren in Ehesachen gebotenen einheitlichen Entscheidung."