RG, 16.11.1920 - VII 179/20

Daten
Fall: 
Versicherungsschutzes vor Abschluß des Vertrages
Fundstellen: 
RGZ 100, 222
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.11.1920
Aktenzeichen: 
VII 179/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht I Berlin
  • Kammergericht Berlin

Rechtswirksamkeit einer auf Beginn des Versicherungsschutzes vor Abschluß des Vertrages gerichteten Abrede, insbesondere gegenüber § 2 VersVG.

Tatbestand

Die Klägerin, die am 3. März 1919 bei der Berliner Generalagentur der Beklagten die Versicherung ihres Geschäftsinventars nebst Waren gegen Einbruchsdiebstahl, und zwar vom 5. März 1919 mittags 12 Uhr ab, beantragt und am 24. März 1919 den ihr an diesem Tage vorgelegten Versicherungsschein vom 20, März 1919 durch Zahlung der Prämie und der Nebenkosten eingelöst hat, verlangt Entschädigung wegen eines in der Nacht zum 24. März 1919 verübten Einbruchsdiebstahls. Die Beklagte hat ihre Ersatzpflicht nach Grund und Betrag bestritten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da zur Zeit des Diebstahls ein Versicherungsvertrag noch nicht zustande gekommen gewesen sei. Das Berufungsgericht hat abändernd den Klaganspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Sache zur weiteren Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen. Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen.

Gründe

Der Berufungsrichter hat dahin gestellt gelassen, ob der Versicherungsvertrag, auf Grund dessen die Klägerin den Entschädigungsanspruch erhoben hat, durch die von ihr behauptete Mitteilung der Berliner Generalagentur der Beklagten von der erfolgten Annahme ihres Versicherungsantrags bereits vor dem Einbruchsdiebstahle zustande gekommen war; er unterstellt, daß der Abschluß des Vertrags erst durch die gegen Zahlung der Prämie am Vormittag des 24. März 1919 erfolgte Aushändigung des Versicherungsscheines vom 20. desselben Monats erfolgt ist. Der Berufungsrichter hat aber dennoch den Klaganspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet, indem er als dem beiderseitigen Parteiwillen entsprechenden Inhalt des Versicherungsvertrags feststellt,

  1. daß der Versicherungsschutz unabhängig davon, wann der Vertrag durch Annahme des Antrags zum Abschluß gelangen sollte, vom 5. März 1919 mittags 12 Uhr ab auf 5 Jahre gewährt werden sollte, und
  2. daß die Beklagte falls, wie beiderseitig angenommen wurde, der Vertrag erst nach dem genannten Zeitpunkt abgeschlossen werden sollte, für den Fall eines nach dem 2. März, aber vor dem Vertragsschluß etwa erfolgenden Eintritts eines Versicherungsfalls sich auf ein Freiwerden von ihrer Verpflichtung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 VersVG. nicht sollte berufen können.

Diese tatsächliche Feststellung des Vertragsinhalts trägt die von der Revision angefochtene Entscheidung, denn die Feststellung ist ausreichend mit Erwägungen begründet, die weder einen Rechtsverstoß erkennen noch die erforderliche Schlüssigkeit vermissen lassen, und sie ist deshalb für den Revisionsrichter bindend.

Daß die Beklagte zur Annahme des Antrags nicht verpflichtet war, schließt keineswegs, wie die Revision meint, aus, daß sie für den Fall, wenn sie sich zur Annahme entschloß, den Versicherungsschutz dem gestellten Antrag entsprechend schon vom 5. März 1919 ab zu gewähren gewillt war, vorausgesetzt nur, daß die Klägerin bei Vorlage des Versicherungsscheines die Prämie zahlte und auch sonst nicht gegen ihre Pflichten, insbesondere gegen die ihr obliegende Anzeigepflicht verstieß. Der Berufungsrichter hat durchaus nicht verkannt, daß auch bei der Diebstahl-, Feuer- und Hagelversicherung Fälle möglich sind, in denen dem Versicherungsnehmer bis zum Vertragsschluß ein inzwischen eingetretener Versicherungsfall ohne sein Verschulden unbekannt bleibt; er spricht nur davon, daß "in normalen Verhältnissen", wie sie hier vorliegen, der Versicherungsnehmer es wissen wird, ob ein Versicherungsfall bereits eingetreten ist. Ob vielfach andere Gründe einen Versicherungsnehmer bestimmen, eine Vordatierung der Versicherung zu wählen, ist für den vorliegenden Fall unerheblich.

Die Revision bemängelt zu Unrecht, daß der Berufungsrichter angenommen hat, die Klägerin habe unmittelbar nach Entdeckung des Diebstahls der Berliner Generalagentur der Beklagten durch den Fernsprecher Kenntnis von dem Diebstahle gegeben.

Ist aber die Feststellung des Berufungsrichters, daß der in der Nacht zum 24. März 1919 erfolgte Diebstahl unmittelbar nach seiner Entdeckung von der Klägerin der Beklagten angezeigt und somit ihrer Anzeigepflicht genügt worden ist, nicht zu beanstanden, so bedurfte es keiner weiteren Ausführungen, daß der Beklagten wegen der von ihr behaupteten Unterlassung rechtzeitiger Anzeige ein Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung oder doch ein Rücktrittsrecht nicht gegeben ist.

Auch die von der Revision noch erbetene Nachprüfung der Ausführungen des Berufungsrichters über die rechtliche Bedeutung der Tatsache, daß die erste Prämie erst nach dem Eintritt des Versicherungsfalls bezahlt wurden ist, gibt mit Rücksicht auf den festgestellten Vertragsinhalt zu einem Bedenken keinen Anlaß.

Schließlich besteht in einem Falle, wie er vorliegend nach den Feststellungen des Berufungsrichters gegeben ist, auch kein Grund, dem im berechtigten Interesse der Klägerin vereinbarten Ausschluß der gegen unredliches Geschäftsgebaren gerichteten Vorschrift des § 2 Abs. 2 S. 2 VersVG. die Rechtswirksamkeit zu versagen.