RG, 16.11.1920 - VII 53/20

Daten
Fall: 
Anrechnung einer übernommenen Rente
Fundstellen: 
RGZ 100, 224
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.11.1920
Aktenzeichen: 
VII 53/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht I Berlin
  • Kammergericht

Zur Frage der Anrechnung einer übernommenen Rente auf den Höchstbetrag einer Haftpflichtversicherung.

Tatbestand

Auf Grund eines Versicherungsvertrags begehrt die Klägerin Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihr diejenigen Rentenbeträge bis zur Höhe von 34327,65 M zu erstatten, die sie der Witwe und den zwei minderjährigen Töchtern des Stadtreisenden M. zu zahlen hat, der am 24. September 1916 infolge eines auf der städtischen Straßenbahn erlittenen Unfalls gestorben ist. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt, da sie ihre nach § 2 des Vertrags auf 40000 M beschränkte Leistungspflicht im Einverständnis mit der Klägerin durch Übernahme einmaliger Leistungen an M. in Höhe von 4268,87 M und Übernahme der dem M. durch Urteil des Kammergerichts vom 22. Mai 1914 zuerkannten, gemäß § 10 Satz 1 der allg. Versicherungsbedingungen ihrem Kapitalwert nach auf 35731,35 M berechneten Rente bereits erfüllt habe.

Während das Landgericht nach dem Klagantrag erkannte, stellte das Berufungsgericht fest, daß die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin diejenigen Rentenbeträge zu erstatten, die sie den Hinterbliebenen des M. auf Grund seines Unfalls vom 7. September 1910 im Rahmen des § 3 Abs. 2 HaftpflG. zu zahlen habe, jedoch nur insoweit, als diese Beträge die nach dem Urteile des Kammergerichts vom 22. Mai 1914 zu zahlenden Rentenbeträge nicht überstiegen. Die Revision führte zur Abweisung der Klage aus folgenden Gründen:

Gründe

Der Revision ist darin beizutreten, daß der Berufungsrichter sowohl die rechtliche Bedeutung der in dem vorgetragenen Schriftwechsel der Parteien enthaltenen Einigung wie auch die Bedeutung der Anrechnung einer zu erstattenden Rente zu ihrem Kapitalwert auf den Höchstbetrag der Haftung, die der § 10 der allg. Versicherungsbedingungen anordnet, verkannt hat. Zunächst geht aus dem Schriftwechsel der Parteien hervor, daß die Klägerin sich mit der von der Beklagten vorgenommenen Berechnung des Kapitalwertes der durch das Urteil des Kammergerichts vom 22. Mai 1914 dem Verletzten zugesprochenen Rente auf 35731,35 M einverstanden erklärt hat und daß beide Parteien schließlich dahin einig geworden sind, daß der vereinbarten Beschränkung der Haftung der Beklagten auf 40000 M dadurch Rechnung getragen werden sollte, daß die Beklagte, die bereits Kur- und Heilkosten im Betrage von 5672,55 M bezahlt hatte, von der Klägerin 1403,68 M zurückerhielt und ihrerseits dagegen die dem Verletzten nach dem genannten Urteile zu zahlende Rente im vollen Umfange übernahm. Durch dieses Übereinkommen wurde, wie die Revision zutreffend ausführt, die Verpflichtung der Beklagten aus der Versicherung auf die Verpflichtung, neben dem ihr zugewiesenen Anteil an den Kurkosten die dem Verletzten zugesprochene Rente zu zahlen, vertragsmäßig eingeschränkt. In der mit dem Schreiben vom 6. Februar 1915 seitens der Klägerin erklärten Annahme des Vorschlags der Beklagten, zur Erfüllung ihrer infolge des M.'schen Unfalls entstandenen Entschädigungspflicht neben den 4268,67 M Kurkostenanteil die zu 35731,35 M kapitalisierte Rente in vollem Umfange zu übernehmen, ist eine bindende Einigung der Parteien dahin zu finden, daß die Beklagte aus dem Versicherungsvertrage wegen des Unfalls zu irgendwelchen weiteren Leistungen nicht verpflichtet sein sollte. Mit Recht weist die Beklagte darauf hin, daß die Klägerin auch durch die nach ursprünglichem Bestreiten ihrerseits erfolgte Übernahme der dem M. weiter durch das Urteil des Kammergerichts vom 6. Dezember 1916 zuerkannten monatlichen Rente von 50 M und durch die Erstattung der von der Beklagten an M. nachträglich nachgezahlten 91,20 M Kurkosten wiederholt anerkannt hat, von der Beklagten auf Grund der Versicherung weitere Leistungen als die von ihr bereits übernommenen nicht beanspruchen zu können.

Wenn der Berufungsrichter der in dem Schriftwechsel der Parteien niedergelegten Willenseinigung um deswillen die Bedeutung einer vertragsmäßigen Beschränkung der Haftung der Beklagten abspricht, weil die Parteien an die Möglichkeit der Angehörigenrente nicht gedacht hätten und deshalb die Klägerin nicht auf Ersatz dieser Rente habe verzichten können, so gehen diese Ausführungen fehl. Eines Verzichtes bedurfte es nicht, da infolge des Übereinkommens, daß die Beklagte zur völligen Erfüllung der ihr aus der Höchstbetragversicherung auf Grund des Unfalls erwachsenen Verpflichtungen neben dem Kurkostenanteile nur noch die dem Verletzten nach dem Urteile vom 22. Mai 1914 zu zahlende Rente zu übernehmen habe, ohne weiteres jedem Anspruch auf Erstattung etwa weiter von der Klägerin auf Grund des Unfalls zu zahlender Entschädigungen der Boden entzogen war. Durch die vereinbarungsgemäß von der Beklagten übernommene Leistung war der der Klägerin nur beschränkt zugesicherte Versicherungsschutz völlig erschöpft.

Der Berufungsrichter zieht aus der Unmöglichkeit, im voraus eine geforderte Kapitalisierung der Angehörigenrente vorzunehmen, den Schluß, daß die Kapitalisierung der Verletztenrente zugleich notwendig die möglicherweise zu zahlende Angehörigenrente mit enthalte, und daß deshalb die Beklagte auch die Angehörigenrente, soweit sie "im Rahmen der ursprünglichen Verletztenrente bleibt", zu tragen habe. Allein diese Schlußfolgerung kann nicht als berechtigt anerkannt werden und wird insbesondere auch nicht von dem Sinne und Zwecke der Versicherung gefordert, wie der Berufungsrichter annimmt. Zwar umfaßt die Haftung der Versicherungsgesellschaft unbestritten neben den Kur- und Heilkosten sowohl die Verletzten- wie die Angehörigenrente. In welchem Verhältnis aber im Falle einer Haftungsbeschränkung die ersteren Kosten und die Renten in Ansatz zu bringen sind bei Beantwortung der Frage, wann die Leistungen der Versicherungsgesellschaft die Höchstgrenze erreichen, darüber enthält der Versicherungsvertrag keine Bestimmung, Vorliegend haben sich die Parteien dahin verständigt, daß die Beklagte an erster Stelle die Verletztenrente zu ihrem kapitalisierten Werte im vollen Umfang übernehmen und daneben zur Erschöpfung des Höchstbetrags einen bestimmten Teil der bisherigen Heilkosten zahlen sollte. Damit ist, gleichviel ob die Parteien an die Möglichkeit einer Angehörigenrente gedacht haben oder nicht, die Haftung der Beklagten nach dem übereinstimmenden Willen beider Teile erschöpft. Mit der Anrechnung einer Rente zu ihrem Kapitalwerte, wie sie in § 10 der allg. Versicherungsbedingungen in Übereinstimmung mit § 155 VersVG. vorgeschrieben ist, wird aus versicherungstechnischen Gründen der Zweck verfolgt, die Haftung der Versicherungsgesellschaft im Falle der Beschränkung auf einen Höchstbetrag gleich bei Eintritt des Haftungsfalles zu einem bestimmten Betrag festlegen zu können und nicht erst durch Zusammenrechnung der einzelnen Zahlungen feststellen zu müssen, ob und wann die Höchstgrenze erreicht und damit die Ersatzpflicht der Versicherungsgesellschaft erschöpft ist. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, daß bei der Auffassung des Berufungsrichters eine Zusammenrechnung nicht nur der einzelnen an den Verletzten bereits geleisteten Rentenzahlungen, sondern auch der etwa noch an die Angehörigen zu zahlenden Renten stattfinden müßte, um festzustellen, mit welcher Zahlung die vertragsmäßige Haftung der Beklagten erschöpft sein würde. Auch der Umstand, daß eine Kapitalisierung der Angehörigenrente zugleich mit der Verletztenrente gar nicht möglich ist, wie der Berufungsrichter zutreffend ausführt, in § 10 der Versicherungsbedingungen aber ganz allgemein die Kapitalisierung zu zahlender Renten vorgeschrieben ist, spricht gegen die Auffassung des Berufungsrichters. Nur wenn im Falle, daß der Tod des Verletzten auf den Unfall zurückzuführen ist, der Anspruch des Verletzten auf die Angehörigen übergehen würde, könnte davon die Rede sein, daß die Angehörigenrente im Rahmen der dem Verletzten zuerkannten Rente von der Beklagten zu tragen sei. Wie aber der Berufungsrichter nicht verkennt, findet ein solcher Übergang nicht statt, vielmehr ist der den Angehörigen etwa aus dem Unfall entstehende Anspruch ein in ihrer eigenen Person begründeter, selbständiger Anspruch. Ist nach alledem davon auszugehen, daß zur Zeit der Entstehung der von den Angehörigen geltend gemachten Rentenansprüche die auf einen Höchstbetrag beschränkte Haftung der Beklagten bereits im vollen Umfang erschöpft war, so erweist sich das Verlangen der Klägerin auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Ersatzleistung auch bezüglich der Angehörigenrente als unbegründet.