RG, 13.11.1917 - II 167/17

Daten
Fall: 
Verpflichtung eines Verkäufers zur Ersatzherausgabe
Fundstellen: 
RGZ 91, 260
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
13.11.1917
Aktenzeichen: 
II 167/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Hamburg

Ist der Verkäufer zur Ersatzherausgabe verpflichtet, wenn er durch die Obrigkeit gezwungen wurde, die geschuldete Sache anderweit zu verkaufen, und so einen höheren Preis erlangt hat?

Tatbestand

Durch Vertrag vom 12. Januar 1912 verkaufte die Beklagte der Klägerin für die Jahre 1913 bis 1915 die gesamte Tranausbeute ihres Kochereidampfers Hvalen, wie solche aus Süd Shetland kommen würde. Die Lieferung sollte in einem Weserhafen erfolgen. Die Ausbeute der ersten beiden Jahre wurde geliefert, die dritte etwa 3000 Tonnen starke Ladung des Krieges wegen nicht. Der Dampfer Hvalen betrieb den Walfischfang bei Süd Shetland in einem Seegebiet, über das England die Oberhoheit in Anspruch nimmt. Die Walfischfänger werden von England konzessioniert; nach Beendigung des Fanges haben sie nach den Falklandsinseln zu gehen. Dort findet eine Zollabfertigung statt und die Dampfer müssen nach dem Lande ihrer Bestimmung ausklarieren. Am 27. Januar 1915 hat der Gouverneur der Falklandsinseln eine Verordnung erlassen, wonach jeder Walfischfänger sich durch Schein verpflichten muß, den erbeuteten Tran im Vereinigten Königreich abzuliefern. Jede Zuwiderhandlung ist mit Verwirkung der gestellten Sicherheit und Entziehung der Fischereikonzession bedroht. Dem Gouverneur ist die Freiheit gelassen, in Einzelfällen die Ausfuhr von Tran nach andern Ländern zu erlauben. Nachdem die Beklagte mit englischen Behörden vergeblich über die Freigabe des Trans verhandelt hatte, brachte sie die Ladung auf Befehl der englischen Regierung nach Liverpool. Dort veräußerte sie sie an einen englischen Kaufmann zu einem höheren Preise, als zwischen den Parteien vereinbart war. Die Klägerin, die den Mehrerlös auf 231.502,45 M angibt, fordert mit der Klage Zahlung dieser Summe, indem sie sich sowohl auf den Gesichtspunkt des Schadensersatzes wie auf die Pflicht zur Ersatzherausgabe stützt.

Der erste Richter und ebenso das Oberlandesgericht wiesen die Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Gründe

"Die Vorinstanzen haben mit Recht ausgesprochen, daß die Lieferung der streitigen Ladung Tran für die Beklagte infolge von Umständen, die sie nicht zu vertreten hatte, unmöglich geworben und die Klage, soweit sie Schadensersatz fordert, hinfällig ist. Einer besonderen Begründung bedarf das nicht, weil der Anspruch entgegen der Ansicht der Vorinstanzen als Surrogationsanspruch aus § 281 BGB. für gerechtfertigt erachtet werden muß.

Wie vorweg bemerkt werden mag, steht das Urteil des erkennenden Senats RGZ. Bd. 88 S. 287 dem nicht entgegen. Es verneint nur die Anwendbarkeit des § 281 auf Gattungskäufe, während im Streitfalle das Schuldverhältnis auf diejenige Tranladung, die der Dampfer Hvalen eingenommen hatte, also auf eine bestimmte Sache, beschränkt war.

Der § 231 bestimmt:
"Erlangt der Schuldner infolge des Umstandes, welcher die Leistung unmöglich macht, für den geschuldeten Gegenstand einen Ersatz ..., so kann der Gläubiger Herausgabe des als Ersatz Empfangenen ... verlangen."

Die Lieferung der streitigen Ladung war für die Beklagte durch die Verordnung des Gouverneurs der Falklandsinseln unmöglich geworden. Die Verordnung verpflichtet alle Walfischfänger, ihre Ladungen im Vereinigten Königreich abzuliefern. Hätte die Beklagte trotzdem versucht, die Ladung entweder unmittelbar an die Weser zu bringen oder sie auf irgendeinem anderen Wege der Klägerin oder dem von ihr vorgeschlagenen holländischen Hause zuzuführen, so hätte sie sich den in der Verordnung angedrohten Strafen, nämlich dem Verfall ihrer Sicherheit und dem Verlust ihrer Fischereikonzession ausgesetzt. Solche Gefahren im Interesse der Klägerin auf sich zu nehmen, war sie nicht verpflichtet. Daß der Gouverneur laut Nr. 3 der Verordnung Ausnahmen zulassen kann, macht keinen Unterschied, weil nach Lage des Falles eine solche besondere Erlaubnis für die Beklagte nicht erreichbar war. Die somit durch die Verordnung geschaffene Notwendigkeit, die Ware nach Großbritannien zu bringen, enthielt aber zugleich die Notwendigkeit in sich, sie dem dortigen Bedarfe zuzuführen. Die Ware bis zum Ende des Krieges lagern zu lassen, war weder der Beklagten zuzumuten, noch wäre es möglich gewesen, weil die Engländer sie ohne Zweifel für ihren Bedarf in Anspruch genommen haben würden. Der durch die englische Kriegsmaßregel geübte Zwang bestand also darin, daß die Beklagte die Ware nach England bringen und dort veräußern mußte. Beides wurde durch die Verordnung des Gouverneurs und die englische Seemacht, die deren Befolgung sicherte, erzwungen. Die Heranziehung der Ware für den englischen Bedarf war gerade der Endzweck der Maßregel, welche die Verschiffung nicht nur nach feindlichen, sondern auch nach neutralen Ländern abschnitt.

Die Lieferung der streitigen Ladung ist also für die Beklagte durch die erzwungene Verschiffung nach Großbritannien und die dort mit Notwendigkeit erfolgte Veräußerung unmöglich geworden. Beide Vorgänge sind nicht voneinander zu trennen; sie sind ein einheitliches, durch die englische Kriegsmaßregel herbeigeführtes Ereignis. Dieses Ereignis hat ihr die vertragliche Leistung unmöglich gemacht und hat ihr zugleich auch den Kaufpreis als Ersatz des geschuldeten Gegenstandes zugeführt, den sie nicht durch freiwilliges Handeln, sondern nur unter dem Zwange der Umstände aus Händen gegeben hat.

Die Sache ist nicht anders zu beurteilen als der im Inlande gelegentlich vorgekommene Fall, daß eine verkaufte Sache zunächst von der Militärbehörde beschlagnahmt wird und später vom Verkäufer gegen einen gewinnbringenden Preis an die Behörde selbst oder an einen Heereslieferanten, den sie bezeichnet, abgegeben werden muß. In solchem Falle steht dem Käufer der Surrogationsanspruch aus § 281 zu, weil die Beschlagnahme und die ihr folgende notwendige Veräußerung nur zusammenhängende Folgen einer einheitlichen Kriegsmaßregel sind, die dem Verkäufer die Lieferung unmöglich macht und ihm den Ersatz in Gestalt des Kaufpreises zuführt, ohne daß er dabei anders als gezwungen handelt. Ebenso liegt der Streitfall. Auch hier hat die nämliche Ursache, die die Lieferung für die Beklagte unmöglich machte, in ihrer weiteren Wirkung der Beklagten den Ersatz zugeführt. Dem steht der Umstand, daß die Beklagte den Ersatz als Kaufpreis auf Grund eines von ihr abgeschlossenen Vertrags erlangt hat, nicht entgegen.

Die Sache liegt wesentlich anders als in solchen Fällen, in denen der Schuldner einer Spezies freiwillig in Mißachtung seiner Verbindlichkeit die geschuldete Sache anderweit besonders günstig verwertet hat. Dann ist er offenbar schadensersatzpflichtig. Das schließt freilich an sich den Anspruch aus § 281 nicht aus. Aber es handelt sich dann um einen Vorteil, den sich der Schuldner durch eigenes Handeln - durch Aufsuchen oder Ergreifen der günstigen Gelegenheit - selbst verschafft hat. Diesen Vorteil (nach der Ausdrucksweise des gemeinen Rechtes das commodum ex negotiatione) braucht er nicht herauszugeben; er hat vielmehr dem Gläubiger nur das Erfüllungsinteresse zu ersetzen.

Im vorliegenden Falle dagegen hat die Beklagte unter dem Zwange der englischen Kriegsmaßregeln die Ware nach England bringen und dort veräußern müssen. Die nämlichen Ereignisse, die ihr die Lieferung an die Klägerin unmöglich machten, haben ihr auch den Kaufpreis zugeführt, der nicht durch ihre kaufmännische Tätigkeit erhöht war, sondern den der damaligen Marktlage entsprechenden Gegenwert der Ware darstellt,

Diesen Gegenwert hat sie auf Grund der Vorschrift des § 281 der Klägerin herauszugeben, so daß der Klaganspruch dem Grunde nach berechtigt ist."