RG, 27.10.1917 - I 154/17
Tragweite bei Vereinbarung, daß der Rückversicherer die Schadensregelung des Rückversicherten bedingungslos anzuerkennen hat.
Tatbestand
Bei der Beklagten waren 300 Ballen Baumwolle auf dem von Galveston nach Gothenburg bestimmten neutralen Dampfer Canadia einerseits gegen Seegefahr, frei von Kriegsmolest, anderseits gegen direkte Kriegsgefahr versichert. Die Beklagte war bei der Klägerin zu 50 %, rückversichert, § 6 des Rückversicherungsvertrags bestimmte:
"Die Dresdener (Klägerin) muß die von der Allianz (Beklagten) vorgenommenen Schadensregulierungen bedingungslos anerkennen und die ihr zur Last fallenden Schadenanteile innerhalb drei Tagen remittieren."
Der Dampfer Canadia wurde bei den Shetlandsinseln von einem britischen Kreuzer angehalten und unter britischer Prisenbesatzung zur Untersuchung nach Kirkwall geschickt. Unter Führung eines britischen Offiziers lief er am 12. März 1915 bei Nacht in dem durch Löschung der Leuchtfeuer besonders gefährdeten Fahrwasser zwischen Fair Island und den Shetlandsinseln auf Felsen und strandete, wobei die Ladung verloren ging. Die Beklagte hat die Versicherten schadlos gehalten und der Klägerin die Hälfte belastet. Die Klägerin hat den Betrag am 27. November 1915 überwiesen, verlangt aber nunmehr Rückzahlung, weil, wie sich nachttäglich herausgestellt habe, der Schaden durch die Hauptpolice nicht gedeckt sei, sie somit auch nicht schuldig gewesen sei, der Beklagten 50 % zu vergüten. Die Haftung aus der Versicherung gegen Seegefahr sei wegen Kriegsmolest ausgeschlossen gewesen; ein Schaden, der unmittelbar auf Kriegsgefahr beruhe, liege ebenfalls nicht vor. Die Beklagte beantragt Klagabweisung. Sie ist der Ansicht, daß sie den Schaden mit Recht ersetzt habe, da ein Kriegsunfall vorliege. Jedenfalls sei aber die Klägerin nach § 6 des Rückversicherungsvertrags verpflichtet, ihre Schadensregelung anzuerkennen.
Landgericht und Oberlandesgericht wiesen die Klage ab. Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Es handelt sich um denselben Schiffahrtsunfall, der Gegenstand der Entscheidung des Reichsgerichts vom 29. November 1916 (RGZ. Bd. 89 S. 142) war. Dennoch liegen die Verhältnisse hier nicht unwesentlich anders, weil die Policenbedingungen in beiden Fällen verschieden lauten. Dort unterstand die Versicherung den Allg. Seeversicherungsbedingungen von 1867 und der Hamburger Kriegsklausel, die mit den Worten beginnt: "Die Police deckt die durch die Klausel "nur für Seegefahr" ausgeschlossenen Gefahren". Es war also zu entscheiden, ob der Unfall durch eine Versicherung "nur für Seegefahr" gedeckt gewesen wäre, was bejaht wurde. Hier ist dagegen im Anschluß an eine Versicherung gegen Seegefahr, aber frei von Kriegsmolest, eine nachträgliche Versicherung bei derselben Gesellschaft gegen "direkte Kriegsgefahr" genommen worden, so daß die Haftung des Versicherers davon abhing, ob der Unfall durch eine direkte Kriegsgefahr verursacht ist. In dem früheren Falle hatte das Reichsgericht anerkannt, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Kriegsgefahr und Unfall bestehe, dies aber gemäß der vorliegenden Versicherung nicht für ausschlaggebend erachtet, weil die Kriegsgefahr nicht die unmittelbare Ursache des Unfalls gewesen sei, der sich trotz der starken Beeinflussung durch den Krieg immerhin noch als ein typischer Seeunfall - Strandung infolge eines Schiffahrtsirrtums - darstelle. Im gegenwärtigen Falle würde, abgesehen von dem Worte "direkte" der Nachweis jenes Kausalzusammenhanges genügen, um die Haftung des Versicherers zu begründen, und es käme darauf an, ob durch die Beschränkung auf "direkte Kriegsgefahr", die Haftung für den Fall ausgeschlossen ist, daß neben erheblichen Kriegsfaktoren schließlich ein Schiffahrtsirrtum ursächlich für die Strandung war. Diese ganz andere und höchst zweifelhafte Frage, die wohl keinenfalls gegen die Beklagte entschieden werden könnte, ohne daß auf den von ihr angetretenen Beweis über die Vorbesprechung mit dem Versicherten eingegangen würde, konnte nach Lage der Sache unentschieden bleiben, weil sich die Abweisung der Klage aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen rechtfertigt.
Unbedenklich und auch von der Revision nicht angefochten ist die Auslegung des § 6 des Rückversicherungsvertrags. Es handelt sich um eine Vereinbarung von wesentlich gleichem Inhalte wie bei den bei Voigt, Seeversicherungsrecht S. 290, Ehrenberg, Rückversicherung S. 109 angeführten Klauseln, von denen die eine in ROHG. Bd. 24 S. 393 ausführlich erörtert ist. Angesichts dieser Vereinbarung muß die Klägerin die Schadensregelung der Beklagten anerkennen, es sei denn, daß sie ihr Arglist oder grobe Fahrlässigkeit zur Last legen kann. In den Instanzen war denn auch von der Klägerin grobe Fahrlässigkeit der Beklagten behauptet worden, indessen hat das Berufungsgericht diese Behauptung aus zutreffenden Gründen zurückgewiesen. Nach Lage der Sache konnte die Beklagte ohne Verschulden und vollends ohne grobes Verschulden die Überzeugung gewinnen, daß ihre Haftung begründet sei. In diesem Falle aber hatte die Rückversicherungsklausel insbesondere gerade die Tragweite, daß sie von der Verpflichtung entbunden war, die Entscheidung den Gerichten zu überlassen, wenn noch etwaige Zweifel übrig blieben, und sie durfte sich dabei auch von der Erwägung leiten lassen, daß der Versicherte es mutmaßlich auf eine lückenlose Versicherung gegen See- wie gegen Kriegsgefahr abgesehen hatte (vgl. Ehrenberg, a. a. O. S. 115). Die Revision ist nun freilich der Meinung, daß es auf die Frage einer Arglist oder groben Fahrlässigkeit bei der Schadensregelung nicht ankomme, weil die Beklagte nach dem Schreiben vom 7. Dezember 1915 bereit gewesen sei, den Schaden auch ohne Verpflichtung zu bezahlen, und weil sie eine solche Freigebigkeit nur auf ihre Kosten, nicht auf Kosten der Klägerin üben dürfe. Letzteres mag richtig und es mag zuzugeben sein, daß die Klage begründet wäre, wenn die Beklagte im Bewußtsein der Nichtverpflichtung gezahlt hätte (vgl. Ehrenberg, das künftige Rückversicherungsrecht S. 38, in den Veröffentl. des V. f. Vers.-Wissensch., Heft v. 15. Dezember 1908). Das Berufungsgericht hat aber bereits ohne Rechtsirrtum oder prozessualen Verstoß die Auslegung des erwähnten Schreibens dahin, daß die Beklagte erkläre, in solchem Bewußtsein gezahlt zu haben, zurückgewiesen und dargelegt, daß dem Schreiben nicht einmal die hypothetische Erklärung zu entnehmen sei, sie würde unter Umständen auch ohne rechtliche Verpflichtung gezahlt haben."