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RG, 27.10.1917 - V 191/17

Daten
Fall: 
Gewährung eines Geldbetrags
Fundstellen: 
RGZ 91, 104
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
27.10.1917
Aktenzeichen: 
V 191/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Verden
  • OLG Celle

Kann der entschädigungsberechtigte Eigentümer eines Grundstücks, das vorerst nur durch die Gefahr künftiger Beschädigung bedroht ist, anstatt Herstellung des früheren Zustandes ohne weiteres Gewährung des dazu erforderlichen Geldbetrags beanspruchen?

Tatbestand

Die dem Kläger gehörige Hofstelle N., die unweit O. am linken Ufer der Weser liegt, ist in das Eindeichungsgebiet bei O. nicht eingeschlossen, hat aber bei den bisher beobachteten Hochwassern der Weser hochwasserfrei gelegen. Nachdem der Bezirksausschuß die Genehmigung zur Verlegung und Normalisierung des Winterdeichs bei O. erteilt hatte und die hiergegen vom Kläger erhobene Beschwerde durch ministeriellen Bescheid verworfen war, hat der verklagte Deichverband den Deich bei O. weiter vom Flusse zurückverlegt und ihn erhöht. Der Kläger behauptet, infolgedessen sei sein Gehöft nun der Hochwassergefahr ausgesetzt. Bisher habe das Gehöft dieselbe Höhenlage wie der bei O. befindliche Winterdeich gehabt; das Wasser sei über den Deich, der als Überfalldeich gewirkt habe, abgeflossen, wodurch ein weiteres Steigen im Außendeichgebiete bis zur Überschwemmung des Gehöfts verhindert worden sei. Infolge der Erhöhung des Deiches könne jetzt das Wasser im Außendeichgebiete so hoch steigen, daß das Gehöft unter Wasser gesetzt werde. Zur Anwendung dieser angeblichen Überschwemmungsgefahr erachtet der Kläger die Errichtung eines Schutzdeichs um sein Gehöft für erforderlich. Da der von ihm zu der Zeit, als die Änderung des Deiches in die Wege geleitet wurde, bei den Deichpolizeibehörden gestellte Antrag auf Errichtung des Schutzdeichs abgelehnt worden ist, will er nunmehr selbst den Schutzdeich errichten. Zum Ersatze der ihm dadurch entstehenden Unkosten hält er den Beklagten für verpflichtet. Er hat beantragt, festzustellen, daß der Beklagte ihm als Schaden denjenigen Betrag zu zahlen habe, der ihm an Unkosten durch die Eindeichung seines Gehöfts bis zur Höhe des neuen Deiches entstehe.

Während der erste Richter der Klage stattgab, erkannte das Berufungsgericht auf Abweisung. Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen

"Der Berufungsrichter geht davon aus, daß der Kläger, wenn er als Grundbesitzer durch die Zurückverlegung und Erhöhung des Deiches bei O. benachteiligt wäre, nach § 20 Abs. 3 in Verb. mit § 17 der Deich- und Abwasserungsordnung für die Grafschaften Hoya und Diepholz vom 22. Januar 1864 Anspruch auf Ersatz des ihm dadurch entstandenen Schadens hätte und daß die Entschädigungspflicht nach § 33 Nr. 9 und § 39 dem beklagten Deichverband als außerordentliche Deichlast obliegen würde. Doch werde dadurch eine Verpflichtung des Beklagten, einen Schutzdeich um das Gehöft des Klägers herzustellen oder die durch die Herstellung eines solchen Deiches entstandenen Kosten zu zahlen, nicht begründet. Die genannte Deich- und Abwässerungsordnung spreche sich nicht darüber aus, in welcher Weise die Entschädigungspflicht zu erfüllen sei. An einer Vorschrift, wie sie § 119 bei Entschädigungen für die Enteignung von Grundstücken zu Deichanlagen enthalte, fehle es. Das nur in diesem Paragraphen in Bezug genommene Hannoversche Gesetz vom 16. September 1846 sei nicht allgemein anwendbar. Vielmehr lasse sich nur nach den allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmen, ob der Kläger die Entschädigung durch Erstattung der Kosten der Deichanlage beanspruchen könne. In Betracht kämen in dieser Hinsicht nur § 249 Satz 1 und § 251 Abs. 1 BGB., wonach Schadensersatz durch Herstellung des Zustandes zu leisten sei. der bestehen würde, wenn der zum Ersatze verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre, und wonach, soweit die Herstellung nicht möglich sei, der Ersatzpflichtige in Geld zu entschädigen habe. Der bisherige tatsächliche Zustand könne nicht wieder hergestellt werden, da der alte Winterdeich im öffentlichen Interesse verlegt und erhöht worden sei. Der Kläger begehre auch eine solche Herstellung nicht. Er mache geltend, die Herstellung des Zustandes habe hier darin zu bestehen, daß das nach den früheren Deichverhältnissen bei den bisher beobachteten höchsten Hochwasserständen überschwemmungsfreie Gehöft schon jetzt in einen Zustand gebracht werde, bei welchem es menschlicher Voraussicht nach auch bei künftigen Hochwassern keinem höheren Wasserstand als bisher ausgesetzt sein werde. Es sei jedoch nicht der Zustand des Gehöfts, wie er unter den gegebenen Voraussetzungen bestanden habe, entscheidend und zu vergleichen mit einem nunmehr unter ähnlichen Verhältnissen möglicherweise künftig sich ergebenden Zustande. Zu vergleichen sei die wirtschaftliche Lage des Klägers, wie sie vor der Deichverlegung bestand, mit derjenigen, wie sie sich infolge der Deichverlegung gestaltet habe; hiernach sei die Ausgleichung vorzunehmen. Dieser wirtschaftliche Nachteil sei nicht ohne weiteres gleich zu setzen den für eine Eindeichung des Gehöfts anzuwendenden Kosten. Es sei völlig ungewiß, ob einmal wieder ein Hochwasser mit den bisher beobachteten höchsten oder ähnlich hohen Wasserständen kommen werde, und jedenfalls, in welchem Zeitpunkte dieser von Naturereignissen abhängige Fall eintreten werde. Der jetzt feststellbare wirtschaftliche Nachteil, welchen der Kläger bereits erlitten habe, bestehe deshalb möglicherweise nur in dem geringeren Werte des Gehöfts infolge bei unter den veränderten Deichverhältnissen vielleicht entstandenen größeren Überschwemmungsgefahr, der unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände im Wege der Schätzung zu ermitteln sein würde. Der Kläger habe daher eine Klage auf Ersatz des durch den Wertverlust seines Gehöfts entstandenen Vermögensschadens anstrengen können. Dagegen sei die jetzt erhobene Klage nicht begründet.

Die Revision macht hiergegen geltend, der Kläger werde durch eine Eindeichung seines Gehöfts wirtschaftlich in seine frühere Vermögenslage zurückversetzt, indem er dann wie früher vor Hochwassergefahren geschützt sei. Daher sei der erhobene Anspruch auf Ersatz der Kosten dieser Eindeichung gerechtfertigt; der Kläger verlange damit gerade dasjenige ersetzt, was er aufwenden müsse, um wieder in seine alte Vermögenslage des Geschütztseins vor Hochwassergefahren zu kommen.

Der Revision ist zuzugeben, daß unter Herstellung des früheren Zustandes im Sinne des § 249 Satz 1 BGB. zu verstehen ist die Versetzung des an seinem Vermögen Geschädigten in die gleiche wirtschaftliche Vermögenslage, wie sie ohne den Eintritt des zum Ersatze verpflichtenden Umstandes bestanden haben würde (RGZ. Bd. 76 S. 147. Bd. 77 S. 101, Bd. 83 S. 247, Bd. 84 S. 376) und daß hiernach im vorliegenden Falle die Herstellung des früheren Zustandes, wenn die Behauptungen des Klägers über die frühere Hochwasserfreiheit und die seinem Gehöft infolge der Verlegung und Erhöhung des Winterdeiches bei O. drohenden Hochwassergefahren richtig wären, durch eine Veranstaltung erfolgen könnte, die das Gehöft des Klägers ebenso wie vor der Verlegung und der Erhöhung des Deiches gegen Hochwassergefahren schützte. Es mag auch sein, daß, wenn durch den Eintritt des zum Schadensersatze verpflichtenden Umstandes ein Zustand geschaffen ist, aus dem sich Schädigungen für die Zukunft ergeben können, von dem Gesichtspunkte der Herstellung aus eine gegenüber den früheren tatsächlichen Verhältnissen neue Maßnahme, wodurch der mit der Gefahr künftiger Schädigung verbundene Zustand beseitigt wird, verlangt werden kann (vgl. RGZ. Bd. 56 S. 286, Bd. 60 S. 19; Planck, Erl. 3 á zu § 249 BGB. Bd. 2 S. 69). Würde daher, wie der Kläger behauptet, die Eindeichung seines Gehöfts zur Abwendung künftiger Schädigung durch Hochwasser geeignet sein, so ließe sich ein Anspruch auf Vornahme der Eindeichung, wiewohl eine neue Einrichtung in Frage stände, rechtfertigen.

Der Kläger verlangt jedoch vom Beklagten nicht die Herstellung eines Schutzdeichs um sein Gehöft. Vielmehr beansprucht er die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten, den Betrag der zur Herstellung des Schutzdeichs notwendig aufzuwendenden Kosten zu zahlen. Er fordert also nicht Herstellung des früheren Zustandes, sondern er erhebt Anspruch auf Zahlung des zu der Herstellung erforderlichen Betrages. Nach § 249 Satz 2 BGB. kann aber nur dann, wenn wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten ist, statt der Herstellung der dazu erforderliche Geldbetrag verlangt werden. Diese Vorschrift ist hier nicht anwendbar. Insbesondere steht Beschädigung einer Sache nicht in Frage, da diese begrifflich nur dann vorliegt, wenn eine Sache an ihrer körperlichen Unversehrtheit eine Einbuße schon erlitten hat, hier aber es sich erst um Beeinträchtigung durch die Gefahr künftiger Nachteile handelt, der das Gehöft des Klägers ausgesetzt sein soll. Daher ist der vom Kläger erhobene Feststellungsanspruch nicht begründet." ...