RG, 22.06.1917 - II 30/17

Daten
Fall: 
Zeitpunkt für die Berechnung eines abstrakten Schadens wegen Nichterfüllung
Fundstellen: 
RGZ 91, 30
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.06.1917
Aktenzeichen: 
II 30/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • Kammergericht Berlin

In welchem Zeitpunkt entsteht der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines gegenseitigen Vertrags? Welcher Zeitpunkt ist maßgebend für den Marktpreis, den der Käufer bei Berechnung des abstrakten Schadens zugrunde zu legen hat?

Tatbestand

Im September 1913 verkaufte die Beklagte der Klägerin 2600 Sack Kartoffelmehl zum Preise von 22,85 M für 100 kg, lieferbar vom Oktober 1913 bis September 1914. Bis zum Juni 1914 wurden 1500 Sack, im Anfang Oktober noch weitere 100 Sack geliefert. Die Lieferung des Restes verweigerte die Beklagte ohne Grund. Die Klägerin setzte sie am 12. Oktober 1914 durch Mahnung in Verzug, bestimmte ihr aber erst am 20. April 1915 eine Nachfrist bis zum 28. April. Schon Ende November 1914 hatte sie auf Lieferung von 200 Sack vorbehaltlich des Restes geklagt. Nach Ablauf der Nachfrist ging sie zum Anspruch auf Schadensersatz über. Sie forderte als solchen den Unterschied zwischen dem Vertragspreis und dem Ende April 1915 geltenden Marktpreise. Wider die Höhe des Anspruchs wandte die Beklagte ein, für die Berechnung könne nur der Marktpreis vom Oktober 1914 in Betracht kommen, denn damals habe sie die Lieferung ernstlich und endgültig verweigert, weshalb die Klägerin schon damals sich hätte eindecken müssen. Außerdem sei die Lieferung für die Beklagte schon im Laufe des Oktober 1914, jedenfalls aber im Januar 1915 unmöglich geworden.

Das Landgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 5490 M nebst Zinsen. Das Berufungsgericht wies ihre Berufung zurück, indem es die Berechnung des Schadensersatzes gemäß dem Ende April 1915 bestehenden Marktpreise für berechtigt erklärte. Auf die Revision der Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben.

Gründe

... "Die Klägerin ist zum Anspruch auf Schadensersatz berechtigt. Sie fordert den abstrakten Schaden. Da die Preise anscheinend beständig gestiegen sind, hängt die Höhe des zu leistenden Ersatzes davon ab, nach dem Preise welches Tages er zu berechnen ist.

Der abstrakte Schaden wird in erster Linie auf Grund des Marktpreises des Tages berechnet, an dem der Schuldner in Verzug geraten ist. Vorbehaltlich der Rücksicht auf Treu und Glauben kann der Gläubiger aber auch, wie die Klägerin will, den Marktpreis des Tages zugrunde legen, an dem der Anspruch auf Erfüllung erloschen und der Anspruch auf Schadensersatz an seine Stelle getreten ist. Gleichzeitig und wahlweise nebeneinander bestehen beide Ansprüche nicht. Die Umwandlung des Anspruchs auf Erfüllung in den Anspruch auf Schadensersatz geschieht vornehmlich entweder nach den Vorschriften des § 326 BGB. oder dadurch, daß die Leistung infolge eines vom Schuldner gemäß §§ 276, 287 zu vertretenden Umstandes unmöglich wird. Gemäß § 326 entsteht der Anspruch auf Schadensersatz mit dem Ablauf einer wirksam gesetzten Nachfrist, außerdem auch dadurch, daß der Gläubiger auf Grund einer ernstlichen und endgültigen Weigerung des Schuldners (oder wegen erloschenen Interesses an der Leistung) erklärt, nunmehr die Leistung ablehnen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung fordern zu wollen. Irrtümlich ist die gelegentlich aufgestellte und auch in dem angefochtenen Urteil enthaltene Behauptung, daß schon die ernstliche und endgültige Weigerung des Schuldners den Anspruch auf Schadensersatz zur Entstehung bringe, und daß ihr Zeitpunkt bei Berechnung des abstrakten Schadens zugrunde gelegt werden dürfe. Dies hat der erkennende Senat auch schon in dem Urteile vom 7. November 1916 i. S. des St. Konsumvereins wider H. II. 266. 16 im Anschluß an das Urteil RGZ. Bd. 52 S. 151 abgelehnt.

Da nun die Klägerin niemals vor Setzung der Nachfrist erklärt hat, zum Anspruch auf Schadensersatz übergehen zu wollen, so ist dieser Anspruch auf Grund der Regeln des § 326 BGB. nicht vor dem Ablaufe der Nachfrist entstanden. Das Berufungsgericht berechnet den Schaden denn auch nach dem Preise des Tages des Ablaufs dieser Nachfrist, nämlich des 28. April 1915, und legt demgemäß der Differenzrechnung den damals auf Grund des Erlasses des Reichskanzlers vom 25. Februar 1915 geltenden Höchstpreis zugrunde. Dies wäre also richtig, wenn nur die Grundsätze des § 326 in Betracht kämen. Übersehen ist aber, daß die Umwandlung des Anspruchs auf Erfüllung in denjenigen auf Schadensersatz nach §§ 325, 280, 287, 279 auch eintritt, sobald während des Verzugs des Verkäufers die Leistung unmöglich wird. Dann wird der Anspruch auf Erfüllung ausgeschlossen, was die Beklagte rechtlich richtig eingewandt hat. Ist dies geschehen, so darf der abstrakte Schaden spätestens nach dem Tage des Eintritts der Unmöglichkeit berechnet werden, während der konkrete Schaden möglicherweise auch anders substantiiert werden könnte.

Die bekannte Rechtsprechung, RGZ. Bd. 54 S. 28 und Bd. 88 S. 77, daß, wenn der Gläubiger die vom Schuldner eingewandte Unmöglichkeit bestreitet, ein Urteil auf Erfüllung erlassen und der Streit über die Unmöglichkeil aufgeschoben werden kann, hat hiermit nichts zu tun. Denn im Streitfalle wird eben nur noch um den Schadensersatz gestritten und, um seine Höhe zu bestimmen, muß der Zeitpunkt seiner Entstehung ermittelt werden. Die hierüber vom Berufungsgerichte getroffene Feststellung beruht auf Übersehen des Einflusses der behaupteten Unmöglichkeit.

Die Frage der Unmöglichkeit und der Zeit ihres Eintritts ist auch keineswegs geklärt. Streitig ist schon die Vorfrage, ob Kartoffelmehl beliebiger Herkunft oder ob nur deutsches Kartoffelmehl Gegenstand des Verkaufes war. Streitig ist ferner, ob und wann es für die Beklagte unmöglich geworden ist, deutsches Kartoffelmehl zu liefern. Die Beklagte nimmt schließlich den Standpunkt ein, daß die Lieferung schon im Oktober für sie unmöglich geworden sei, wahrend sie früher auf die Beschlagnahme durch die Trockenkartoffel-Verwertungsgesellschaft vom 18. Januar 1915 berufen hatte. Die hierüber aufgestellten Behauptungen, die sich an verschiedenen Stellen der vorgetragenen Schriftsätze finden, sind sämtlich bestritten. Die Feststellung, ob und wann Unmöglichkeit der Leistung eingetreten ist, muß deswegen dem Tatrichter überlassen werden, der danach den für die Berechnung des abstrakten Schadens maßgeblichen Zeitpunkt von neuem zu bestimmen haben wird.

Auch der zweite Grund, mit dem die Höhe des Schadens gerechtfertigt wird, ändert hieran nichts. Das Berufungsgericht führt aus: wenn die Beklagte die Ware bei Fälligkeit der Leistung, also im Oktober 1914 geliefert hätte, so sei anzunehmen, daß die Klägerin Ende Februar noch mindestens 200 Sack in Vorrat gehabt hätte und diese zu dem seit dem 25. Februar geltenden Höchstpreise, sei es durch Verkauf, sei es in ihrer Fabrik, hätte verwerten können. Sollte sich herausstellen, daß die Lieferung nicht vor Ablauf der Nachfrist oder doch nicht vor Inkrafttreten des neuen Höchstpreises unmöglich geworden ist, so ist dieser Entscheidungsgrund unnötig, um das Urteil zu tragen. Falls aber die Lieferung früher unmöglich geworden ist, so genügt er nicht.

Wäre diese Art der Substantiierung des Schadens grundsätzlich richtig, so könnte - abgesehen von der späteren Nachfristsetzung - die Klägerin augenscheinlich ihren Schaden auch auf Grund des Preises einer noch viel späteren Zeit berechnen. Sie könnte vorkommendenfalls geltend machen, daß sie die Ware noch ein Jahr länger aufbewahrt und zu noch viel höherem Preise verwertet hätte. Es wäre dann dem Anwachsen des Ersatzanspruchs keine Grenze gezogen. Das ist unannehmbar und im Rechte nicht begründet. Wenn der Anspruch auf Erfüllung ausgeschlossen und in den Anspruch auf Schadensersatz umgewandelt wird, muß der Käufer sich entweder mit dem abstrakten Schaden, d. h. dem Unterschiede zwischen dem Preise des Stichtags und dem Vertragspreise begnügen, oder aber seinen wirklichen, konkreten Schaden dartun. Dieser Schaden besteht in dem Unterschiede zwischen der Vermögenslage, in der der Käufer sein würde, wenn der Verkäufer richtig geliefert hatte, und der Vermögenslage, in die er durch die Nichterfüllung des Vertrags geraten ist. Die erste Vermögenslage hat das Berufungsgericht festgestellt, nicht die zweite. Der konkrete Schaden kann aber nicht, wie die Klägerin und mit ihr das Berufungsgericht tut, durch einen Vergleich zwischen der Vermögenslage, in die der Käufer durch richtige Lieferung versetzt wäre, und dem Vertragspreis ermittelt werden Vielmehr hätte festgestellt werden müssen, wie sich die Vermögenslage der Klägerin tatsächlich gestaltet hat, ob und wie sie sich eingedeckt oder sonst ohne die ausgebliebene Lieferung durchgeholfen hat. Auf diesen zweiten Punkt ist das Berufungsgericht gar nicht eingegangen, obwohl erst der Vergleich zwischen der tatsächlich eingetretenen Vermögenslage und derjenigen, die bei Erfüllung des Vertrags eingetreten wäre, den konkreten Schaden ergibt.

Die Feststellungen des Berufungsgerichts reichen also für die Zubilligung des Ersatzes eines konkreten Schadens, außerdem auch für die Beurteilung der Frage etwaiger Mitschuld der Klägerin, nicht aus."