RG, 22.06.1920 - III 29/20

Daten
Fall: 
Verpflichtung des Mieters zur Fortzahlung des Mietzinses
Fundstellen: 
RGZ 99, 230
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.06.1920
Aktenzeichen: 
III 29/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Düsseldorf, Kammer für Handelssachen
  • OLG Düsseldorf

1. Wie ist der Anspruch auf Ersatz des weiteren Schadens nach § 557 Satz 2 BGB. zu begründen?
2. Erlischt die Verpflichtung des Mieters zur Fortzahlung des Mietzinses nach § 557 BGB. ohne weiteres mit dem Verluste der Mietsache?

Tatbestand

Die Klägerin vermietete der Beklagten im Oktober 1916 20 Eisenbahnwagendecken. Zum 30. November 1916 kündigte die Beklagte das Mietverhältnis. Die Klägerin hat nicht alle Decken zurückerhalten. Die Beklagte zahlte ihr den Mietzins noch bis Ende April 1917. Mit der Behauptung, daß die Beklagte die fehlenden Decken noch im Besitze habe und benutze, beansprucht die Klägerin die Weiterzahlung des Mietzinses bis Ende Dezember 1918.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat den Klaganspruch für die Zeit vom. 1. Mai 1917 bis 31. Mai 1918 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Nebenintervenientin hatte Erfolg.

Gründe

... "Im übrigen ist die Klage nur auf die Vorschrift des § 557 BGB. gegründet worden, nach der der Vermieter, wenn der Mieter die gemietete Sache nach der Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurückgibt, "für die Dauer der Vorenthaltung als Entschädigung den vereinbarten Mietzins verlangen" kann. Die Klägerin beansprucht zwar nicht denselben Mietzins für die ganze streitige Zeit, sondern immer steigende Beträge von 1,20 M bis 2,60 M für Decke und Tag, während sie für Oktober und November 1916 nur 40 Pf für Dezember 1916 bis Ende April 1917 zunächst 60 Pf, dann 80 Pf, 1 M und schließlich 1,20 M gefordert und gezahlt erhalten hat; sie hält sich aber hierzu auf Grund des Mietvertrags für befugt, indem sie den jeweils üblichen Tagesmietsatz als vereinbart ansieht. Der Berufungsrichter prüft daher mit Recht nur, ob die Beklagte zur Weiterzahlung des Mietzinses wegen Vorenthaltung der nicht an die Klägerin zurückgelieferten Decken verpflichtet sei. Die Ansicht der Klägerin, daß die in § 557 Satz 2 als nicht ausgeschlossen bezeichnete Geltendmachung eines weiteren Schadens auch auf § 557 gestützt werden könne, ist nicht haltbar. Auf Grund des § 557 kann nur der vereinbarte Mietzins als Mindestbetrag des Schadens beansprucht werden, der dem Vermieter durch die Vorenthaltung der Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses erwächst. Der Anspruch auf Ersatz des weiter, gehenden Schadens bedarf der Begründung nach den allgemeinen Grundsätzen über die Schadenersatzpflicht wegen Nichterfüllung der Rückgabeverpflichtung; er setzt insbesondere, anders als jener Anspruch, ein Verschulden des Mieters oder einen sonstigen von diesem zu vertretenden Umstand und den Nachweis des Schadens voraus.

Der Berufungsrichter erklärt nun den Anspruch aus § 557 auf Fortzahlung des vereinbarten Mietzinses für die Zeit vom 1. Mai 1917 bis Ende Mai 1918 für begründet, weil die Beklagte erst in ihrem Schriftsätze vom 24. Mai 1918 erklärt habe, die Decken seien verloren gegangen und ihre Rückgabe sei daher unmöglich. Er stellt zwar fest, daß die Decken längst vor Ende Mai 1918 in Verlust geraten seien und die Beklagte deshalb zu ihrer Rückgabe außerstande gewesen wäre; er hält dies aber nicht für genügend, den Anspruch der Klägerin aus § 557 auszuschließen, weil die Beklagte, sobald sie erkannt habe, daß sie außerstande sei, die Decken zurückzugeben, dies unverzüglich der Klägerin habe mitteilen müssen, und sich, da sie dies bis zum 24. Mai 1918 versäumt habe, gefallen lassen müsse, für die Weiterzahlung der Miete bis rund Ende Mai 1918 von der Klägerin nach § 557 behandelt und haftbar gemacht zu werden. Demgegenüber macht die Nebenintervenientin geltend, daß die Beklagte schon vor dem 1. Mai 1917 der Klägerin gegenüber zum Ausdrucke gebracht habe, sie betrachte die Decken als verloren, daß aber auch eine solche Mitteilung nicht erforderlich sei, sondern der Eintritt des Verlustes genüge, um den Anspruch des Vermieters aus § 557 auszuschließen. Die Klägerin ist dagegen der Meinung, daß die Beklagte, sofern sie nicht beweise, daß die Rückgabe der Decken infolge eines von ihr nicht zu vertretenden Umstandes unmöglich geworden sei, ihre Verpflichtung aus § 557 nur dadurch beendige, daß sie für die abhanden gekommenen Decken Ersatz leiste, und den Schaden erstatte, der der Klägerin dadurch erwachsen sei, daß sie sowohl ihre Decken wie den Ersatz dafür habe entbehren müssen.

Der § 557 gewährt dem Vermieter nur "für die Dauer der Vorenthaltung" einen Anspruch auf den vereinbarten Mietzins. Die Entscheidung des Streites hängt demnach davon ab, was unter der Vorenthaltung der Mietsache zu verstehen ist. Der dem § 557 entsprechende § 525 des ersten Entwurfs spricht statt von Vorenthaltung von "Fortsetzung des Gebrauchs". Wenn nun auch gegen die Bestimmung des § 525 in der zweiten Kommission, durch die die Fassung geändert ist, nach dem Prot. Bd. 2 S. 218 ein Widerspruch nicht erhoben, vielmehr auch in dieser ausgesprochen ist, daß der Vermieter "für die Zeit der tatsächlichen Benutzung der Mietsache" eine dem vertragsmäßigen Mietzinse gleichkommende Entschädigung fordern könne, und der Grund für die Fassungsänderung nicht ersichtlich ist, so ist doch mit Rücksicht auf den Wortlaut des Gesetzes eine Fortsetzung des Gebrauchs durch den Mieter nicht für erforderlich, sondern dessen unmittelbarer oder mittelbarer Besitz für genügend zu erachten. Ob, wie es nach dem Urteile vom 23. September 1810 (III 412/09, J.W. 1910 S. 939 Nr. 15, Seuff. Arch. Bd. 66 S. 188 Nr. 95) als damalige Ansicht des erkennenden Senats erscheinen könnte, die Vorenthaltung "stets den Besitz des Mieters an der Mietsache erfordert - eine Ansicht, die in der Rechtslehre Widerspruch erfahren hat -, bedarf in dem vorliegenden Falle keiner Entscheidung. Hier handelt es sich nur um die Frage, ob der Mieter dem Vermieter die Mietsache auch dann vorenthält, wenn sie in Verlust geraten ist, und das ist unbedenklich zu verneinen.

Da nun der § 557 den Mieter nur für die Dauer der Vorenthaltung zur Weiterzahlung des vereinbarten Mietzinses verpflichtet, kann keine Rede davon sein, daß, wie die Klägerin meint, der Mieter die Verpflichtung aus § 557 nur durch Leistung des Ersatzes für die abhanden gekommene Mietsache beendigen kann. Aber auch die Ansicht des Vorderrichters, daß der Mieter zur Anzeige des Verlustes der Mietsache verpflichtet sei und erst mit dieser der Anspruch des Vermieters aus § 557 erlösche, ist nicht zu billigen. Sie ist mit der Fassung des Gesetzes nicht vereinbar und nicht zu begründen. Der Anspruch erlischt vielmehr ohne weiteres mit dem Augenblick, in dem die Vorenthaltung aufhört. Wie der Mieter von der Pflicht zur Zahlung des Mietzinses ohne Anzeige an den Vermieter frei wird, wenn die Mietsache während der Dauer des Mietverhältnisses durch einen von dem Mieter nicht zu vertretenden Umstand verloren geht, erlischt auch seine Verpflichtung zur Fortzahlung des Mietzinses aus § 557 mit der Beendigung der Vorenthaltung durch den Verlust der Mietsache und nicht erst mit dessen Anzeige, und wenn der Verlust von dem Mieter verschuldet oder sonst zu vertreten ist, kann der Vermieter von dem Zeitpunkte des Verlustes ab nicht mehr auf Grund des § 557 den vereinbarten Mietzins, sondern nach allgemeinen Grundsätzen Schadensersatz beanspruchen." ...