RG, 07.06.1917 - IV 119/16

Daten
Fall: 
Schiedsgerichtsanordnung durch Vereinssatzung
Fundstellen: 
RGZ 90, 306
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
07.06.1917
Aktenzeichen: 
IV 119/16
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Berlin
  • KG Berlin

1. Inwieweit darf die Berechtigung der Vereinsmitglieder zum Austritt durch die Satzung Einschränkungen unterworfen werden?
2. Darf ein durch die Vereinssatzung angeordnetes Schiedsgericht, an dem Vereinsmitglieder als Schiedsrichter teilnehmen, über Streitigkeiten zwischen dem Verein und einzelnen Mitgliedern entscheiden?

Tatbestand

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Bd. 88 S. 395 flg. abgedruckten Urteile des Senats vom 21. September 1916. Das Kammergericht hat nach neuerlicher Verhandlung wieder auf Zurückweisung der Berufung gegen das landgerichtliche Urteil erkannt. Die Revision der Kläger ist zurückgewiesen worden.

Aus den Gründen

1.

... "Die Revision macht zur Bekämpfung des Schiedsspruchs in erster Reihe geltend, das schiedsgerichtliche Verfahren sei unzulässig gewesen, weil nach der Art der Zusammensetzung des Schiedsgerichts und nach den ihm durch die Satzung übertragenen Aufgaben der Schiedsspruch nicht von einem Dritten, sondern von einer der streitenden Parteien durch eines ihrer verfassungsmäßigen Organe erlassen worden sei.

Was die Bestellung des Schiedsgerichtes anlangt, so steht nunmehr außer Streit, daß die im § 12 der Satzung vorgesehene Schiedsgerichtsordnung gleichzeitig mit der Satzung in der Versammlung vom 29./30. November 1913 beschlossen und mit ihr dem Registerrichter vorgelegt worden ist, so daß gegen ihre formale Gültigkeit kein Bedenken mehr besteht.

Über Zusammensetzung und Zuständigkeit des Schiedsgerichts bestimmt die Schiedsgerichtsordnung folgendes:

§1
Es wird ein Schiedsgericht gebildet, das aus fünf Mitgliedern und fünf Stellvertretern besteht und alljährlich in der ordentlichen Mitgliederversammlung mit der Amtsdauer bis zur nächsten Mitgliederversammlung gewählt wird.
Die ersten Mitglieder des Schiedsgerichts und ihre Stellvertreter werden in der konstituierenden Versammlung mit der Amtsdauer bis zur nächsten ordentlichen Mitgliederversammlung gewählt. Vier Mitglieder und deren Stellvertreter müssen Mitglieder des Verbandes Deutscher Schirm-Großfabrikanten sein; das fünfte Mitglied und dessen Stellvertreter muß ein zur Ausübung des Richteramts befähigter Jurist sein und darf weder der Schirm- noch einer verwandten Branche angehören. Dieses fünfte Mitglied führt den Vorsitz im Schiedsgericht und hat das schiedsgerichtliche Verfahren vorzubereiten. Die Wiederwahl der Mitglieder und der Stellvertreter ist zulässig.

§ 3
Das Schiedsgericht ist unter Ausschluß des Rechtswegs zuständig:
1. für alle Streitigkeiten der Mitglieder, sei es untereinander, sei es mit dem Verbande, die sich aus dem Gesellschaftsvertrage der konstituierenden Versammlung vom 29. und 30. November 1913 und allen seinen ferneren Nachträgen ergeben sollten;
2. für alle Zuwiderhandlungen der Mitglieder gegen die Satzung oder Beschlüsse der Mitgliederversammlungen oder des Ausschusses.

Es kann nicht zugegeben werden, daß gegenüber einem in dieser Weise geordneten Schiedsgerichte der bezeichnete Einwand der Revision begründet wäre. Wohl muß an sich an dem Grundsatze festgehalten werden, daß niemand Richter in eigener Sache sein kann. Würde die Satzung eines Vereins die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen dem Verein und seinen Mitgliedern dem Vereine selbst übertragen, sei es, daß er sie mittelbar durch die Gesamtheit der Mitglieder, oder sei es, daß er sie unmittelbar durch ein sonstiges, den Verein vertretendes und in seinem Namen handelndes Organ zu entscheiden hätte, so würde jener Grundsatz verletzt sein (vgl. RGZ. Bd. 88 S. 402 und dortige Anführungen). Aber das kann keineswegs schon dann angenommen werden, wenn die Satzung die Entscheidung durch ein Schiedsgericht vorsieht, an dem einzelne Vereinsmitglieder auf Grund einer im voraus erfolgten Abordnung teilzunehmen haben (RGZ. Bd. 51 S. 392). Es mag zwar sein, daß auch schon dadurch die dem Vereine gegenüberstehenden Mitglieder eine gewisse Beeinträchtigung in ihrer prozessualen Stellung erleiden; aber das ist nur eine Folge ihrer durch Eintritt in den Verein und Unterwerfung unter seine Satzung erklärten Einwilligung in eine derartige Regelung. Der öffentlichen Ordnung widerspricht es ebensowenig, wie wenn in einem gewöhnlichen Schiedsvertrag eine Partei die Ernennung der Schiedsrichter der andern Partei überläßt. Sollten sich im einzelnen Falle bestimmte Anhaltspunkte dafür ergeben, daß das mit dem Vereine streitende Mitglied bei dem auf diese Weise berufenen Schiedsgerichte nicht auf unparteiische Entscheidung rechnen könne, so bietet ihm das nach §§ 1032, 1045 ZPO. gewährleistete Recht, Schiedsrichter abzulehnen, das Mittel zur Abhilfe.

Im Streitfalle spricht nun nichts dafür, daß das durch die angeführten Bestimmungen angeordnete Schiedsgericht nur eine den Verein selbst vertretende, in seinem Namen und in seinem Interesse handelnde Vereinsstelle wäre, vielmehr rechtfertigen die näheren Umstände die gegenteilige Auffassung: es handelt sich hier um einen Verein mit juristischer Persönlichkeit, eigenem Vermögen und einer großen Anzahl von Mitgliedern, deren Sitze über ganz Deutschland verteilt sind, zwischen denen also offenbar keine näheren persönlichen Beziehungen bestehen, wozu noch kommt, daß der Vorsitzende des Schiedsgerichts ein außerhalb des Vereins und seiner Interessen stehender Rechtskundiger sein muß.

In dieser Richtung erhebt übrigens die Revision keine besonderen Angriffe; sie beruft sich vielmehr hauptsächlich auf § 9 der Schiedsgerichtsordnung, welcher lautet:

Will ein Mitglied des Verbandes, das in der eingereichten Klage eine Zuwiderhandlung gegen ein anderes Mitglied behauptet, die Rolle des Klägers in dem schiedsrichterlichen Verfahren nicht übernehmen, so hat der Vorsitzende des Schiedsgerichts unter Geheimhaltung des Namens des Klägers summarische Erhebungen, insbesondere durch Einsicht in die Geschäftspapiere der Parteien, anzustellen und darüber dem Schiedsgerichte zu berichten. Erscheinen diesem hiernach die Behauptungen des anklagenden Mitglieds glaubhaft gemacht, so hat der Vorstand des Verbandes, dem der Vorsitzende des Schiedsgerichts die Akten zu diesem Zwecke vorzulegen hat, die Klage gegen das zuwiderhandelnde Mitglied zu erheben.

Erachtet indes das Schiedsgericht die Behauptung des anklagenden Mitglieds nicht für glaubhaft gemacht, so ist diesem davon mit dem Anheimgeben Mitteilung zu machen, unter Hervortretung mit seinem Namen Klage gegen das zuwiderhandelnde Mitglied zu erheben.. Ein weiteres Rechtsmittel steht dem anklagenden Mitgliede gegen den ablehnenden Bescheid des Schiedsgerichts nicht zu.

Aus diesen Bestimmungen will die Revision die Schlußfolgerung ziehen, daß das Schiedsgericht nicht die für sein Richteramt erforderliche Selbständigkeit gegenüber dem Vereine besitze, weil ihm dort eine ständige Mitwirkung bei der Verfolgung der Interessen des Vereins im Zusammenwirken mit dem Vereinsvorstand übertragen sei, so daß es als Organ des Vereins angesehen werden müsse, wenn es auch in der Satzung (§ 6) unter den Organen des Vereins nicht mitaufgeführt sei. Der Revision kann zugegeben werden, daß es nicht ausschlaggebend darauf ankommt, ob das Schiedsgericht von der Satzung als Organ des Vereins bezeichnet wird, oder ob sonst die Bezeichnung Organ des Vereins auf die als Schiedsgericht berufene Stelle mit mehr oder weniger Recht angewendet werden kann. Es ist vielmehr sachlich zu prüfen, ob jener Stelle das erforderliche Maß von Selbständigkeit gegenüber dem Vereine zukommt. Der Inhalt des § 9 gibt aber nach der nicht zu beanstandenden Anschauung des Berufungsgerichts keinen Anlaß, diese Frage zu verneinen, um so weniger als die dort dem Schiedsgericht und seinem Vorsitzenden übertragenen Aufgaben von anderer als rein rechtsprechender Art auf einem Gebiete liegen, das für Streitigkeiten, wie sie hier in Rede stehen, gar nicht in Betracht kommt. ...

2.

Ein weiterer Revisionsangriff betrifft die Frage, ob die Bestimmung des § 5 der Satzung über die Wirksamkeit der Austrittserklärung (im Wortlaute wiedergegeben im früheren Reichsgerichtsurteile) wegen Verstoßes wider § 39 Abs. 2 BGB. nichtig sei.

In dieser Hinsicht hat der Beklagte niemals bestritten, daß ein Verstoß insoweit vorliege, als durch den im § 5 enthaltenen zeitweiligen Verzicht auf das Kündigungsrecht die längste gesetzlich zulässige Kündigungsfrist von zwei Jahren um etwas überschritten worden sei, nämlich für die Zeit von der Vereinsgründung am 30. November 1913 bis zum 31. Dezember gl. Js., und daß insoweit jene Bestimmung keine Gültigkeit beanspruchen könne. Streitig ist aber, ob dieser Verstoß die Nichtigkeit der ganzen Satzung oder doch mindestens die Nichtigkeit der ganzen auf Beschränkung der Austrittsmöglichkeit abzielenden Bestimmungen im § 5 der Satzung zur Folge habe. Hierzu stellt das Berufungsurteil, indem es sich den Ausführungen des Schiedsgerichts anschließt, fest, daß Vereinsgründung und Festsetzung der Kündigungsbestimmungen im übrigen in gleicher Weise stattgefunden haben würden, wenn die Beteiligten sich damals schon über die Unzulässigkeit jener Bestimmung klar gewesen wären und deshalb von ihrer Aufnahme im § 5 Abstand genommen hätten, so daß jene geringfügige Überschreitung der zweijährigen Höchstfrist ohne Einfluß auf die Fassung der übrigen Bestimmungen gewesen sei und daher deren Gültigkeit nicht beeinträchtige. Das ist für diese Instanz maßgebend. Streitig bleibt deshalb nur noch, ob § 5 auch insoweit gegen § 39 BGB. verstößt, als zwar für die Kündigungsfrist die zulässige Höchstdauer von zwei Jahren nicht überschritten ist, aber einerseits eine (einjährige) Kündigungsfrist festgesetzt, anderseits der Austritt nur zum 31. Dezember jedes Jahres gestattet worden ist. Die Revision macht unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des § 39 BGB. geltend, es liege hier eine unzulässige Häufung der beiden dort vorgesehenen Arten von Austrittseinschränkung vor. Das kann nicht anerkannt werden. Geht man davon aus, daß der Beklagte an sich befugt war, eine zweijährige Kündigungsfrist vorzuschreiben, so enthält die Regelung im § 5 keineswegs eine Erschwerung, sondern vielmehr eine Milderung gegenüber jener Art der Regelung des Austritts; denn sie besagt im Ergebnis weiter nichts, als daß eine Austrittserklärung nicht erst nach Ablauf von zwei Jahren seit ihrer Abgabe, sondern schon an demjenigen 31. Dezember wirksam wird, der dem Ablauf einer zweijährigen Frist vorausgeht. Das ist unbedenklich zulässig. Daß der Wortlaut der Bestimmung mehr im Sinne einer Verlängerung der einjährigen Frist gehalten ist, die im § 5 vorgeschrieben ist, als im Sinne einer Verkürzung der zweijährigen Frist, die hätte vorgeschrieben werden können, ändert an ihrem sachlichen, sich innerhalb des Rahmens von § 39 BGB. haltenden Inhalte nichts." ...