RG, 02.04.1917 - VI 462/16
1.Die Voraussetzung der Wegeunterhaltungspflicht in § 6 Abs. 2 des Telegraphenwege-Gesetzes vom 18. Dezember 1899 (RGBl. S. 705).
2. Überwiegende Beteiligung des Wegeunterhaltungspflichtigen am Unternehmen durch Darlehensgewährung im Sinne dieser Vorschrift.
Tatbestand
Die Stadtgemeinde G. veranlaßte durch die Herstellung einer elektrischen Bahn, die teilweise auf der Provinzialstraße, teilweise auf eigenem Bahnkörper verläuft, auch städtische Straßen kreuzt, die Verlegung und Sicherung von Leitungen der Reichstelegraphenverwaltung und verlangte auf Grund des § 6 Abs. 2 des Telegraphenwege-Gesetzes vom 18. Dezember 1899, daß deren Kosten der Reichspostfiskus trage. Nachdem der Regierungspräsident diesem Auftrage stattgegeben hatte, erhob der Reichspostfiskus Klage mit dem Antrage, die Entscheidung des Regierungspräsidenten aufzuheben und den Anspruch der Stadtgemeinde abzuweisen. Dem haben die Vorinstanzen willfahrt. Dieses Berufungsurteil wurde aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Gründe
1.
Soweit die Bahn die Provinzstraße benutzt, bezeichnet sich die Stadtgemeinde bei ihrer Berufung auf § 8 Abs. 2 TelWG. als Wegeunterhaltungspflichtig in dem Sinne, weil sie als politisches Mitglied des Kreises zu den durch die Provinz aufzubringenden Mitteln für die Unterhaltung der Provinzstraßen beitrage. Da man, wie insbesondere in der Revisionsinstanz ausgeführt wird, annehmen könne, daß der von dem einzelnen Kommunalverband in dieser Weise bewirkte Beitrag zu den von ihr verursachten Wegeunterhaltungskosten in entsprechendem Verhältnis stehe, treffe materiell, worauf es allein ankomme, die Wegeunterhaltungslast die Stadtgemeinde.
Mit Recht haben bereits die Vorinstanzen diese Betrachtungsweise abgelehnt. Wie schon in RGZ. Bd. 65 S. 307 ausgeführt, ist die Vergünstigung nach § 6 Abs. 2 TelWG. solchen Unternehmern gemeinnütziger besonderer Anlagen zugedacht, die neben dem an der Anlage bestehenden öffentlichen Interesse auch noch das Recht aus dem Eigentum an dem von der Telegraphenverwaltung benutzten Verkehrswege für sich haben und deren Interesse deshalb im Streite der beiderseitigen und beiderseits öffentlichen Intressen als das stärkere anzusehen sei; mit Rücksicht darauf, daß in den deutschen Einzelrechtsgebieten zwar meist, aber doch nicht immer, das Eigentum am Wege mit der Wegeunterhaltungspflicht zusammenfällt, hat man bei Fassung der Gesetzesbestimmungen vorgezogen, auf die Wegeunterhaltungspflicht, nicht auf das Wegeeigentum abzustellen. Dem zur Wegeunterhaltung Verpflichteten als dem damit auch zur Herrschaft und Verfügung über den Verkehrsweg Berechtigten soll die Errichtung gemeinnütziger besonderer Anlagen bei Konkurrenz mit einer Telegraphenanlage tunlichst ermöglicht und erleichtert werden (vgl. dazu bes. den Bericht der RTKomm., 10. Leg.-Per. I. Sess. 1898/1900, Drucks. Bd. 7 Nr. 498).
Die gesetzliche Voraussetzung der Wegeunterhaltungspflicht ist hiernach ein klar bestimmtes, lediglich nach dem Wegerechte zu erfassendes Erfordernis und einer Umdeutung in mittelbar wirksame Kostenbeitragspflicht unzugänglich. Im vorliegenden Falle ist unstreitig, übrigens auch festgestellt, daß für die in Betracht kommenden Straßenstrecken unterhaltungspflichtig die Provinz ist, nicht die Stadtgemeinde. Es muß daher bei der Vorentscheidung lediglich bewenden. In der von der Revision angeführten Entscheidung RGZ. Bd. 78 S. 223 wird der, wie auch die Revision nicht verkennt, umgekehrte Fall behandelt, nämlich die Beteiligung der Gemeinde am Unternehmen in der Gestalt, daß der Kreis, zu dem die wegeunterhaltungspflichtigen Gemeinden gehören, sich finanziell beteiligt. Als mittelbar begründet wurde dort nicht die Wegeunterhaltungspflicht behandelt, sondern die finanzielle Beteiligung, - wie die Begründung (S. 225/226) ergibt, auf Grund einer ganz konkret erfaßten Sachlage, die für die Beurteilung der Wegeunterhaltungspflicht allenthalben nicht in Betracht gezogen werden kann.
2.
Die Stadtgemeinde hat weiter geltend gemacht, der Provinzialverband habe sich an dem Unternehmen überwiegend beteiligt im Sinne des § 6 Abs. 2 TelWG. durch die Hingabe eines Darlehens von 940.000 M (zu den 1.308.000 M betragenden Gesamtkosten) unter besonders günstigen Bedingungen und durch weitere in einem Vertrage zwischen dem Provinzialverband und der Stadtgemeinde vom 15./23. Dezember 1913 dieser gewährte Vorteile. Das Berufungsgericht nimmt an, daß insoweit in der Tat eine Beteiligung vorliege, hält sie aber nicht für eine "überwiegende" im Sinne des Gesetzes. Die Stadtgemeinde trage als alleinige Unternehmerin die Verlustgefahr des Unternehmens überhaupt - auf einen irgendwie in Frage kommenden Gewinn sei dabei nicht zu rechnen -, habe das Darlehen von 940.000 M zu verzinsen und zu tilgen wie auch die weiteren 368.000 M des Anlagekapitals aufzubringen. Demgegenüber habe der Provinzialverband auf ein halbes Prozent Zins verzichtet, die Tilgungsrate auf 1 1/2, gegen sonst 2 % herabgesetzt und den Beginn der Tilgung hinausgeschoben, bezüglich der Wege endlich der Stadtgemeinde besondere Vorteile eingeräumt. Aber auch wenn man die Leistungen der Provinz auf Grund des Vertrags vom 15./23. Dezember 1913 noch so hoch einschätze, so werde man dennoch nicht zu einer Summe kommen, die auch nur entfernt die Aufwendungen der Beklagten erreiche. Daß der Provinzialverband durch seine Leistungen das Unternehmen erst ermöglicht habe, sei anzunehmen, ebenso daß er es durch sein Verhalten fördere und daß die Lasten, die er dadurch für das Unternehmen auf sich genommen habe, gewiß nicht unerhebliche seien; aber allein die von der Stadtgemeinde jährlich zu zahlenden Zinsen und Tilgungsraten, auch wenn man sie nicht für das ganze Anlagekapital berechne, überstiegen die Leistungen des Provinzialverbandes um mehr als ein Vielfaches.
Das Tatbestandsmerkmal des Überwiegens (der Beteiligung) ist naturgemäß im wesentlichen tatsächlicher Art (vgl. RGZ. Bd. 78 S. 227). Ein Rechtsirrtum kann aber in der Beurteilung insoweit zutage treten, als bei der Frage des Übergewichts der Begriff der Beteiligung überhaupt verkannt, insbesondere zu eng gefaßt wird. Die Urteilsbegründung ergibt, daß das Berufungsgericht ... eine Beteiligung nur in den Zinsen und Tilgungsvergünstigungen sowie in der Gestaltung der Wegebenutzung für die Anlage findet. Den Kapitalwert des Darlehens als solchen dagegen hat das Berufungsgericht bei diesen Ausführungen völlig beiseite gelassen; anscheinend glaubt es in der - verzinslichen - Darlehensgewährung als solcher überhaupt keine "Beteiligung" im Sinne des Gesetzes finden zu können. Diese Betrachtungsweise muß Bedenken erregen.
In der Geschäftssprache des Alltags wird der Ausdruck "Beteiligung an einem Unternehmen" zumeist auf die Teilnahme an dessen Gewinn und Verlust hinweisen, insoweit daher zu einem Darlehen oft geradezu im Gegensatze stehen. Dieses ist in seiner Regelgestalt seinem Rechtsinhalte nach, wenn auch nicht wirtschaftlich, schlechthin unabhängig vom Gedeihen und den Erfolgen des Unternehmens, zu dem es gegeben wird; das Entgelt für die Darlehensgewährung bilden lediglich die Zinsen, die Gefahr des Dargeliehenen geht durch die Darlehensleistung auf den Darlehensnehmer über. In einem anderen, wirtschaftlichen Sinne kann aber von Beteiligung an einem Unternehmen auch in Gestalt der Darlehensgewährung insbesondere dann gesprochen werden, wenn diese ein wesentliches Moment zum Inslebentreten des Unternehmens ist, ein wesentlicher Umstand unter den verschiedenen für seine Gründung und Förderung bedeutsamen Bedingungen. In diesem Sinne kann am Unternehmen beteiligt erscheinen auch der, welcher lediglich gegen geschäftsüblichen Zins Geld dargeliehen hat, weil er sein Interesse an jenem eben durch die Investierung seiner Geldmittel betätigt hat. Nach einem solchen Wortsinn erschiene die Provinz "beteiligt" nicht nur insoweit, als sie Aufwendungen gemacht, sich eine Vermögenseinbuße auferlegt hat, sondern schon dadurch, daß sie 940.0U0 M von den benötigten 1.308.000 M gerade für die Zwecke dieses Unternehmens, nicht anderwärts angelegt hat.
Die Fassung der Gesetzesworte entstammt der Reichstagskommission, die damit nach ihrem Berichte (vgl. a.a.O. S. 18 flg., 21 flg., 24) hat zum Ausdruck bringen wollen, daß der Unterhaltungspflichtige ... ein Interesse an der Ausführung der besonderen Anlagen durch Aufwendung betätigen müsse (vgl. auch RGZ. Bd. 65 S. 310, 311). Die Rechtsprechung des Senats hat bereits (RGZ. Bd. 78 S. 221, 225) darauf hingewiesen, daß keine bestimmte Rechtsform der Beteiligung erforderlich ist, insbesondere kein Gesellschaftsverhältnis des Wegeunterhaltungspflichtigen zum Unternehmer: es genügt, daß jener (S. 221) überhaupt wirtschaftliche Aufwendungen irgendwelcher Art für das Unternehmen macht, z.B. es finanziell unterstützt oder durch Gewährung von Naturalleistungen fördert. Auch die Übernahme von Schuldverschreibungen wird unter besonders dargelegten Umständen (RGZ. Bd. 78 S. 222) für ausreichend erachtet. Daß auch Verbürgung des Wegeunterhaltungspflichtigen zugunsten des Unternehmers genügen kann, hat der Senat in der gleichzeitig entschiedenen Sache VI. 433/16 ausgesprochen. Das Überwiegen ist nach RGZ. Bd. 78 S. 227 durch Begleichung der Leistungen des Wegeunterhaltungspflichtigen gegenüber den sonstigen Aufwendungen für das Unternehmen zu ermitteln und dann anzunehmen, wenn jenen eine überwiegende Bedeutung zukommt. Das wesentliche der im § 6 Abs. 2 TelWG. gedachten Beteiligung des Wegeunterhaltungspflichtigen an dem Unternehmen eines privatkapitalistischen Unternehmers liegt mithin, wie es RGZ. Bd. 78 S. 222 ausgedrückt wird, in der Teilnahme an der planmäßigen Finanzierung des Unternehmens, an der Schaffung seiner finanziellen Grundlagen: solches kann aber auch durch Darlehensgewährung geschehen und geschieht nicht selten auf diesem Wege. Daß das Darlehen nur Gläubiger-, keine Mitgliedschaftsrechte gewährt, schließt nach dem Ausgeführten (vgl. bes. auch NGZ. Bd. 78 S. 222) die Annahme einer Beteiligung im Sinne, des § 6 Abs. 2 TelWG. an sich nicht aus.
Hiernach kann es nicht als rechtlich ausgeschlossen gelten, in der Darlehnsgewährung schon an und für sich, neben und abgesehen von den Zinsen und Tilgungserleichterungen eine Beteiligung des Provinzialverbandes am Unternehmen der Stadtgemeinde zu erblicken. Und dies um so mehr, als es sich bei der Gewährung dieses Darlehens offenbar nicht um großkapitalistische Anlagezwecke, sondern um die öffentlichen Interessen und Aufgaben des Provinzialverbandes handelt, die denen der Stadtgemeinde im Wesen verwandt sind und sich vielfach nach derselben Richtung bewegen. Hat jener in der Tat nahezu drei Viertel der zur Schaffung des Bau- und Betriebskapitals benötigten Gelder hergegeben, so kann diese Beteiligung, auch wenn der andere Teil dieses Darlehen verzinsen und das weitere Viertel selbst aufbringen muß, je nach Umständen als eine überwiegende bezeichnet werden Welche Umstände für diese Abwägung nach Sachlage noch ins Auge zu fassen sind, muß zunächst der Vorinstanz vorbehalten bleiben. Die bisher dargelegten Erwägungen können nach dem Ausgeführten als eine erschöpfende Prüfung der Frage nicht angesehen werden." ...